„Klar ist: Es ginge“: Scholz hält Einigung in Ampel-Streit für jedes möglich
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält eine Einigung der Ampel-Koalition im festgefahrenen Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik für möglich. „Wenn man will, kann man sich einigen“, sagte Scholz am Dienstag in Berlin. In seinen vertraulichen Gesprächen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) habe er den Eindruck gewonnen: „Klar ist: Es ginge.“
Der Kanzler fügte mit Blick auf eine koalitionsinterne Einigung hinzu: „Insofern ist die Frage nicht, ob man es überhaupt hinkriegen kann.“ Eine gemeinsame Linie sei möglich, „und da müssen jetzt alle arbeiten“.
Scholz rief die zerstrittenen Koalitionspartner zu Verantwortungsbewusstsein und Kompromissbereitschaft auf. In der Regierung müsse es nun darum gehen, „dass man sich dem Land verpflichtet fühlt, dass es nicht um Ideologie geht“. Die Koalitionsspitzen hätten sich deshalb „intensive Zeit für Gespräche“ genommen, und es seien noch weitere Gespräche nötig.
Habeck: „Schlechteste Zeit, eine Regierung platzen zu lassen“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte angesichts der US-Wahl und des Ukrainekriegs zum Durchhalten aufgerufen. „Dies ist die schlechteste Zeit, eine Regierung platzen zu lassen, und eine Leichtfertigkeit verbietet sich dort“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“. Die Ampel habe es immer wieder hinbekommen, in schwierigen Situationen auch Beschlüsse zu fassen, aber: „Diese Koalition wird auch keine Liebesbeziehung mehr werden.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Habeck waren am Morgen für mehrere Stunden zu einem Gespräch zusammengekommen. Dabei sollte weiter geklärt werden, wie die Ampelkoalition in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder auf eine gemeinsame Linie kommen kann. Am Mittwoch kommt mit dem Koalitionsausschuss dann eine größere Runde zusammen, der auch die Partei- und Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP angehören.
Der Streit innerhalb der Koalition hatte sich zuletzt durch Habecks Vorschlag für einen staatlichen schuldenfinanzierten Investitions- und Infrastrukturfonds und ein Papier von Lindner mit Ideen für eine wirtschaftspolitische Kehrtwende verschärft. Darin fordert der FDP-Chef eine „Wirtschaftswende“ mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“.
Habeck fordert Entgegenkommen von SPD und FDP
Das Milliardenloch im Bundeshaushalt muss bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses gestopft werden, die für den 14. November geplant ist. Habeck sagte, er halte eine Einigung über den Bundeshaushalt 2025 für möglich. Die frei gewordenen Intel-Milliarden, die eigentlich im Klima- und Transformationsfonds vorgesehen seien, könnten einen Beitrag leisten, um die Haushaltslücke zu reduzieren, so Habeck. Er möchte damit den Wünschen des Finanzminsiters entgegenkommen.
Der Intel-Konzern hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben, den Deutschland fördern wollte. Vorgesehen waren milliardenschwere staatliche Fördermittel.
Nach diesem Zugeständnis erwartet der Wirtschaftsminister ein Entgegenkommen der anderen Seite. „Nun erwarte ich allerdings auch, dass die anderen auch im eigenen Bereich mal Vorschläge machen und nicht immer nur – und das ist ja das schlechteste Spiel – immer den anderen sagen, was sie von ihnen erwarten“, sagte Habeck. Er habe jetzt vorgelegt.
Aus der FDP erntete Habeck für dieses Angebot allerdings teils brüske Reaktionen. „Robert Habecks so genanntes Angebot ist eine Mogelpackung, denn die Intel-Milliarden hat er nicht und kann sie deshalb auch nicht verdealen“, sagte der FDP-Haushaltsexperte Christoph Meyer am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP.
Die FDP-Politikerin Katja Hessel, Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, schrieb zu Habecks Vorstoß auf dem Plattform X: „Es geht gerade nicht um das Stopfen von Haushaltslöchern, um zehn Milliarden mehr oder weniger“, im Haushalt gebe es kein Spielgeld für einzelne Parteien. Die entscheidende Frage laute jetzt, wie könne die Wirtschaft künftig wieder stärker wachsen. Finanzminister Lindner habe dazu Vorschläge gemacht, die von der Wirtschaft gelobt würden. „Der Wirtschaftsminister muss nun vorschlagen, wie er den Standort Deutschland ohne mehr Schulden oder höhere Steuern wieder fit machen will.“
Lindner betonte seinerseits in einer am Montag veröffentlichten Folge des Podcasts „Hotel Matze“, es gehe in den kommenden Wochen um „Richtungsentscheidungen“ und „Klärungen in der Sache“. Das Podcast-Interview wurde am Freitag aufgezeichnet, bevor Lindners Papier publik wurde. „Ich habe mit Robert Habeck menschlich kein Problem, aber er hat einen vollkommen anderen Zugang zu wirtschaftspolitischen Fragen“, erklärte der Finanzminister.
