Kommunikation | SPD aufgepasst: Von Babler und welcher SPÖ lernen, heißt reden lernen
Bei der SPD geht es mittlerweile um die Existenz. Können die deutschen Sozialdemokraten vielleicht etwas von ihrem österreichischen Genossen Andreas Babler, dem SPÖ-Vizekanzler, abschauen?
Thomas Kronsteiner
Die SPD hat’s nicht leicht. Schon vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wurde ihr ein Absturz prognostiziert, und man kam nicht umhin, eine gewisse Sensationslust darin zu spüren. Die Ergebnisse fielen dann weniger dramatisch aus als befürchtet. Zufriedenstellen können sie die hiesige Sozialdemokratie aber nicht.
In der gegenwärtigen Debatte über die Neuausrichtung der SPD wird dann allzu oft gefordert, dass sie nur weiter nach rechts gehen müsse, um verlorene Wähler wiederzugewinnen – als hätte das bei der Union geklappt. Die Umstände eines sozialdemokratischen Genesungsprogrammes stehen allerdings denkbar ungünstig: (Vor-)Geführt von einer rechtsgerichteten Union, findet sich die SPD in der Bundesregierung in Abwehrkämpfen wieder: Unter ihrer Mitwirkung soll der Achtstundentag abgeschafft werden, der Mindestlohn stieg nicht wie versprochen, die Körperschaftsteuer wird gesenkt und eine Vermögensteuer liegt in weiter Ferne.
Hinzu kommen Ablenkungsdebatten um vergleichsweise geringe Kürzungen bei Bürgergeldbeziehenden. Den södernden Kulturkampfdebatten über Bratwurst, Diesel und Gendern sollten sich die Sozialdemokraten nicht aus Furcht anbiedern. Diese Debatten sind eine Ablenkung von den wirklichen Sorgen, die viele Menschen umtreiben. Tatsächlich läge es auch in der Macht der handelnden Akteure, Agendasetting zu betreiben.
Einen Ansatzpunkt für kluge sozialdemokratische Kommunikation liefert SPÖ-Vizekanzler Andi Babler in Österreich. Dort regiert eine ähnliche Koalition wie vormals die Ampel, bestehend aus ÖVP, SPÖ und den liberalen NEOS. Letztere sind allerdings noch eine echte liberale Partei. Im Gegensatz zum regelmäßig medial zelebrierten Streit in der Bundesrepublik wird hier stärker auf Harmonie und Einheit nach außen geachtet. Das mag auch eine Reaktion auf die 28-Prozent-FPÖ sein, die die Wahl gewonnen hatte.
Vor einem Jahr sprach Babler beim Politischen Aschermittwoch davon, dass „wir“ eine Bewegung seien, „die sich vor nichts und niemandem fürchtet“. Ein simpler Satz, der eher an die Bibel erinnert als an einen zeitgenössischen Politiker. In einer Zeit der verstärkten Ängste vor dem Abstieg, vor der Klimakrise, vor dem Rechtsruck ist es eine tröstliche Botschaft. Und eine, die die Arbeiterbewegung immer ausgestrahlt hat. Manchmal meint man, die Sozialdemokratie habe vergessen, wo sie herkommt.
Man kann sich auch so ausdrücken, dass normale Menschen einen verstehen
Bablers einstündige Kandidaturrede zum Parteivorsitz 2023 streifte viele Themen leicht und selbstverständlich. Auch schwere Brocken behandelt er beiläufig: „Mir ist nur auch wichtig, dass wir uns die Begriffe zurückholen. Ich führe das jetzt nicht aus, weil die Zeit schon ein bisschen läuft und ich auch noch ein bisschen was anderes vorhabe. Aber mir ist ganz wichtig, dass wir uns den Begriff der Leistungsträger und Leistungsträgerin sozialdemokratisch zurückholen. Dass wir definieren, was aus sozialdemokratischer Sicht Leistungsträger einer Gesellschaft sind.“ Dann zählt er repräsentativ verschiedene Gruppen von Lohnabhängigen auf, aber auch Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmer.
Die Grenze verläuft hier nicht zwischen unterer Mittelschicht und Bürgergeldbeziehenden, wie man es manchmal bei Lars Klingbeil vermuten könnte, sondern zwischen solchen mit immensem, vererbtem Reichtum und ebenjenen „Leistungsträgern“. Auch Klingbeil hat die „Fleißigen“ bemüht, allerdings nicht in Abgrenzung zu leistungslos vermögenden Superreichen, sondern in Abgrenzung zu Erwerbslosen. Das zementiert Spaltungen, die AfD und Union schon beharrlich eskalieren.
In einem Sommerinterview wählte Andi Babler als zentrale Botschaft, dass er Armut bekämpfe, nicht die Armen. So setzt er einen klaren und verständlichen Kontrapunkt in einem Diskurs, der zu oft nach unten tritt, statt auch mal nach oben zu schauen.
Es ist nicht nur die Begriffsarbeit, die Babler anders löst als sein deutscher Kollege im Vizekanzleramt. In naher Zukunft will das SPÖ-geführte Finanzministerium eine Initiative zur Bekämpfung von Steuerbetrug vorlegen. In einem Instagramvideo spricht Babler in die Kamera: „Jetzt kommt a wirklich schlechte Nachricht. Nämlich für die privilegierten Gruppen, Unternehmen und superreichen Menschen, die Steuern betrügen.“
Der Betrugsvorwurf wird hier nicht im Zusammenhang mit Sozialleistungen erzählt, sondern im Hinblick auf jene, die die Gesellschaft Milliarden kosten – und selbst nicht in Armut leben. Eine Politik ganz ohne Gegnerbezug zu machen, ist kommunikativ schwierig. Aber man hat selbst Einfluss darauf, wen man zum Gegner wählt. Für die Sozialdemokratie sollte das relativ klar sein.
Nach interner Kritik an der Pensionspolitik der Regierung preschte Babler vor und lancierte mit der SPÖ eine Mietenkampagne. Diese soll den inflationslindernden Eingriff in Mietpreise und die Einführung einer neuen Mietpreisbremse im bisher nicht preisregulierten Neubausegment begleiten: „Dein Zuhause, unser Auftrag. Wir machen Wohnen leistbar.“ Politisches Regierungshandeln mit einer gezielten Aufklärungs- und Dialogkampagne zu begleiten, ist klug. Es bietet Sichtbarkeit und Nähe nicht nur zu Wahlkampfzeiten an.
Die Frage bleibt, welche wohnungspolitischen Verbesserungen real aus der ungleichen Regierung heraus durchgesetzt werden können. Wenn man allerdings immer schon von der (wahrscheinlichen) Enttäuschung ausgeht, braucht man keine Politik mehr zu machen. Nötig sind Gespräche und vertrauensbildende Maßnahmen mit der Bevölkerung – und die brauchen Zeit.
Auffällig ist, dass Babler spricht wie ein normaler Mensch. Er bemüht kaum Politikerfloskeln oder ellenlange Fachbegriffe. Das mag auch daran liegen, dass „der Andi“ als Lager- und Schichtarbeiter sein Geld verdiente, bevor er 2014 in seiner Heimatstadt Traiskirchen zum Bürgermeister gewählt wurde. Das ist in der Parteienlandschaft auch in Deutschland selten geworden, die Parlamente werden dominiert von Juristen und Politikwissenschaftlern. Aber es gibt sie noch: Bärbel Bas lernte nach der Hauptschule Bürogehilfin und Sachbearbeiterin. Nun ist sie Vorsitzende der SPD.