Interview mit Coach Christian Conrad: Wie eine „magnetische Unternehmenskultur“ entsteht

Ein erstes Match gibt es, wenn man das Gefühl hat, dass das Unternehmen mit den eigenen Werten und Zielrichtungen übereinstimmt. Da geht es um Purpose, um Haltung, um Themen, die über das Geldverdienen hinausgehen. Außerdem zieht es an, wenn ein Unternehmen Energie verströmt, wenn potenzielle Mitarbeiter das Gefühl haben „Da brennt die Luft, da möchte ich dabei sein, das macht richtig Spaß“. Eine weitere Dimension, auf die ich mich fokussiere, ist die Beziehungsdimension. Wer das Gefühl hat, eine emotionale Verbindung zu den Menschen, zum Team, zur ganzen Organisation zu haben, der identifiziert sich mit dem Unternehmen.
Zur Person
Was bedeutet das für Führungskräfte? Wie stellen sie diese Verbindung her?
Zunächst sollten sie messen, wo ihr Unternehmen in dieser Hinsicht steht, wo Stärken und Schwächen liegen. You can only manage what you can measure. Grundsätzlich kann man emotionale Verbundenheit schon dadurch steigern, dass man das Umfeld attraktiver gestaltet. Es macht beispielsweise etwas aus, wie das Büro aussieht. So lassen sich negative Punkte reduzieren. Was aber nachhaltig zu echtem Engagement führt, ist eine Verhaltensänderung der Führungskräfte. Meine Hypothese ist, dass es Gewohnheiten gibt, die einen überproportionalen Einfluss auf die Organisation haben.
Ich habe drei Gewohnheiten identifiziert, die unter Garantie das Engagement-Niveau erhöhen, wenn sie auf täglicher Basis umgesetzt werden. Beim ersten handelt es sich um verbindendes Zuhören. Dabei geht es nicht um Lösungsfindung oder darum, die eigene Meinung zu platzieren. Sondern ich höre dem Gegenüber zu, um die Beziehungsebene zu stärken. Und was erst mal nicht so intuitiv erscheint: Dadurch passiert betriebswirtschaftlich eine ganze Menge. Denn Missverständnisse – der größte Produktivitätskiller überhaupt in Unternehmen – werden verhindert. Zwischen Einzelpersonen, an Schnittstellen, zwischen Hierarchieebenen, intern wie extern. Außerdem wächst das Vertrauen. Und wenn das Vertrauen hoch ist, gehen Dinge schneller und Transaktionskosten sinken.
Und die zweite Gewohnheit?
Positive Bestärkung. Das ist nicht zu verwechseln mit einfachem Loben. Vor 20 Jahren hat ein Chef von mir mal den flapsigen Spruch gesagt: „Ich versuche, die Leute dabei zu erwischen, wie sie Sachen richtig machen.“ In vielen Organisationen schaut man auf das, was falsch läuft, und kennt es nicht, dass jemand den Scheinwerfer auf das richtet, was richtig gut läuft. Dabei hat auch das neben einer Beziehungs- eine Betriebswirtschaftsagenda. Denn wenn man mehr von dem macht, was gut läuft, macht man automatisch weniger falsch.
„Wir wollen keine Happy Low Performer züchten.“
Dennoch gibt es manchmal Situationen, in denen zur Sprache kommen muss, was falsch läuft.
Stimmt. An der Stelle kommen wir zur dritten Gewohnheit. Ich nenne sie Feed Forward. Anders als bei Feedback geht es hier um eine nach vorne gerichtete Kommunikation. Es ist auch nichts, was ich bekomme, sondern was ich aktiv einhole. Die Idee dabei ist, ein kontinuierliches Verbesserungs-Mindset im Unternehmen zu verankern.
Was heißt das konkret?
