Investitionsstandort: So begehrt ist Deutschland

Niedrigere Steuern für Unternehmen, mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, weniger Regulierung und niedrigere Energiepreise: In der Generaldebatte im Bundestag zum Haushalt 2026 betonte Kanzler Friedrich Merz (CDU) am Mittwoch noch einmal, was die Regierung aus seiner Sicht alles Wachstumsförderndes tut. Auf der zweitägigen Kabinettsklausur kommende Woche werde es ausschließlich um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Staatsmodernisierung gehen. „Sehr konkrete Entscheidungen“ werde es dazu geben. Merz will nicht nur als Außen-, sondern auch als Wirtschaftskanzler wahrgenommen werden. Anfang der Woche setzte er dafür ein Zeichen, indem er den früheren Commerzbank -Chef Martin Blessing als seinen persönlichen Beauftragten für die Anwerbung von Investitionen ins Kanzleramt berief.
Einige Wochen zuvor ließ sich Merz im Kanzleramt mit rund fünfzig Chefs deutscher Unternehmen ablichten, die in der Initiative „Made for Germany“ gemeinsam für den Standort Deutschland werben. Die Botschaft, die bei diesen Auftritten immer mitschwingt: Der Wirtschaftsstandort ist nicht so schlecht, wie es in der öffentlichen Debatte oft erscheint. „Es gibt ganz viele Faktoren, die für Deutschland sprechen“, findet auch Blessing.
Der am Mittwoch veröffentlichte Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts passt zwar nicht ganz in dieses Bild. Erstmals seit einem halben Jahr hat sich die Stimmung in der Wirtschaft wieder verschlechtert. Doch zwischen all den Zahlen und Nachrichten zur sinkenden Wettbewerbsfähigkeit, den steigenden Kosten des Sozialstaats und der Krise von Auto- und Stahlindustrie findet sich auch Positives: Die von der Bundesbank erfassten Direktinvestitionen von ausländischen Unternehmen in Deutschland sind deutlich gestiegen. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres summierten sie sich auf 68 Milliarden Euro, im Vorjahreszeitraum waren es weniger als 49 Milliarden Euro.
Misstrauen gegenüber Frankreich
„Erstaunlich hoch“ seien die Zahlen in diesem Jahr, sagt Ökonom Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Im Vergleich zu den Jahren 2014 bis 2024 lägen die ausländischen Direktinvestitionen nahe am bisherigen Höchststand. Matthes betont zwar, dass Monatszahlen mit Vorsicht zu betrachten seien und die Bundesbank in der Vergangenheit schon einmal zunächst veröffentlichte Zahlen habe revidieren müssen.
Einen positiven Trend für Deutschland sieht der Ökonom gleichwohl. „Die Investitionszurückhaltung internationaler Investoren in den USA nimmt zu. Der schwache Dollar zeigt das sehr deutlich“, analysiert Matthes. „Auch Frankreich wird von den Anlegern wegen der politischen Aussichten und der ausbleibenden Reformen zunehmend kritischer gesehen.“ Mit Deutschland verbänden die Investoren dagegen eher optimistische Erwartungen.
Vor Kurzem sah das Bild noch nicht so gut aus. Gerade einmal 608 neue Investitionsprojekte ausländischer Unternehmen hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY für das Jahr 2024 hierzulande gezählt. Das war der sechste Rückgang in Folge und der niedrigste Stand seit dem Jahr 2011. Auch die Direktinvestitionen, also langfristige Investitionen ausländischer Investoren in deutsche Unternehmen, waren im vergangenen Jahr schwach. Zudem floss erheblich mehr Geld in die entgegengesetzte Richtung – deutsche Unternehmen investierten lieber in Amerika, China oder Osteuropa als vor der eigenen Haustür. Das tun sie auch im ersten Halbjahr dieses Jahres, wie aus der Statistik hervorgeht, weshalb der Saldo der Investitionen immer noch negativ ist.
EY-Deutschlandchef Henrik Ahlers will noch nicht von einer Trendwende sprechen. Bei seinen Gesprächen mit ausländischen Investoren beobachte er aber „eine neue Neugierde“ an Deutschland. „Es gibt eine große Bereitschaft, sich den deutschen Markt anzusehen, aber der große Startschuss ist noch nicht gefallen“, sagt Ahlers im Gespräch mit der F.A.Z. Vor allem das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur und den Klimaschutz sowie die Lockerung der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben habe Investoren hellhörig werden lassen. Die großen Techunternehmen, die in den vergangenen Jahren vor allem in München und Berlin investiert haben, lauerten zudem darauf, dass der deutsche Mittelstand eine Modernisierungsoffensive starte.
