Ist Dua Lipa die beste Literatur-Interviewerin jener Welt?
Dass Stars wie Oprah Winfrey und Jimmy Fallon eigene Buchclubs betreiben, ist nett, aber eigentlich nicht wichtig. Popstar Dua Lipa zeigt indes in ihren Interviews, dass selbst große Late-Night-Hosts bei ihr noch einiges lernen können.
Dua Lipa, eine der größten Popstars der Gegenwart, hat ein ausgesprochenes Talent für Literaturgespräche
Foto: Dan Doperalski/Golden Globes 2024/Golden Globes 2024 via Getty Images
Dua Lipa kann offensichtlich viele Dinge richtig gut. Sie singt, sie tanzt, sie schreibt Pop-Hits und hat sogar mit Donatella Versace gemeinsam eine Kollektion entworfen. Wenn Ihnen aber jemand erzählt, dass sie kürzlich einen Wettbewerb als beste Literatur-Interviewerin gewonnen hat, würden viele denken: Hier hat jemand zu lange am Lack geschnüffelt.
Aber genau so ist das passiert. In einem YouTube-Video (im Stil des Videoprügelgames Mortal Kombat) wurde die Gewinnerin auserkoren. Das Video erzielte innerhalb weniger Wochen über eine Million Aufrufe.
Die Argumentation ist überraschend einfach wie überzeugend. „Ich habe für einen Video-Essay über die Qualität literarischer Interviews in verschiedenen Foren recherchiert“, sagt Autor Blake Lefray, der das Video für seinen noch jungen Kanal zusammengestellt hat. Er stieß auf Lipas Interview mit Hernan Diaz, dem Autor des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Treue, und war „ziemlich überwältigt“.
Obwohl er Diaz schon mehrmals in Interviews mit Journalisten und Fernsehmoderatoren gesehen habe, sei Lipas Interview „mit Abstand das beste“ gewesen. „Zuerst dachte ich, Dua Lipa zur derzeit besten Literatur-Interviewerin zu krönen, wäre lächerlicher Clickbait – aber je mehr ich mir ihre Interviews ansah, desto mehr wurde mir klar, dass sie für mich persönlich derzeit die Beste ist. Sie stellt kluge Fragen, gewürzt mit Empathie und Neugier.“
Alles andere als oberflächlich: Wie macht Dua Lipa das?
Das klingt übertrieben, aber nachdem man sich ein paar Interviews angesehen hat, fällt schnell auf, dass sich etwas anders anfühlt als bei den üblichen PR-mäßigen Phrasen. Im Diaz-Interview fragt Lipa, ob eine seiner Figuren auf einem investigativen Journalisten basiert, dessen Enthüllungen über John D. Rockefeller dazu beitrugen, den Standard Oil Trust zu zerschlagen – und Diaz, der noch nie zuvor von dem Journalisten gehört hat, scheint erstaunt. Ein Gespräch mit der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk enthält einen längeren Exkurs über die Bedeutung von William Blake als Anti-Establishment-Figur im kommunistischen Polen. Ein Gespräch mit dem Autor George Saunders (Lincoln im Bardo) geht über in eine Diskussion über die Bedeutung unvoreingenommener Erstfassungen und zeigt einen (leicht gestarstruckten) Saunders, der Lipa fragt, wie es sich angefühlt hat, in Glastonbury aufzutreten.
All das ist nicht gerade Standard für Autoreninterviews, vor allem nicht im Fernsehen. In Late-Night-Shows sind die Fragen typischerweise oberflächlich – Jimmy Fallons erste Frage ist meist eine Variation von „Wie fühlt es sich an, einen solchen Bestseller geschrieben zu haben?“, während Seth Meyers einen Teil seines Interviews mit Diaz damit verbrachte, ihn nach dem Stift zu fragen, den er zum Handschreiben verwendet. Lorraine Kelly und Angela Rippon sind zwar etwas besser darin, Fragen zu formulieren. Aber ihre Beiträge sind so kurz, dass kaum Zeit bleibt, mehr als die wichtigsten Punkte anzusprechen, geschweige denn eine weitschweifige Diskussion über Schicksal, Empathie oder die Ehegleichheit unter rechten Regierungen zu führen. Podcasts und Buchfestivals machen das natürlich viel besser – und sind möglicherweise ein fairerer Vergleich, aber wie Lefray anmerkt, sind die Interviews dort weniger konsequent als bei Lipa: gelegentlich unbeholfen, manchmal quälend und gequält.
Wie macht sie das? Erstens scheint Lipa viel zu lesen: In einer Grundsatzrede über die Macht des Lesens bei der Verleihung des Booker-Preises 2022 erwähnt sie, wie sie als Teenager durch die Werke des Autors Ismail Kadare den albanischen Widerstandsgeist kennengelernt habe. Ihre Interviews sind Teil des Buchclubs, den sie über ihre Lifestyle-Website Service95 betreibt, und während Zyniker behaupten könnten, es ginge primär darum, eine persönliche Marke aufzubauen und nebenbei etwas Geld mit Affiliate-Links zu verdienen (Reese Witherspoon, Dakota Fanning, Natalie Portman und Jimmy Fallon selbst sind nur einige der Prominenten, die neben Oprah natürlich ihre eigenen Clubs haben), gründete sie ihren ersten Buchclub mit einigen engen Freunden bereits 2019.
Dua Lipas Begeisterung für Literatur ist ansteckend
Sie postete bereits lange vor Service95 Empfehlungen auf Instagram, und ihr eigenes Bücherregal, das in den meisten ihrer Interviews aufreizend sichtbar ist, ist vollgestopft mit einer beeindruckenden Mischung, von Katy Hessels The Story of Art Without Men bis zu Joe Coscarellis Rap Capital. Vielleicht versteht sie als jemand, der im Laufe ihrer Zeit Hunderte von Interviews gegeben hat, auch, was ein gutes Interview ausmacht: Welche Fragen lieben oder hassen Künstlerinnen und Künstler? Was sind die Dinge, die sie gerne gefragt würden? Und was bringt einen dazu, sich der Interviewerin zu öffnen?
Es ist unklar, ob sie die Fragen allein verfasst – ihr Team reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme –, aber sie kennt sich offensichtlich mit dem Stoff aus: Sie kennt stets Nebenfiguren und Nebenhandlungen und wirkt nie überrascht von einer ungeplanten Einlage der Autor:innen.
Darüber hinaus ist Dua Lipa eine gute Interviewerin, weil sie die Bücher so liest, wie Schrifsteller:innen es sich wünschen: Sie taucht aus purer Freude an der Erfahrung in ihre Figuren und Welten ein. Es ist offensichtlich, dass sie aufmerksam und gründlich liest, was ihr ein Verständnis für jedes Werk vermittelt und sie ganz natürlich dazu anregt, mehr erfahren zu wollen. Hört man sich ihre Interviews an, wird man feststellen, dass ihre Begeisterung so ansteckend ist, dass man kaum anders kann, als mehr, umfassender oder einfach besser lesen zu wollen. Und neben all dem hat sie auch noch Songs wie Houdini geschrieben. Hallo, Jimmy Fallon, wird Zeit, einen Gang höher zu schalten.