Das heißt, jeder im Unternehmen sollte für sich definieren, wo er oder sie sich verbessern kann und sich Tipps bei Kollegen holen – idealerweise auch außerhalb des eigenen Teams. Diese dritte Komponente ist die Grundlage für eine Performance-Kultur. CEOs haben verständlicherweise Sorge vor Happy Low Performern, und die wollen wir auch nicht züchten. Feed Forward stärkt die Eigenverantwortlichkeit. Erst wenn die etabliert ist, kann im nächsten Schritt eine Feedback-Kultur eingeführt werden. Dann kann einander ganz offen gesagt werden, wo etwas nicht gut läuft – und zwar wie in einem Gespräch mit einem Trainer, der nichts Böses im Sinn hat, sondern das Beste aus mir herausholen möchte.
Klingt anspruchsvoll.
Ja, Feedback geben und nehmen muss man wirklich lernen. Insbesondere, weil wir im deutschsprachigen Raum definitiv ein Wertschätzungsdefizit haben. Sobald die Menschen aber das Gefühl haben, sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen und mit ihren Leistungen gesehen zu werden, kann darauf eine Performance-Kultur aufsetzen. Wichtig ist: Das muss von oben nach unten gelebt werden. Das C-Level muss Weltmeister sein im Empfangen von Feedback. Da liegt oft die Krux.
TW Podcast
Führung extrem: Learnings aus der Todeszone
Benedikt Böhm besteigt 8000 m hohe Berge. Ohne Sauerstoff. Und sehr schnell, im „Speed-Stil“. Das erfordert viel Vorbereitung, eisernes Training und Disziplin. Daneben hat Böhm in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich das Unternehmen Dynafit geführt. Und die einst insolvente Brand zu der wohl bekanntesten Skitouren-Marke gemacht. Was Extremsport und Management-Skills miteinander verbindet, erklärt er Host Charlotte Schnitzspahn im TW Podcast.
Wie lässt sich das auf den Modehandel übertragen, speziell auf die Mitarbeitenden auf der Fläche?
Man muss dem Team vermitteln, dass viel mehr hinter dem Beruf steckt, als von morgens bis abends zu verkaufen. Etwa indem man sich zusammensetzt und überlegt: Wie können wir das Kauferlebnis für die Kunden besser machen? Wie können wir attraktiver werden, mehr Kunden gewinnen, die Servicequalität steigern? All das hilft, um die emotionale Verbundenheit zu stärken. Und natürlich die Frage danach, was es von der Führungskraft braucht, damit jeder sein Potenzial entfalten kann.
Sie haben viel über Emotion, über Begeisterung gesprochen. Wie wichtig sind finanzielle Anreize oder flexible Arbeitszeitmodelle?
Eine leistungsgerechte Bezahlung und eine gewisse Flexibilität sind zum Basisfaktor geworden. Wenn das nicht gegeben ist, findet man heute kaum jemanden. Aber das sind Dinge, die zufrieden machen, jedoch keine Begeisterung auslösen. Auch eine Gehaltserhöhung begeistert nur kurz, bis man sich an das neue Niveau gewöhnt hat. Eine unheimlich enge Beziehung zu den Kollegen erlebt man hingegen nicht überall. Und die ist vielen dann auch mehr wert als 1,50 Euro zusätzlich pro Stunde.
Bis jetzt ging es vor allem darum, Mitarbeiter zu binden. Wie findet man überhaupt die richtigen?
Aus dem Vertrieb kennt man den Unterschied zwischen Hunting und Farming. Dieses Bild sollte stärker auf den Arbeitsmarkt übertragen werden. Denn es ist viel leichter, Leute zu halten, statt neue zu gewinnen und zu integrieren. Und wenn die Belegschaft begeistert ist von dem Unternehmen, dann empfiehlt sie es auch weiter. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ich auf eine Empfehlung hin einen Job annehme oder zumindest schon mal zum Bewerbungsgespräch gehe, als nach einer Recruiter-Werbung.