Interview | Mach dich stark!
Netzwerke bilden und der Kinderarmut den Kampf ansagen – das hat sich die Initiative MACH DICH STARK vorgenommen. Deren Arbeit erklären Kim Hartmann und Simon Näckel.
der Freitag: Der Name Ihrer Initiative klingt sehr appellativ. An wen wenden Sie sich?
Kim Hartmann: Die Kinderhilfeinitiative im Südwesten richtet sich an Personen, Organisationen, Institutionen und Unternehmen, die verstanden haben, dass Kinderarmut ein wichtiges Thema ist und die sich engagieren wollen. Ausgangspunkt war eine Studie des Caritasverbandes 2009, die erstmals dokumentierte, dass es auch in unserem wohlhabenden Baden-Württemberg Kinderarmut gibt und welche Auswirkungen das hat. Wir wollten etwas Neues ausprobieren.
Wer unterstützt Sie?
KH: Wir haben mittlerweile 50 Partner, zu einem großen Teil aus dem sozialen Bereich, aber auch in Kunst und Kultur, Wirtschaft und Medien, die uns vor Ort unterstützen. Dazu gehören direkte Hilfeleistungen, etwa wenn Geld für eine Sportausrüstung oder ein Musikinstrument benötigt wird. Uns geht es aber vor allem auch darum, die systemischen Ursachen von Kinderarmut deutlich zu machen und das Bewusstsein für Kinderarmut zu stärken. Dabei unterstützen uns die Repräsentanten vor Ort. Und wir suchen den Dialog mit Entscheidungsträgern, um zeitgemäße Lösungsansätze zu finden. Um ein Beispiel zu nennen, dass dabei auch Zufälliges entsteht: Beim Internationalen Trickfilm-Festival vergangenes Jahr erklärten die Verantwortlichen, das Thema sei ihnen sehr wichtig. Wir entwickelten die Idee, einen eigenen Wettbewerb auszuschreiben. Daraus ist der Animationsfilm Versteckte Helden entstanden, entwickelt von Filmschaffenden, die mit dem sozialen Bereich gar nichts zu tun haben.
Es geht also um mehr als Charity?
KH: Genau, und das ist manchmal gar nicht leicht zu kommunizieren. Denn natürlich soll den Kindern auch unmittelbar geholfen werden. Aber insgesamt müssen wir dickere Bretter bohren …
… weil Kinderarmut eine komplexe Lebenslage ist.
Simon Näckel: Ja, Kinderarmut ist nicht nur auf den Mangel an finanziellen Mitteln zurückzuführen, sondern hat Auswirkungen auf Wohnen, Gesundheit, Teilhabe, Bildung, Mobilität. Das wurde auch in den drei Jahren Pandemie deutlich. Für armutsbetroffene Kinder und Jugendliche, die in beengten Wohnverhältnissen leben, verschlechterten sich die Zugänge zu Bildung weiter. Es geht nicht nur um eine bessere monetäre Absicherung, sondern auch um die soziale Infrastruktur. Das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden, sondern es bedarf einer umfänglichen Strategie.
Was halten Sie von der Kindergrundsicherung?
SN: Sie ist von der Grundidee her ein sinnvolles Instrument, um Kinder- und Familienarmut in Deutschland zu bekämpfen. Wir haben große Hoffnungen und benennen seit Langem die aus unserer Sicht bestehenden Ungerechtigkeiten, wie die Unterdeckung der Regelbedarfe oder die zu hohen Hürden bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Nur das, was aktuell geplant ist, entspricht nicht dem, was wir uns vorstellen. Die Kindergrundsicherung muss vor allem auskömmlich sein, das soziokulturelle Existenzminimum für Kinder und Jugendliche an gelingenden Entwicklungs- und Teilhabechancen knüpfen. Aber wir erkennen noch nicht, wie das konkret umgesetzt werden soll, und befürchten, dass sich der maximale Betrag der Kindergrundsicherung nicht an den mittleren Lebenslagen orientiert, sondern künstlich wieder heruntergerechnet wird. Wir versprechen uns von der Grundsicherung, dass das Versprechen, jedes Kind sei gleich viel wert, eingelöst wird. Eine Gleichstellung mit den steuerlichen Entlastungen über den Kinderfreibetrag muss von Beginn an erfolgen.
Die Klassenfahrt, die aus der Schulkasse bezahlt wird, kann für Kinder zur Belastung werden, weil sie als Bedürftige in Erscheinung treten. Wie begegnen Sie dem?
KH: Wir machen viel Netzwerkarbeit, bei der die Beteiligten viel voneinander lernen. Da braucht ein Kind etwa einen Taschenrechner und man will ihm das Geld aber nicht direkt schenken, um nicht auf seine Bedürftigkeit aufmerksam zu machen. Daraufhin hat jemand die Idee, eine Börse ins Leben zu rufen, auf der solche Dinge ausgetauscht werden, und daran haben alle teil. So entstand beispielsweise auch eine Fortbildung für Kita-Leiterinnen, die lernten, wie das Thema Armut sensibler gehandhabt werden kann. Auch das ist für uns ein gemeinschaftlicher Auftrag, so wie wir politisch darauf hinwirken wollen, dass Teilhabe wirklich gelebt werden kann.
SN: Um noch mal auf die strukturelle Ebene zu kommen: Eine Kernforderung von uns ist, dass Angebote der Kinder- und Familienbildung, die auf kommunaler Ebene niedrigschwellig konzipiert und gerade nicht mit einem Stigma behaftet sind, regelfinanziert werden. Die Kinder- und Familienzentren in Baden-Württemberg etwa richten sich an jede und jeden, mit spezifischen Schwerpunkten natürlich, aber man wird nicht schief angeschaut, wenn man ein solches Angebot annimmt. Solche Einrichtungen müssen ausgebaut und finanziell gesichert werden.
Was wünschen sich, Ihrer Erfahrung nach, die Kinder und Jugendlichen selbst?
KH: Bei uns spielt Kinderpartizipation eine sehr wichtige Rolle. Kinder haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie wollen friedlich miteinander spielen, mit ihren Freunden gemeinsam zum Kicken gehen oder zusammen in den Sportverein, auch wenn manche unter ihnen vielleicht ärmer sind.
Kim Hartmann ist Koordinatorin des Projekts MACH DICH STARK
Simon Näckel arbeitet als Fachexperte der in Stuttgart ansässigen Initiative