Kampfjet-Projekt: Es wäre Irrsinn, wenn Deutschland und Frankreich hier scheitern

Die Zuversicht war groß, als Ende 2022 die Einigung auf die nächste FCAS-Arbeitsphase stand. Nach monatelangem Streit über die industrielle Aufgabenteilung schien der Weg für Europas größtes Rüstungsprojekt geebnet. Die politische Führung und die beteiligten Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und Spanien wirkten gewillt, das hochkomplexe Luftkampfsystem aus Kampfjet, Drohnen und Gefechtswolken – im Fachjargon ein System der Systeme – Wirklichkeit werden zu lassen. Bei Airbus sah man in FCAS Europas vielleicht letzte Chance, im Bereich der Digitalisierung oder des militärischen Internets der Dinge noch mal einen großen Schritt zu machen.
Doch keine drei Jahre später tobt wieder ein Streit um die industrielle Aufgabenteilung. Wieder werden Szenarien für den Fall eines Auseinanderbrechens durchgespielt. Die Herausbildung einer „Kultur der Zusammenarbeit“, die der deutsche Airbus-Rüstungschef nach der Einigung von 2022 erwartet hatte, wirkt mit Blick auf die Provokationen seines französischen Pendants nunmehr hohl. Der Dassault-Chef fühlt sich an bestehende Vereinbarungen nicht gebunden und beansprucht beim Herzstück von FCAS, dem Kampfjet, eine noch weitaus stärkere Führungsrolle für sich. In der aktuellen Aufgabenteilung verderben nach seiner Auffassung zu viele Köche den Brei.
Die Nadelstiche des Dassault-Chefs
Lange beschwichtigte man auf deutscher Seite, Klappern gehöre nun mal zum Handwerk. Die auf Unabhängigkeit bedachte Unternehmenskultur von Dassault, dessen jüdischer Gründer den Holocaust überlebte, sei eben speziell. Doch inzwischen wird immer mehr Beteiligten klar, dass es so nicht weitergehen kann. Alle Jahre wieder über die mühsam austarierte Aufgabenteilung zu diskutieren, ist zermürbend. Dass der Dassault-Chef den Projektpartnern seine Nadelstiche auch noch in aller Öffentlichkeit versetzt, zerstört Beziehungskapital. Hinzu kommt: Er spricht durchaus stellvertretend für die eher lauter als leiser werdende Schar an Souveränisten in den Reihen der französischen Streitkräfte, Beschaffung und Industrie.
Statt zum Leuchtturmprojekt für das Zusammenrücken von Deutschen und Franzosen ist FCAS zur Chiffre für zermürbende Reibereien in der europäischen Rüstungspolitik geworden. Auf beiden Seiten des Rheins kommen überwunden geglaubte Ängste vor der Übervorteilung durch den jeweils anderen auf. Auch in Deutschland haben wieder jene Oberwasser, die schon immer meinten, mit „den Franzosen“ könne man nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten. Dabei ist FCAS operativ noch gar nicht weit gediehen. Ein Demonstratorflugzeug hat auch acht Jahre nach Projektvorstellung noch nicht abgehoben. Das einstige Ziel, das System im Jahr 2040 in Dienst zu stellen, gilt durch die Streitereien der vergangenen Jahre mittlerweile als kaum noch erreichbar.
Industrie und Militärs nicht überzeugt
Dassault mag recht haben, dass sich ein Kampfjet mit einem Architekten effizienter entwickeln lässt als im Verbund, wo ständig jeder mitreden will. Doch eine Führungsrolle bei diesem FCAS-Herzstück haben die Franzosen längst. Berechtigterweise wollen Deutsche und Spanier in diesem rüstungstechnisch sensiblen Bereich jedoch als Partner auf Augenhöhe behandelt werden. Sie wollen die Kampfjetentwicklung nicht vollständig in ausländische Hände geben und ihre Industrie nicht zu Zulieferern degradieren.
Das gilt erst recht angesichts der wachsenden Wahrscheinlichkeit, dass in Paris bald die Rechtspopulisten das Ruder übernehmen und Frankreich ein Partner wird, auf den man sich nur noch eingeschränkt verlassen kann. Schon die aktuelle Regierungskrise und die französischen Budgetprobleme erschweren die Zusammenarbeit.
Es wäre ein Irrsinn, wenn die beiden größten EU-Staaten ausgerechnet in der akuten Bedrohungslage ihre Rüstungszusammenarbeit verringerten. Auch finanziell ist kaum vorstellbar, dass Deutschland und Frankreich ein Luftkampfsystem wie FCAS mit geschätzten Gesamtkosten von 100 Milliarden Euro und mehr unabhängig voneinander stemmen; schon heute gibt es ein britisch-italienisch-japanisches Konkurrenzprojekt.
Doch Irrsinn wäre auch, weiterhin so viel politisches Kapital auf ein Vorhaben zu verwenden, von dem man die Industrie und Militärs partout nicht überzeugen kann, während Russlands hybride Kriegsführung schon heute an allen Ecken und Enden Ressourcen bindet. Europa mag noch weitere Chancen haben, in der Hochtechnologie einen großen Schritt nach vorne zu machen. Die Chancen, FCAS noch auf die Erfolgsspur zu bringen, schwinden dagegen zunehmend.