„Insomnia“ von Trettmann: Sein Name ist Stefan
Trettmann
hat seine Mütze abgesetzt, und das ist etwas Besonderes. Die Blende des
Basecaps hatte in den letzten Jahren immer dafür gesorgt, dass das Gesicht des
Künstlers im Schatten und seine Mimik im Verborgenen blieb. Nun trägt er zwar
immer noch eine obligatorische, nicht zu klein geratene Sonnenbrille, doch schon
sein einsehbarer Gesichtsausdruck zeigt, dass Insomnia nicht nur der Titel
seines neuen Albums ist, sondern in den letzten Jahren offenbar Realität des
Musikers war.
In
seinen schlaflosen Jahren hat Trettmann mit dem Produzententeam Kitschkrieg deutschsprachigen
Pop und Rap geprägt. 2017 veröffentlichte er mit DIY ein großes Album über
das Aufwachsen in Karl-Marx-Stadt und die Nachwendejahre. Noch vor dem 30-jährigen
Jubiläum des Mauerfalls und dem damit verbundenen Überfluss an Ostgeschichten beschrieb
er seine Lebensumstände im Realsozialismus und deren Folgen für die Geschichtsschreibung
der Popmusik. Ganz ruhig skizzierte er in Songs wie Grauer Beton die
Tristesse, aber auch die schönen Momente, die seiner Kindheit innewohnten. Später
ging es auf DIY um die Baseballschlägerjahre, den Rechtsruck und neue
Worte für dessen Veranschaulichung. „Seelenfänger schleichen um den Block und/
Machen Geschäft mit der Hoffnung“ – es ist Trettmans große Stärke, in wenigen Worten alles zu sagen,
was gesagt werden muss.
Der
Karriereaufschwung kam spät für ihn, mit über 40, weil erst dann jedes Detail
saß. Textlich, soundästhetisch, visuell. Trettmann performte, Kitschkrieg
lieferten die zugehörige Bildsprache, gehalten in schwarz-weiß, und natürlich
gehörte dazu auch das Cap auf Trettmans Kopf. Es gibt mehrere mögliche Gründe dafür. Insomnia ist ein
Schlussstrich nach dem Schlussstrich. Es ist das dritte und letzte Album, das
Trettmann zusammen mit Kitschkrieg aufnehmen wollte und eine Abkehr von Rapmusik
noch dazu, in deren Kontext Trettmann immer verankert schien. Zugleich arbeitet
der Künstler damit Jahre im Rausch auf, an deren Ende eine Trennung von der
Mutter seines Kindes stand.
„Für
mich eigentlich Relikt aus’n nineties/ Smileys, fremdgeh’n, Coke/ Wink‘ nicht mehr
ab, wenn mich wer einlädt/
Fremde Frau auf mei’m Schoß“, singt Trettmann im ersten Insomnia-Song
6 Nullen. Zu beinahe vollständig heruntergefahrener Musik beschreibt er wiederentdeckte Muster aus seiner Jugend. Schon damals hat Trettmann Musik gemacht und Partys veranstaltet,
Reggae auf Sächsisch produziert und sich lange Zeit abgemüht, bis es 2016 zur
Kooperation mit Kitschkrieg und kommerziellen Erfolgen kam. Diese Erfolge
wiederum gingen auf Kosten seines Privatlebens, all die Konzerte und Termine,
heißt es auf Insomnia, hätten ihn emotional zugrunde gerichtet.
Trettmann inszeniert diesen Zustand als Dissoziation: „So oft weiß ich
nicht mehr, wer ich bin/ So weiter oder schmeiß ich alles hin?“
Insomnia erscheint
nach einer Auszeit. Einige Monate Askese im Ausland, kein Feiern, keine Drogen,
kein Sex und dann die Arbeit an einem Album, das dem Perfektionismus gerecht
werden musste, der bei Trettmann und Kitschkrieg immer wichtig war. Noch einmal
soll die Platte zeigen, was möglich ist im deutschsprachigen Popmainstream,
dafür haben die Künstler fast alles versammelt, was an Stars gerade zu haben ist und bereit war, sich der minimalistischen Soundästhetik von Insomnia unterzuordnen.
Bestes
Beispiel dafür ist der Song Timeline, in dem Lena Meyer-Landrut mit manipulierter
Stimme und das erste Mal seit Langem auf Deutsch singt. Gegen Ende des Stücks
verändert sich der Beat, düstere Amapiano-Grooves setzen ein, also jener
panafrikanische Sound, der in Großbritannien schon im Radio läuft, in
Deutschland aber noch ein Fall für hippe Partys ist. Außerdem gibt es Lieder
mit Herbert Grönemeyer, Henning May von AnnenMayKantereit und der Wiener
Kitschpopband Bilderbuch, mit Paula Hartmann und Nina Chuba, die maximal in der Grundschule
waren, als Trettmann im Jahr 2006 zum ersten Mal in den Charts stand.
Diese
Gastmusikerinnen und -musiker aus verschiedenen Generationen zeigen, dass die deutsche
Rapszene für das Schaffen von Trettmann keine Rolle mehr spielt. Mitglieder von
187 Strassenbande, mit denen Trettmann früher kontrovers kooperierte, finden
auf Insomnia keinen Platz mehr. Außerdem setzen die Gastauftritte Präzision
über Namedropping: als würden sie Trettmanns musikalische Trauerbewältigung in
den richtigen Momenten ergänzen und ihm Raum zum Innehalten verschaffen, den auch die meist nur angedeutete Musik lässt.
Die Selbstbefragungen des Künstlers sind detailliert, ohne notwendigerweise
Antworten finden zu müssen. Jede Sekunde auf Insomnia erscheint im
besten Sinne durchgetaktet.
Und
dann gibt es noch den Song Stefan Richter, benannt nach dem Musiker
selbst, gemeinsam aufgenommen mit Grönemeyer. Das Stück zeigt, in welche
Richtung sich Trettmanns Schaffen ohne Kitschkrieg entwickeln könnte, zu einer Art digitalem Songwriter-Leidensmann, der Verletzung und Verfehlung nicht mehr traditionell zur Gitarre performt. In diesem
Jahr wird Trettmann 50 Jahre alt, der Fokus scheint sich zu verschieben: Weg von den
Partys zur Innenschau und ständigen Selbstoffenbarung, die sich nicht mehr nur
auf die Vergangenheit bezieht. „Trag Brille everyday/ Sie versteckt
den pain„, singt Trettmann und fragt sich, wann der Moment gekommen
ist, an dem auch dieses Accessoire der Verschleierung fallen wird. Die
Kunstfigur Trettmann könnte sich dann auflösen in der Person Stefan Richter.
„Insomnia“
von Trettmann ist bei Soulforce/BMG erschienen.