Klimaschutz: Das Leben ist eine Baustelle
Ich habe vor ein paar Jahren zusammen mit ein paar anderen Leuten ein Haus gebaut. Sagen wir so: Es war keine schöne Zeit. Rechnungen prüfen, Angebote einholen, mit Banken verhandeln. Ich wohne jetzt in diesem Haus und das wiederum ist schon ganz schön (ja ja, ein Privileg, aber ich versuche, einen Punkt zu machen). Was ich eigentlich sagen will: Olaf Scholz hat nicht recht. Genauer gesagt: Olaf Scholz hat vielleicht sogar recht, aber seine Worte wecken die falschen Assoziationen.
Was Scholz gesagt hat: “Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren geschehen.” Daraus wurde dann die Meldung, Scholz rechne mit einem neuen “Wirtschaftswunder”, was wiederum Ökonomen zu der Kommentierung veranlasste, das sei “grotesk” (Stefan Kooths, Institut für Weltwirtschaft in Kiel).
Man sollte an dieser Stelle vielleicht vorausschicken, dass es sich mit Konjunkturprognosen ungefähr so verhält wie mit Wetterprognosen. Je länger der Prognosehorizont, desto schlechter die Prognosequalität. Das Wachstum im nächsten Quartal und manchmal auch im nächsten Jahr lässt sich noch einigermaßen zuverlässig vorhersagen. Was in fünf oder zehn Jahren los sein wird, weiß ehrlich gesagt niemand. Auch ein Ökonom nicht.
Eine Investitionsausgabe bringt erst einmal keinen Nutzen
Und: Die Wachstumsrate misst die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts innerhalb eines bestimmten Zeitraums – üblicherweise ein Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt wiederum misst den Wert aller innerhalb eines Jahres erzeugen Güter und Dienstleistungen. Wenn also irgendwo ein neues Windrad aufgestellt wird, dann steigt das Bruttoinlandsprodukt. Die Wirtschaft wächst. Dabei spielt es keine Rolle, ob dafür ein Braunkohlekraftwerk abgeschaltet wird. Genau wie es keine Rolle spielt, ob eine neu eingesetzte Glasscheibe vorher absichtlich zerstört wurde. Wachstumsraten beschreiben die wirtschaftliche Aktivität, nicht den Bestand an Wertgegenständen. Das eine hat mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun.
Insofern ist die Aussage von Olaf Scholz nicht unkorrekt, die Investitionen in den Klimaschutz könnten das Wachstum erhöhen und Arbeitslosigkeit werde in den kommenden Jahren wahrscheinlich kein großes gesellschaftliches Problem mehr sein. Man kann anderer Meinung sein, aber man kann sie nicht so einfach wissenschaftlich widerlegen. Meinungen sind keine Fakten. Was sich aber mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt: Das neue Wirtschaftswunder wird sich anders anfühlen als das alte.
Womit wir bei meinem Haus angekommen wären. Der Bau eines Hauses ist eine Investition. Wie der Bau eines Windrades. Oder eine Ladestelle. Eine Investitionsausgabe verschlingt Ressourcen (Arbeit, Kapital), aber bringt erst einmal keinen Nutzen. Das unterscheidet sie von einer Konsumausgabe. Die Klimawende geht ökonomisch betrachtet mit einer Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivität einher: Mehr Investitionen und damit weniger Konsum. Wenn mehr Windräder gebaut werden sollen, können weniger Autos gebaut werden (zumindest unter Vollbeschäftigungsbedingungen). Weil man halt nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann.
Wie nach dem Krieg wird es also in Deutschland genug zu tun und damit wahrscheinlich auch genug Arbeit für alle geben. Aber ein großer Teil dieser Arbeit wird dafür aufgewendet werden müssen, das Land nach dem Stillstand der vergangenen Jahrzehnte fit zu machen für eine klimaneutrale Zukunft. Es geht jetzt erst einmal darum, den Wohlstand zu erneuern, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck formuliert hat. Nicht unbedingt darum, ihn zu vermehren. Jedenfalls nicht auf einer gesamtwirtschaftlichen Ebene (eine gerechte Verteilung der Lasten zum Beispiel durch steuerpolitische Maßnahmen ist natürlich weiterhin möglich).
Man kann es auch so sagen: Wir arbeiten jetzt, damit unsere Kinder einmal in einem Land leben, in dem die Bahn pünktlich kommt und noch genug Strom aus der Steckdose. Damit sie es also schön haben. Wie bei meinem Haus.