Weiter sagte er über seinen Kabinettskollegen: „Er ist ein fleißiger Mann, er hat seine Überzeugungen, und man kann gut mit ihm sprechen und auch anregende Gespräche führen, aber er hat einen vollkommen anderen Zugang. Es ist nicht ergänzend, sondern es ist ein Gegensatz.“ Er und Habeck hätten „angenehme Gespräche über Unterschiede, die wir überbrücken müssen“.
Grünenfraktionschefin Katharina Dröge sieht nach dem Zugeständnis von Wirtschaftsminister Habeck nun Lindner am Zug. „Das hätte ich eigentlich von einem seriösen Finanzminister erwartet“, sagte Dröge im ARD-„Morgenmagazin“. In der Koalition solle mehr miteinander geredet werden, statt sich „in öffentlichen Showmaßnahmen gegenseitig immer wieder zu überbieten“, mahnte die Grünenpolitikerin. Gleichzeitig aber wollen die Grünen nach Dröges Worten bis zur regulären Bundestagswahl Ende September 2025 am Regierungsbündnis festhalten. „Wir wollen in dieser Koalition Verantwortung übernehmen, solange wie diese Legislaturperiode gilt“, sagte Dröge am Dienstag in Berlin. „Und wir wollen eine Koalition, die eine Mehrheit hat im Deutschen Bundestag.“
Grüne bremsen bei von Lindner geplanten Steuerentlastungen
Die Grünen stellen die Höhe der von Finanzminister Christian Lindner geforderten Steuerentlastungen bei der kalten Progression infrage. „Wenn der Finanzminister einen vernünftigen Vorschlag macht, (…) dann können wir dieses Gesetz auch in voller Höhe beschließen“, sagte Dröge in Berlin. „Aber dafür brauche ich einen Vorschlag von Christian Lindner, wie das geht.“ Das Gesetz werde in dieser Woche im Bundestag noch nicht verabschiedet. Das sorge bei den Koalitionspartnern für „einige Aufregung“, räumte Dröge ein. Sie finde das übertrieben, „weil wir auch in der nächsten Woche dieses Gesetz noch fristgerecht abschließen können“.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr erwartet seinerseits von Habeck mehr Vorschläge. Es sei folgerichtig, dass die Intel-Milliarden zurück in den Haushalt gingen. „Ich bin froh, dass auch Robert Habeck zu dieser Einsicht gekommen ist. Vom Wirtschaftsminister würde ich mir in dieser Situation aber substanzielle Ideen zur Stärkung unseres Wachstums wünschen. Wir brauchen eine echte Wirtschaftswende.“ Lindner habe dazu Vorschläge gemacht. „Große Reformen erfordern große Kraft, und die Frage ist, ob die Grünen bereit sind, sie gemeinsam mit uns aufzubringen“, sagte Dürr.
DGB-Chefin warnt Lindner
Und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) übt seinerseits scharfe Kritik am eskalierten Richtungsstreit und den damit verbundenen Spekulationen über ein mögliches Ende des Regierungsbündnisses. „Dieses Theater verunsichert die Menschen, wir sind als DGB an einer stabilen Regierung interessiert“, sagte Gewerkschaftschefin Yasmin Fahimi der Zeitung „Augsburger Allgemeine“. Ausdrücklich warnte sie den Finanzminister, sich aus parteitaktischen Gründen aus der Regierungsverantwortung zu stehlen. Lindners Vorschläge für eine „Wirtschaftswende“ seien unsozial: „Das FDP-Papier ist nichts weiter als ein Manifest zur Umverteilung von unten nach oben – wenig überraschend.“
Die Gewerkschaftschefin forderte die Bundesregierung auf, rasch Klarheit für bessere Rahmenbedingungen in der Industrie zu schaffen. „Wir brauchen jetzt verlässliche Energiepreise für das gesamte produzierende Gewerbe“, sagte Fahimi weiter. Zudem seien weitere Schritte nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Sie schlug neue Anreize vor, um den Absatz von Elektroautos anzukurbeln, darunter eine zeitlich befristete degressive Abschreibung für Käufer von Elektroautos bei der Einkommensteuer.
Die Spitzentreffen der Ampelkoalition zur Wirtschafts- und Finanzpolitik sollen am Mittwoch fortgesetzt werden. Am Vormittag und Nachmittag sind zwei weitere Treffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sowie mit Staatssekretären geplant, wie die Deutsche Presse-Agentur in Berlin aus Koalitionskreisen erfuhr.