Interview: Frauen, die Mörder lieben. Ein Gespräch jenseits ein verstörendes Phänomen

Interview
Geliebte Mörder
Sie sitzen im Gefängnis, weil sie Menschen umgebracht haben – und trotzdem fühlen sich Frauen zu ihnen hingezogen. Warum? Die amerikanische Journalistin Sheila Isenberg beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit diesem Phänomen.
Frau Isenberg, woher kam Ihr Interesse für Frauen, die sich in Mörder verliebt haben?
Eines Tages las ich in der Zeitung von einem Wall-Street-Börsenmakler, der wegen des Mordes an seiner zweiten Ehefrau vor Gericht stand. Daneben war das Foto einer attraktiven blonden Frau – seiner Verlobten, wie die Bildunterzeile verriet. Ich fand das seltsam. Warum sollte sich jemand mit einem Mann verloben, der wegen Mordes angeklagt ist? Und dann noch an seiner eigenen Frau? Das war der Moment, in dem es mich gepackt hat. Als Reporterin hatte ich jahrelang über Verbrechen berichtet und auch immer wieder Geschichten von Frauen gehört, die Beziehungen zu Männern im Gefängnis eingegangen waren. In der New York State Library durchforstete ich Fachzeitschriften und Psychologiebücher zu diesem Phänomen. Die New York State Library gehört zu den größten Bibliotheken der Welt. Und ich fand zu dem Thema nichts. Absolut nichts!
Was sind das für Frauen, die sich zu Verbrechern hingezogen fühlen?
Hausfrauen, Lehrerinnen, Krankenpflegerinnen, Anwältinnen, Professorinnen – jeder Typ von Frau war unter meinen Interviewpartnerinnen vertreten. Die meisten waren in ihren Dreißigern oder Vierzigern. In der Regel hatten sie zuvor nie etwas zu tun mit Verbrechen, Gefängnissen oder harten Drogen. Als Kinder waren sie eher brave Mädchen als Störenfriede. Ich würde sagen: Es sind normale Frauen – wie Sie und ich.
Erschienen in stern Crime 58/2024
Source: stern.de