Klimaschutz kostet solange bis zu 255 Milliarden Euro im Jahr

Deutschland hat zuletzt Fortschritte gemacht, um mehr CO2 einzusparen. Die bislang beschlossenen Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um das Minderungsziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Das ist das Fazit eines neuen Gutachtens, das der Expertenrat für Klimafragen am Mittwoch in Berlin vorstellte.

Das Gremium, das die Fortschritte der Bundesregierung im Klimaschutz überwacht, rät deshalb dazu, in der nächsten Bundesregierung ein Klimakabinett beispielsweise im Kanzleramt einzuführen. „Klimaschutzpolitik muss weiter formuliert werden, als das bislang der Fall war“, sagte der Vorsitzende des Expertenrats und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, Hans-Martin Henning. „Klimapolitik als Pfad neben die anderen Politikfelder zu stellen, das wird nicht funktionieren.“

Das Klimaschutzgesetz gibt vor, dass die Emissionen im Jahr 2030 im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990 um 65 Prozent sinken müssen. Im Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, also unter dem Strich kein CO2 mehr in die Atmosphäre emittieren. In der Energiewirtschaft beobachtet der aus fünf Wissenschaftlern bestehende Expertenrat „signifikante Rückgänge“ der Emissionen. Sowohl die Stromerzeugung aus Wind als auch aus Sonne nimmt zu, nachdem die Ampelkoalition die Genehmigungsverfahren verkürzt hat. Auch in der Industrie kam es in den Jahren 2022 und 2023 – diese stehen im Fokus des neuen Berichts – laut dem Gremium zu „nennenswerten Reduktionen“.

Wärmepumpen und E-Auto-Förderung

Dies hat allerdings einen wenig erfreulichen Grund: Wegen der andauernden Wirtschaftsschwäche produziert die deutsche Industrie weniger und stößt deshalb weniger Emissionen aus. Im Gebäudesektor sind die Treibhausgasemissionen laut dem Bericht leicht gesunken, liegen aber über den Zielwerten. Der Verkehrssektor stößt sogar mehr CO2 aus und verfehlt seine Ziele deutlich. Über alle Branchen werden die Jahresziele zwar erreicht, der Expertenrat mahnt aber in den Bereichen Verkehr und Gebäude mehr Ehrgeiz an. „Die neue Bundesregierung muss innerhalb von zwölf Monaten ein Klimaschutzprogramm vorstellen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf. So sieht es das Klimaschutzgesetz nach jedem Regierungswechsel vor.

In dem Gutachten beziffert der Expertenrat auch die Investitionen, die mit der Umstellung auf CO2-freie Prozesse verbunden sind. Über alle Branchen hinweg seien Transformationsinvestitionen von 135 bis 255 Milliarden Euro nötig – und zwar jährlich. Dies entspreche 3,2 bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Teils resultiert dieser Investitionsbedarf aus Ersatzinvestitionen, wenn etwa eine Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt wird. Teils sind auch zusätzliche Investitionen nötig, um auf das Einhalten der Klimaziele hinzuarbeiten.

„Die Rückkehr zu fossilen Heizungen ist keine Option“

Auf bis zu 150 Milliarden Euro jährlich beziffert der Rat diesen Mehrbedarf. Staatliche Investitionsanreize seien unabdinglich. „Die staatliche Finanzierungslücke wird in verschiedenen Studien auf einen mittleren bis hohen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr geschätzt“, heißt es in dem Gutachten. In dem 300-seitigen Dokument werden auch die Folgekosten des Klimawandels beziffert. Falle der Klimawandel schwach aus, seien es knapp zehn Milliarden Euro im Jahr, in einem Szenario mit einem stark ausgeprägten Klimawandel 31 Milliarden Euro im Jahr.

Brigitte Knopf kritisierte, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem Menschen mit höheren Einkommen von staatlicher Förderung profitiert hätten, etwa mit dem Umweltbonus für Käufer eines Elektroautos und der Gebäudeförderung für Hauseigentümer. Dass es in der neuen Heizungsförderung von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) einen Bonus für Menschen mit niedrigen Einkommen gibt, lobte sie. Für nachahmenswert hält Knopf auch das „social leasing“ von Elektroautos in Frankreich, das die Grünen in ihr Wahlprogramm übernommen haben. Zur Klimawirkung des Deutschlandtickets hielten sich die Wissenschaftler bedeckt. Das vergünstigte Ticket für den öffentlichen Nahverkehr diene neben dem Klimaschutz auch der finanziellen Entlastung der Bürger.

Zu dem sowohl von Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch von Habeck in Aussicht gestellten grünen Wirtschaftswunder bemühten sich die Wissenschaftler um eine diplomatische Antwort. „Ja, die Transformation kostet Geld“, sagte der Ratsvorsitzende Henning. „Auf der anderen Seite bietet sie auch Chancen.“ Deutschland solle schauen, welche nachhaltigen Produkte auf dem Weltmarkt gefragt sein könnten. Die vor allem von der FDP, aber auch vom Bundesverband der deutschen Industrie angestoßene Diskussion über die Verschiebung der Klimaziele auf 2050 hält er für „keine realistische Option“. Dem stehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Zudem seien die deutschen Ziele Teil der europäischen Vereinbarung.

Auch die von der Union versprochene Rückabwicklung von Habecks Heizungsgesetz sieht er kritisch. „Die Rückkehr zu fossilen Heizungen ist keine Option im Sinne der Klimaziele.“ Offen zeigte sich Henning aber dafür, dass Deutschland energieintensive Vorprodukte wie Eisenschwamm oder Ammoniak künftig aus Ländern mit besseren Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff importiert. Dies sei günstiger und einfacher, als den Wasserstoff für die Produktion nach Deutschland zu importieren.