Konfliktpotenzial | Taiwan-Frage: Für China zählt nicht allein das nationale Prestige
Kurz vor dem Abschluss des diesjährigen Volkskongresses habendie Delegierten Xi Jinpingwiedergewählt – als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee.Einstimmig. Es wird seine vermutlich letzte und schwerste Amtszeit, im Prinzip eine der Bewährung sein. Drei Jahre harter Null-Covid Politik haben Wirtschaft und Gesellschaft geschadet. Auch wenn die offiziellen Todeszahlen gering blieben,revoltierten die Chinesenschließlichgegen extreme Lockdowns in denGroßstädten. Sie taten das teils so lautstark, dass die Obrigkeit eine überstürzte Kehrtwende hinlegte.Solcheabrupten Politikwechselwerden im heutigen China nicht erklärt, sondern eher beschwiegen.
Einkreisen und eindämmen
Das gilt ebenfalls für eine weiter schwelende Immobilienkrise in machen Großstädten, die lediglich verwaltet und nicht gelöst wird. Einen Dauerkonflikt mit der inzwischen beachtlichen und selbstbewussten urbanen Mittelklasse kann sich die chinesische KP nicht leisten. Zu sehr hängt ihreLegitimationvom „chinesischen Traum“des Wohlstands für alle und des Aufstiegs zum Renommee einer Weltmacht ab, die ihr Wirtschaftswunder fortschreiben will, wofür eher bescheidene Wachstumsraten vondrei oder fünfProzent kaum ausreichen dürften.
In ungewöhnlich scharfen Worten hat Xi die USA zum Hauptgegner erklärt.Die versuchten alles, China durch eine Politik der Einkreisung und Eindämmung auszubremsen und aufzuhalten. Das ließ sich auch als Botschaft an das eigene Volk deuten: Wenn die Volksrepublik China nicht so vorankommt wie versprochen, sind die Feinde im Ausland schuld. Mit Einkreisung ist besonders die vor den USA geführte Militärallianz AUKUS mit Großbritannien und Australien gemeint, die sich in der Tat klar gegen China richtet.
Der Vorwurf der Eindämmung gilt den Sanktionen, die von den USA gegen China verhängt worden sind, mitgetragen von den Verbündeten, widerwillig, aber gehorsam. In wenigen Jahren will China technologisch die Weltspitze erreichen, so das oft postulierte Ziel. Doch ist das mit der chinesischen Spitzenforschung längst erreicht, auch wenn Exporte von Spitzentechnologie aus den USA oder der EU erschwert bzw. unterbunden werden können. Das erklärt die Schärfe des Taiwan-Konflikts. Eine Invasion auf der Insel wird nicht stattfinden, so sehr sie von schlecht unterrichteten bis ahnungslosen Journalisten im Westen im Moment herbeigeredet wird.
Für die USA wie die Volksrepublik geht es dabei vor allem um die Chips. Denn Taiwans Chipindustrieist weltweit führend, sie exportiert überall hin, vorrangig aber nach China und in die USA. Wer Taiwan kontrolliert, beherrscht quasi die globale Chipindustrie. Einstweilen können die USA noch Verbündete unter Druck setzen, etwa die Niederlande. Dort sitzt mit der ASML der Weltmarktführer für dieavanciertestenMaschinen zur Chipproduktion, die nicht nach China exportiert werden dürfen. Was der europäischen Chipindustrie nichts nützt und den technologischen Fortschritt in China kaum verlangsamt.
Europa nicht abschreiben
China erstrebt eine andere, multipolare Weltordnung, in der die USA und Europa nicht mehr überall und jederzeit das Sagen haben. Eine neue Blockbildung, eine Neuauflage des Kalten Kriegswürde man trotzdem gernvermeiden. Chinas Interessenlage ist kompliziert, wie ein Vergleich der Reden Xi Jinpings, des neuen Außenministers Qin Gang und des ebenfalls neuen Premiers LiQuiangzeigt. Da wird Europa als „strategischer Partner“ gepriesen, da wird die mögliche und notwendige Kooperation mit den USA beschworen. An einem neuen Kalten Krieg, am Auseinanderfallen der Weltwirtschaft in feindliche Blöcke kann die Welthandelsmacht China kein Interesse haben. Russland ist für China kein gleichwertiger Partner, eher ein Problemfall.Kein Ersatz für die europäischen und amerikanischenPartner.
Des Westens bester Feind zu sein, reicht für China nicht. Zwar nutzt China die momentane Lage Russlands, um Öl und Gas zu Spottpreisen einzukaufen und einiges loszuschlagen, was es im Westen nicht mehr absetzen kann. Doch einen langenKrieg mitten Europa kann China nicht brauchen, schon gar keine Eskalation. Damit hält sich das Interesse in Grenzen, durch Waffenlieferungen an Russland stärker involviert zu sein. Bisher hat es keinen derartigen Transfer gegeben. Wer das behauptet, bleibt die Beweise dafür schuldig. Die Aufmerksamkeit der Führung in Peking gilt, wie das jüngst vorgelegte Zwölf-Punkt-Tableau erkennen lässt, dem Bemühen um ein beschleunigtes Kriegsende. An einer Niederlage der russischen Armee und der Regierung von Wladimir Putin hat China kein Interesse. Sorgen macht man sich in Peking nicht über das Schicksal Putins und seiner Entourage, sondern über das, wasnach einem möglichen Sturz Putins und seines Regimeskommt? Gibt es ein ganz anderes Regime, das aus innerer Schwäche den USA und dem Westen in die Hände fallen würde? Oder gibt es den Zerfall der Russischen Föderation in eine Vielzahl nach Unabhängigkeit strebender Regionen mit wechselnden Warlords an der Spitze, einige davon imstande, mit Atomwaffen zu wedeln? Keines dieser möglichen Szenarienkann China gefallen. Sein Hauptinteresse gilt der Stabilität Zentralasiensebenso wie der Sicherheit seiner Handelswege nach Europa.
Mediator für Teheran und Riad
Gerade haben dieChinesen bewiesen, dass sie zugroßer Diplomatie auf der Weltbühne durchaus imstande sind. Ohne Chinas Mittlerrolle wäre die jüngste Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien wohl kaum so rasch zustande gekommen.Wo im Ukraine-Krieg seine Interessen liegen, hat China klar gemacht: Keinen Nuklearkrieg, keine Atomkatastrophe inSaporischschja, sichere Transportwege nach Europa. Statt China weiter in die Schmuddelecke und in die „Freundschaft“ mit Putins Reich zu drängen, ist es höchste Zeit, es als rationalen Akteur ernst und beim Wort zu nehmen.