Koalitionsverhandlungen in Ostmark: Wenn dasjenige Schreckgespenst Kickl nicht reicht

Beate Meinl-Reisinger sah am Freitagvormittag aus wie jemand, der bis zum Schluss gekämpft hat. Blass und sichtlich übermüdet stand sie um 10.30 Uhr in Wien vor einer pinken Wand mit dem Schriftzug der Neos und verkündete: Es ist aus. Die Regierungsverhandlungen in Österreich sind gescheitert.

Bis spät in die Nacht hatten ÖVP-Chef Karl Nehammer, der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler und Meinl-Reisinger miteinander verhandelt. Sie versuchten auf den letzten Metern noch zu retten, was sich in den letzten Wochen immer mehr als hoffnungsloser Fall entpuppt hatte: die erste Dreierkoalition Österreichs.

Und trotzdem hätten die drei ungleichen Partner eigentlich nicht scheitern dürfen. Sie waren zum Erfolg verdammt, angesichts des klaren Sieges der FPÖ bei den Nationalratswahlen im September. Zwischen Herbert Kickl und dem Kanzleramt standen nur noch diese Verhandlungen. Und die Wahlverlierer von ÖVP und SPÖ unter Druck: Lediglich als Kanzler und Vizekanzler können Karl Nehammer und Andreas Babler ihre Parteien weiterführen.

Das Schreckgespenst Kickl vor der Tür, die eigene politischen Karriere auf dem Spiel: Wie konnte es trotzdem passieren, dass die österreichische Variante der Ampel vorzeitig gescheitert ist? Und was passiert nun?

Fadesse und Ideenlosigkeit

Wenn man heute darauf schaut, was und wie da seit dem November in Wien verhandelt wurde, kann man sich leicht bei der Frage erwischen, wie das jemals hätte funktionieren sollen. Allein schon wegen der Grundkonstellation: Hier die einstigen Großkoalitionäre von ÖVP und SPÖ, nicht erst seit den Tagen des Sozi-Fressers Sebastian Kurz in inniger Abneigung verbunden, dort die wuseligen Reformeiferer der Neos.

Eine denkbar komplizierte Ausgangskonstellation, aus der heraus es sich die drei Parteien nicht leichter machten. Vor allem, weil niemand eine Idee hatte, wofür diese neuartige Koalitionsregierung stehen sollte. Vor fünf Jahren, als sich ÖVP und Grüne auf einen Pakt einigten, zimmerten die PR-Strategen von Sebastian Kurz den Spruch „Das Beste aus beiden Welten“. Die Grünen sollten den Klimaschutz vorantreiben, die ÖVP demonstrierte Härte in der Migration. Ein wackliges Fundament, aber es hielt trotz mehrerer Beben eine volle Legislaturperiode lang.

ÖVP, SPÖ und Neos gelang nichts dergleichen. „Bündnis der Vernunft“ wurde das Projekt zu Beginn getauft. Ein Slogan, der außer Fadesse wenig versprüht und rasch verräumt wurde. Stattdessen betonte man ein paar Mal zu oft, dass man nicht eine Anti-Kickl-Koalition sein wolle. Dabei war jedem klar, dass dieser Pakt genau das sein würde: eine Regierung, die es gibt, um den Einzug der FPÖ ins Kanzleramt zu verhindern.

Und dann platzte mitten in den Verhandlungen die deutsche Ampelregierung auf besonders unrühmliche Art und Weise. Eine Steilvorlage für all jene, die der Wiener Dreierkoalition kritisch gegenüberstanden – allen voran die FPÖ. Im Boulevard wurden Umfragen veröffentlicht, laut denen nur 19 Prozent der Österreicherinnen und Österreich für die Ampel seien – die bald den leicht abschätzigen Namen „Zuckerlkoalition“ verpasst bekam. Dazu kamen ständige Leaks aus den Verhandlungsrunden. Immer wieder stand es angeblich Spitz auf Knopf, mal mehr, mal weniger glaubwürdig.