Klimaneutralität bis 2045: Großwärmepumpen könnten Fern- und Prozesswärme liefern

Erst das Elektroauto, jetzt die Wärmepumpe. Manche Technik ist schon lange am Markt, kommt aber erst aus der Nische heraus, wenn die Politik sie unterstützt und sich die öffentliche Meinung dreht. Die Wärmepumpe, die unter Einsatz von Elektrizität die Temperaturunterschiede der Umgebung nutzt, ist derzeit wegen des Gebäudeenergiegesetzes in aller Munde. Dieses Großvorhaben von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht vor, dass von 2024 an möglichst nur noch neue Heizungen eingebaut werden, die mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien laufen.

Die mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe ist Habecks bevorzugte Lösung und überzeugt auch immer mehr Verbraucher. Keine andere Hitzeerzeugung wächst stärker als die mit Kraftwärmemaschinen: 2022 wurden 236.000 Stück installiert, 53 Prozent mehr als 2021. Im ersten Quartal 2023 hat sich der Absatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 96.500 Anlagen mehr als verdoppelt. Nach Angaben des Heizungsverbands BDH ist inzwischen jede dritte neue Heizung eine Wärmepumpe – ganz ohne Austauschverpflichtung.

Vor dem Haus und im Garten

Allerdings existieren viele Anwendungen, wo die Geräte, die meist vor dem Haus oder im Garten aufgestellt werden, nur bedingt einsatzfähig sind. Das gilt in engen oder ungedämmten Bebauungen oder generell dort, wo sehr hohe Vorlauftemperaturen nötig sind, besonders für die industrielle Prozesswärme.

Sind diese Felder also für Wärmepumpen ungeeignet? Nein, sagt eine Untersuchung der Berliner Denkfabrik und Lobbyorganisation Agora Energiewende mit dem Titel „Rollout von Großwärmepumpen“. Ihrer Erkenntnis nach kann Deutschland seinen gesamten Wärmebedarf für Temperaturen bis zu 200 Grad kohlendioxidfrei decken. Und zwar mit Großwärmepumpen, welche Erdwärme ebenso nutzen wie Umwelt- und Abwärme. Diese Quellen stünden sowohl für die Fernwärme wie für die Industrie in ausreichendem Maße zur Verfügung, heißt es in der Studie, die der F.A.Z. vorliegt.

Auch ohne die Umgebungsluft zu nutzen, beläuft sich die potentielle Wärmeleistung aus CO2-freien Quellen den Angaben zufolge auf 1500 Terawattstunden im Jahr. Der Wärmebedarf bis 200 Grad Celsius liege nur bei etwas mehr als 1000 Terawattstunden. Genutzt werden könnten oberflächennahe und tiefe Geothermie, See- und Flusswasser, industrielle Abwärme, Abwasser, Kohlengruben sowie Rechenzentren.

Wärmenetze brauchen Temperaturen von 90 bis 110 Grad, die industrielle Fertigung benötigt Prozesswärme bis zu 200 Grad. Beides schaffen Großwärmepumpen bereits, noch allerdings bringen sie es nur auf eine installierte Leitung von 60 Megawatt; ein Terawatt sind eine Million Megawatt. Doch das Potential ist enorm, wenn man dem Institut Fraunhofer IEG glauben kann, das die Studie für Agora erstellt hat. Besonders rosig sind die Aussichten für die Fernwärme, auf der immer größere Hoffnungen ruhen, seit klar ist, dass im engen städtischen, oft unsanierten Bestand kleine Wärmepumpen schwer einzubauen sind. Bis zum Jahr 2045, wenn Deutschland treibhausgasneutral sein will, könnten Großwärmepumpen mehr als 70 Prozent der Fernwärme bereitstellen und so das Erdgas weitgehend ersetzen, schreibt Agora. Dann ließen sich mehr als ein Viertel aller Wohnungen mit „grüner Fernwärme“ beheizen, sagt Simon Müller, der Deutschland-Direktor der Agora.

Deutschland als führender Produzent?

Dazu müssten allerdings jährlich 4000 Megawatt zugebaut werden. Damit das gelingt, fordert die Organisation einen klaren Ausbaupfad mit einer verbindlichen kommunalen Wärmeplanung, mit dem Abbau von Preisnachteilen gegenüber fossilen Energieträgern und mit einer strategischen Ausweitung des Angebots. Ein solches ließe sich durch eine indus­trielle Produktstandardisierung erreichen; bisher überwiegen teure Einzelanfertigungen. Deutschland hätte dann das Zeug, „sich als führender Produzent von Großwärmepumpen aufzustellen“. Die Benachteiligung von Ökowärmepumpen sieht Müller darin, dass fossile Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung sowie mit fossiler Abwärme betriebene Wärmepumpen mehr Förderung erhielten.

Norwegen und Schweden zeigten, wie der Hochlauf der grünen Technik gelinge. Hier betrage der Anteil dieser Großwärmepumpen an der Fernwärme bereits 13 und 8 Prozent. Auch Finnland, Dänemark und ein großes Land wie Frankreich schafften mehr als den EU-Durchschnitt von 1,2 Prozent. Für Deutschland weist die Studie hingegen 0 Prozent aus. Müller forderte eine Reform des Gesetzes zur Kraft-Wärme-Kopplung und eine Aufstockung des Förderprogramms für Wärmenetze. Großwärmepumpen seien für die Dekarbonisierung unentbehrlich, denn die Wärmeerzeugung bis 200 Grad für Gebäude und Industrie mache drei Viertel des deutschen Energieverbrauchs aus und sei für mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich.