Karstadt und Kaufhof: Ein Ort, an dem sich tatsächlich noch alle begegnen

2006 wurde das neue Karstadt-Warenhaus in Leipzig eröffnet: »Bei Karstadt konnte man immer etwas finden, das ins Budget passte«
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Waltraud Grubitzsch / picture-alliance / dpa
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Trauriger Zombie

Karstadt am Berliner Hermannplatz: »Ein sozialer Ort, der das Lebensgefühl eines Stadtviertels bewahrt«
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Wolfgang Kumm/ dpa
»Mein« Karstadt in Berlin an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln darf bleiben, zumindest steht er vorerst nicht auf der Liste der zu schließenden Filialen. Und anders wäre das auch gar nicht denkbar. Es erinnert zwar kaum noch etwas daran, dass dieses Kaufhaus einmal das größte der Weimarer Republik und wohl auch Europas gewesen ist, aber selbst die Sprengung durch die SS im Jahr 1945 hat der Karstadt am Hermannplatz überlebt, als trauriger Zombie zwar, aber ein Untoter kann nicht sterben. Tatsächlich wirkte hier seit jeher alles dem Untergang geweiht, aber das schien niemanden zu stören. Mich jedenfalls nicht. Das Essen im Restaurant zwar traditionell furchtbar, die Aussicht von der Dachterrasse jedoch verlässlich grandios. Die Angestellten bereits vor Jahren aufreizend desinteressiert (Ich: »Darf ich Sie etwas fragen?« Verkäufer: »Ick arbeite.«), aber wesentlich menschlicher als die dauergrinsenden Serviceaffen der Konkurrenz. Das Sortiment schon immer altbacken, aber jederzeit fußläufig verfügbar. Der Karstadt am Hermannplatz ist dabei eigentlich schon seit Jahren kein Kaufhaus mehr, jedenfalls nicht mehr in erster Linie. Vielmehr ist er ein sozialer Ort, der das Lebensgefühl eines Stadtviertels bewahrt, das zunehmend von Touri-Boutiquen und Hipster-Cafés dominiert wird. Ein Ort, an dem sich tatsächlich noch alle begegnen, die hier leben: Rentnerinnen mit blauer Dauerwelle, gestresste Eltern mit in allen denkbaren Sprachen quengelnden Kindern, der einsame Alki aus dem Nachbarhaus und die mondäne Dame, die sich unten in der Feinkostabteilung ihren Roséweinschinken hauchzart aufschneiden lässt. Der Karstadt am Hermannplatz muss ewig leben. Nicht, weil er schön ist. Aber selten. Stefan Kuzmany
Immer ein Dach über dem Kopf

Karstadt in Celle: The place to go für Teenies in den Achtzigerjahren
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Celle, Niedersachsen, ein frostiger Vormittag im Februar, wir schreiben das Jahr 1986. Der Biologie-Leistungskurs ist ausgefallen, zwei Freistunden stehen zur Verfügung, 90 Minuten, in denen man tun kann, was man will – und wieder nicht, denn es ist zu kalt, um im Park rumzuhängen. Nach Hause gehen ist keine Option, denn das liegt 30 Minuten mit dem Zug entfernt. Für die Fahrschüler, wie wir damals hießen, bleiben zwei Möglichkeiten: Die letzten Groschen zusammenkratzen und Kaffee trinken gehen (wahlweise aromatisierten Kirschtee) – oder bei Karstadt herumlungern. In sieben von zehn Fällen fiel die Wahl auf das Kaufhaus. Als 16-Jährige hatte ich meistens kein Geld, und wenn ich welches hatte, gab ich es gern für Bücher, Postkarten, lose Süßigkeiten, Lippenpflege oder T-Shirts aus (im Sale, versteht sich). Bei Karstadt konnte man immer etwas finden, das ins Budget passte. Das Beste an Karstadt war aber, dass man auch ohne etwas zu kaufen ein Dach über dem Kopf hatte, sich mit Klamottenanprobieren die Zeit vertreiben oder mit dem Testen von Parfüms beschäftigen konnte, bis einem ganz schwindelig war. Karstadt war in der Provinzstadt Celle, die für ihre Fachwerkhäuser und einen Verfassungsschutzskandal bekannt ist (»Celler Loch«), bei Regen und Kälte in den Siebzigern und Achtzigern the place to go für Teenies: Die Wärmeschleuse am Eingang empfing einen immer so freundlich. Zum 30. Juni ist die Schließung dieser Filiale geplant. Katharina Stegelmann
Heile Welt

Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt bei einem Besuch in der Karstadt-Filiale in Charlottenburg an der Wilmersdorfer Straße (1964): »Oma und Opa gingen hier manchmal mit uns einkaufen«
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Eigentlich bin ich für Karstadt zu jung. Ich kam noch nie auf die Idee, Leonardo-Gläser oder Osterdeko zu kaufen. Auch die große Auswahl karierter Tücher, Schlafanzüge und Arztromane hat mich noch nie ins Kaufhaus gezogen. Trotzdem gehe ich fast jeden zweiten Tag hin. Mein Karstadt ist nämlich nur 113 Schritte entfernt. Und egal, was ich schnell brauchte, Tomaten, Eierbecher, Unterhosen, ein Faschingskostüm, zwei Flaschen Wein (lachen Sie bitte nicht, all das wurde schon eilig gekauft): Hier bekam ich es. Klar, meistens zahlt man etwas mehr für ein Produkt, das man eigentlich in einer anderen Variante wollte, aber welcher Einkauf läuft schon perfekt?
Bevor ich neben einem Karstadt einzog, kannte ich das Kaufhaus bloß aus meiner Kindheit in der westdeutschen Provinz. Oma und Opa gingen hier manchmal mit uns einkaufen. Mama spendierte im Restaurant Traubensaft in den kleinen, sonst zu teuren Glasfläschchen; ich durfte mit einer Zange Süßigkeiten aus kleinen Schubladen in eine Tüte sammeln. Heile Welt. Wenn ich heute im Karstadt nebenan stehe, denke ich daran. Obwohl über 300 Kilometer (und 25 Jahre) zwischen ihnen liegen, unterscheiden sich die Kaufhäuser von damals und heute kaum. Sicher ist das auch ein Grund für ihre finanzielle Schieflage. Mich aber erinnert es daran, dass es ein Leben außerhalb von Berlin gibt. Eines voller Lindor-Kugeln und Frotteelaken, eines mit Tortenringen und Silberglanzpolitur. Eines, in dem man ein »Herzlich willkommen«-Schild an die Tür hängt und es genauso so meint. Mein Berliner Karstadt wird in zehn Monaten geschlossen. Und darüber bin ich wirklich traurig. Elisa von Hof
Leerstand als Chance

Karstadt in Hamburg-Eimsbüttel: Raum für zentrales Wohnen?
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Warenkaufhäuser wie Galeria Kaufhof oder Karstadt waren vor allem in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts das eingelöste Versprechen des Spätkapitalismus: Auf einmal war jede erdenkliche Ware zentralisiert verfügbar. In den Wirtschaftswunderjahren stieg der Marktanteil der Kaufhäuser auf bis zu 15 Prozent. Shoppen wurde zum Zeitvertreib, die deutschen Innenstädte durch moderne Verkaufspsychologie, Winter- und Sommerschlussverkäufe, durch Glanz und Glitter der Kaufhäuser zu Metropolen. Aber das Internet und Onlineshopping haben Kaufhäuser überflüssig gemacht. Karstadt und Kaufhof leuchten nur noch in den Kindheitserinnerungen der Nachkriegsgenerationen, das Konzept einer Warenhauskette ist längst überflüssig. Die Angst vor drohendem Leerstand in der City sollten wir als Chance begreifen. Statt einer neuen Primark-, Snipes- oder H&M-Filiale brauchen wir keinen neuen Konsumtempel, sondern zentralen Wohnraum, zentrale Büroräume oder zentrale Kreativ- und Kulturzentren. Die Angst vor dem Ende der Nostalgie ist groß, aber unbegründet. Nils Frenzel
Parfümierter Gebläsewarmwind

Karstadt-Filiale in Berlin-Steglitz (1967): Immer der bizarre Innenstadtklotz
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Mein erster eigener Einkauf bei Karstadt, es muss in Kaiserslautern gewesen sein, war ein Modellbauflugzeug, das es schon lange nicht mehr gibt. Mein letzter Einkauf bei Karstadt (oder Kaufhof oder Galeria, mir egal, es bleibt immer der bizarre Innenstadtklotz), diesmal in Wiesbaden, war ein Kühlschrank. Seitdem bin ich auch im Besitz einer »Galeria Card«, die mir bei weiteren Einkäufen gewisse Vorteile verschafft. Einkäufe, zu denen es wohl kaum mehr kommen wird. Ich ging da gerne hin, weil man sich »beraten« lassen konnte. Irre Idee, aber dort gab es wirklich noch Leute, die über Kaffeemaschinen oder Rasierapparate Bescheid wussten. Ich mochte immer den parfümierten Gebläsewarmwind im Eingang. Und die Klofrau mit ihrem Kreuzworträtsel. Im Bus nach Hause erzählte eine ältere Dame, dass sie »wieder bei Karstadt« essen war. Sie sagte auch noch Karstadt, nicht »Galeria«, und meinte: »Ganz gut, nur die Kartoffeln waren ein bisschen… na ja.« Werde ich es vermissen? Na ja. Arno Frank
»Bleib doch noch ein bisschen«

Historisches Karstadt am Berliner Hermannplatz um 1928: Schöne Fassaden für schnöde Geschäfte?
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»Meinem« Karstadt, dem berühmten Karstadt am Berliner Hermannplatz, steht aufgrund seiner Vergangenheit eine große Zukunft bevor, wenn es nach Investor René Benko geht. Die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts sollen wieder auferstehen, als das Kaufhaus über riesige Lichttürme und eine fußballfeldgroße Dachterrasse verfügte. Und Künstler zu Pferde die Rolltreppen heraufritten. Oder waren es sogar Einhörner? Egal: Am Ende wird es doch nur um schöne Fassaden für schnöde Geschäfte gehen. Bezaubernd ist eher die prekäre Gegenwart des Kaufhauses mit seinen herrlich schrulligen Verkäuferinnen, die einen beim Einpacken an der Wursttheke fragen, ob man »eine Pappe« wolle wie die älteren Damen – oder bereit sei, aus Umweltschutzgründen darauf zu verzichten. Wer würde da schon auf ein Stück stabilisierenden Karton im Wurstpaket bestehen? Wo es hier doch ansonsten wirklich alles gibt: eine Bier-Bar direkt unter der Rolltreppe. Eine Raucher-Lounge im Restaurant. Senf mit Cognac, Badeschuhe für den Steinstrand an der Adria und Pralinen, die in ihrer Auslage genau so aussehen und riechen wie in den späten Siebzigerjahren. Es ist eine andere Vergangenheit, zu der man hier sagen möchte: »Bleib doch noch ein bisschen«. Die eigene. Martin Reichert