Ist ein Losverfahren für jedes den Wehrdienst rechtlich zulässig?

Ein Plakat mit einer Bundeswehrsoldatin und der Aufschrift "Für unsere Demokratie aufstehen. Jeden Morgen." hängt in Berlin.


faq

Stand: 15.10.2025 15:45 Uhr

Die Bundesregierung will junge Menschen für die Bundeswehr gewinnen. Politisch umstritten ist, ob das Los entscheiden soll, wenn es nicht ausreichend Freiwillige gibt. Wie ist die Rechtslage?

Was plant die Bundesregierung beim Wehrdienst?

Die Bundeswehr benötigt etwa 80.000 zusätzliche aktive Soldaten. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sich die Bundesregierung auf folgenden Plan geeinigt: Junge Männer ab dem Jahrgang 2008 sollen eine Bereitschaftserklärung abgeben müssen und dabei auch Fragen beantworten zu ihrer Größe, ihrem Gewicht, etwaigen Behinderungen und Qualifikationen.

Daneben sieht der Entwurf auch eine verpflichtende Musterung für diese Jahrgänge vor. Begleitet wird das Ganze von einer Art „Bundeswehr-Charmeoffensive“, mit der die Truppe attraktiver für junge Menschen werden will. So will sie Wehrdienstleistende besser bezahlen und auch einen Führerschein mitfinanzieren. Sollte es trotzdem nicht genug Freiwillige geben, könnte es wieder eine Wehrpflicht geben.

Für eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht gibt es allerdings nicht genug Kasernen und nicht genug Personal. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD eine Orientierung am „schwedischen Modell“ vereinbart. Das basiert weitgehend auf Freiwilligkeit. Dementsprechend verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius, man wolle nur die „5.000 fittesten und motiviertesten“ einziehen.

CDU und CSU wollen aber nicht nur auf Freiwilligkeit setzen. Nach neuen Vorschlägen soll es auch eine zwingende Wehrpflicht nach Bedarf geben. Wenn sich nicht genug Freiwillige finden, dann sollte das Los entscheiden, wer zum Wehrdienst verpflichtet wird. Ob es ein solches Verfahren jedoch geben wird, ist aktuell offen.

Kann die Bundeswehr nur so viele einziehen, wie sie braucht?

Die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt. Aber im Grundsatz gilt weiter die allgemeine Wehrpflicht. Das heißt: Ab ihrem 18. Lebensjahr können Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Hintergrund ist, dass die Bundeswehr im Kalten Krieg einen riesigen Personalbedarf hatte. Den NATO-Verbündeten hatte Deutschland zugesagt, im Kriegsfall ein Heer mit einer halben Million Soldaten bereitzustellen.

Außerdem gibt es auch einen rechtlichen Grund dafür, dass man grundsätzlich alle erwachsenen Männer zum Wehrdienst verpflichtet. Die Pflicht, sein Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen und im Notfall das eigene Leben dafür aufs Spiel zu setzen, ist ein starker Grundrechtseingriff. Diese Pflicht zur Verteidigung der Gemeinschaft soll alle Männer treffen, also gerecht auf allen Schultern verteilt sein.

Das jetzt diskutierte Reformmodell sieht aber eine sogenannte Auswahl- oder Kontingentwehrpflicht vor. Wenn sich nicht genug Freiwillige für die Bundeswehr melden, sollen nur so viele Männer zwangsverpflichtet werden, wie man in der gegenwärtigen Krisenlage braucht.

Einige Verfassungsjuristen sehen hier ein Problem mit der Wehrgerechtigkeit. Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte 2005 festgehalten: Die Zahl der jungen Männer, die tatsächlich Wehrdienst leisten müssen, müsse der Zahl derer „zumindest nahekommen“, die nach den gesetzlichen Regelungen für den Wehrdienst zur Verfügung stehen. Es dürfe keine zu große Lücke entstehen, sonst sei das nicht gerecht im Sinne der Gleichheit, die das Grundgesetz fordert.

Muss die Wehrgerechtigkeit jetzt hintenanstehen?

Der Verfassungsjurist Udo Di Fabio, der für die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ein Gutachten verfasst hat, meint allerdings: Eine Wehrpflicht nur für so viele, wie man gegenwärtig braucht, sei in Ordnung. Es würde nämlich zu lange dauern, zum alten System der allgemeinen Wehrpflicht zurückzukehren. Weil Deutschland jetzt schnell wieder „wehrfähig“ werden müsse, könnte eine Auswahl- oder Kontingentwehrpflicht gerechtfertigt sein, auch wenn es Probleme mit der Wehrgerechtigkeit gebe.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann wies darauf hin, dass es ein übermäßiger staatliche Eingriff sein könnte, wenn der Staat alle zum Wehrdienst heranzieht, auch wenn nicht alle gebraucht werden. Ob eine Wehrpflicht nach Bedarf gegen die Wehrgerechtigkeit verstößt oder nicht, ist also umstritten und müsste wahrscheinlich vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden.

Darf per Los entschieden werden, wer eingezogen wird?

Der Knackpunkt bei dieser Frage ist ebenfalls die Wehrgerechtigkeit. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass es manchmal mehr Wehrpflichtige gibt, als benötigt werden. Es gestattet dem Gesetzgeber deshalb einen weiten Spielraum, Wehrdienstausnahmen und Tauglichkeitsanforderungen zu regeln.

Weil die Wehrpflicht ein schwerer Grundrechtseingriff ist, dürfe der Einzelne nicht willkürlich verpflichtet werden: Wehrdienstausnahmen müssen sachgerecht sein. Wenn nun aber tausende Wehrpflichtige nicht eingezogen werden, weil sie Glück im Losverfahren hatten, stellt sich die Frage, ob das sachgerecht ist.

Udo di Fabio kommt in seinem Kurzgutachten zu dem Ergebnis, dass der gesunkene Personalbedarf einen sachgerechten Grund dafür darstellt, dass eben nicht mehr alle eingezogen werden. Das Losverfahren sei gleichheitsgerecht, weil „die Chancen nach dem Zufallsprinzip für jeden Einzelnen gleich sind“.

Karin Groh von der Bundeswehr Universität in München kann die Argumente für ein Losverfahren nachvollziehen. Allerdings hat sie Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit: „Hier entscheidet der Zufall und nicht – wie erforderlich – ein sachlich rechtfertigender Grund über tiefgehende Grundrechtseingriffe und eine massive Belastungsungleichheit zwischen den jungen Männern eines Jahrgangs.“

Auch Alexander Thiele, Staatsrechtsprofessor an der Business & Law School Berlin, betont, dass der Staat bei einer so wichtigen Entscheidung wie der Wehrpflicht nachvollziehbare Gründe angeben müsse, warum einer ausgewählt wird und der andere nicht. Vorrangig sei eine Auswahl nach Eignung.

Thiele gibt außerdem zu Bedenken: Auch das Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft könnte sehr leiden, wenn es nur auf das Los ankäme. Es könnte den Betroffenen sehr schwerfallen, eine solche Losentscheidung zu akzeptieren.

Source: tagesschau.de