„Deutschland ist Hochtechnologieführer“
Achim Hartig leitet den Bereich Investorenanwerbung bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes, Germany Trade & Invest (GTAI). Er beobachtet zwei unterschiedliche Sichtweisen auf den Standort. „In Deutschland neigen wir dazu, den Standort eher negativ zu sehen. Im Ausland genießen wir dagegen weiter ein hohes Ansehen. Was dort besonders zählt: politische Stabilität, Rechtssicherheit und die Größe des Marktes. Da stehen wir nach wie vor sehr gut da.“ Hartig verweist darauf, dass derzeit aus der Schweiz viele Unternehmen nach Deutschland kämen, um von den Freihandelsabkommen der EU zu profitieren. In den jüngsten Zollentscheidungen von Donald Trump war die Schweiz einer der größten Verlierer. Die Berufung von Martin Blessing ins Kanzleramt und zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der GTAI wertet als Hartig als gutes Signal: „Je höher das Thema aufgehängt ist, desto besser.“
In der GTAI haben sie viele Beispiele von Unternehmen parat, die in Deutschland investieren. Der amerikanische Pharmahersteller Eli Lilly, der in Alzey eine neue Fabrik baut. Der taiwanische Chiphersteller TSMC, der in Dresden ein Werk errichtet. Apple mit seinem neuen Forschungszentrum in München, Microsoft mit seinem Hochleistungsrechenzentrum in Nordrhein-Westfalen. Auch der breiten Öffentlichkeit weniger bekannte Unternehmen wie Urenco, das im westfälischen Gronau eine Milliarde Euro in eine Anlage zur Anreicherung von Uran investiert, sähen hier eine Zukunft.
„Auch wenn die Lage der Autoindustrie einen anderen Eindruck erweckt: Deutschland ist Hochtechnologieführer“, sagt Hartig. „Mit Forschungsinstituten wie Fraunhofer und Helmholtz oder dem Großrechner in Jülich sind wir vorn dran.“ Allerdings müsse Deutschland besser darin werden, die Erkenntnisse aus der Forschung in Produktionsprozesse zu übertragen. Und natürlich gibt es auch die Negativbeispiele: die abgesagte Intel-Fabrik in Magdeburg zum Beispiel oder die Ansage des Stahlherstellers Arcelor Mittals, statt in Deutschland in Ländern mit niedrigeren Energiekosten zu investieren.
Physische Investitionen in Fabriken sind in der Politik besonders gefragt. Angesichts von inzwischen wieder drei Millionen Arbeitslosen und der Stellenabbaupläne der Automobilhersteller ist jeder neue Arbeitsplatz in Deutschland hoch willkommen. Zu den Direktinvestitionen zählen aber auch Kapitalflüsse, etwa für Beteiligungen an deutschen Unternehmen, die einen Schwellenwert von zehn Prozent überschreiten.
Kapital sucht Anlagemöglichkeit
Lukas Poensgen weiß, wie gefragt deutsche Unternehmen derzeit im Ausland sind. Als Ko-Leiter des Bereichs Fusionen und Übernahmen (M&A) in Europa, dem Nahen Osten und Afrika ist der Investmentbanker der Bank of America an zahlreichen Unternehmenstransaktionen beteiligt. „Es gibt zweifelsohne ein verstärktes Interesse an Deutschland“, sagt Poensgen. Lange habe es bei Investoren einen starken Fokus auf Amerika gegeben. Die globalen wirtschaftspolitischen Verschiebungen, aber auch die neue Bundesregierung, die als unternehmensfreundlicher wahrgenommen werde, hätten das geändert. Vor allem Abspaltungen von Industrieunternehmen seien gefragt. Die Käufer seien oft Private-Equity- Unternehmen, die die Unternehmen dann in der Regel schlanker und agiler machten. „Die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes profitiert davon“, sagt Poensgen. Insgesamt sei sehr viel Geld im Markt, für Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas sei das eine Chance.
Wie Deutschland diese Chance nutzen kann, dazu sind sich der Banker, der Ökonom und der Wirtschaftsprüfer einig. „Die Wirtschaftswende muss jetzt auch wirklich kommen“, sagt IW-Experte Matthes. „Das Allerwichtigste sind ein wettbewerbsfähiges Umfeld und schnelle Genehmigungsprozesse, alles andere ist für Investoren abschreckend“, ergänzt Banker Poensgen. Und auch für EY-Chef Ahlers sind zwei Faktoren entscheidend: schnellere Genehmigungsverfahren und weniger Bürokratie. „Die Investoren brauchen die Gewissheit, dass sie es schnell an den Markt schaffen, wenn sie hier investieren.“ Als Vorteil sieht er, dass an Standorten wie München Fachkräfte verfügbar seien. Auch in anderen Regionen, zum Beispiel am Technologiecluster Heilbronn, bewege sich vieles in die richtige Richtung.
Qualifiziertes Personal und Innovationskraft waren auch zwei Anziehungspunkte, die 1800 von der GTAI befragte Unternehmen aus Großbritannien, Frankreich, den USA, Japan und Südkorea in einer im Juni veröffentlichten Standortstudie nannten. Doch selbst den vielen Regeln konnten die Unternehmen etwas Positives abgewinnen: Immerhin gebe es in Deutschland funktionierende gesetzliche Rahmenbedingungen. In der heutigen Zeit ist das nicht mehr selbstverständlich.