Inflation: Wenn Profitgier die Preise treibt
Die Preise für Lebensmittel steigen nicht nur wegen der höheren Kosten. Die Branche steht wegen übermäßiger Gewinnmitnahmen im Verdacht. Sollte der Staat eingreifen?
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Inflation
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Wenn Profitgier die Preise treibt – Seite 1
Süß zu essen, muss man sich leisten können. Kein Produkt ist zuletzt so stark im Preis gestiegen wie Zucker. Im Schnitt 71 Prozent mussten Verbraucher im April im Vergleich zum Vorjahresmonat draufzahlen. Während sich die Inflationsrate in Deutschland insgesamt langsam etwas abschwächt – sie liegt derzeit bei 7,2 Prozent – steigen die Preise für Lebensmittel weiter stark. Im April legten sie im Schnitt um 17,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu. Auch Milchprodukte, Getreide und Fisch sowie Marmelade und Honig wurden deutlich teurer.
Die teilweise enormen Preissteigerungen im Supermarkt lassen sich nicht allein auf gestiegene Rohstoffpreise und Produktionskosten zurückführen. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass auch das Profitstreben der Konzerne die Teuerung hierzulande getrieben hat. So konnten manche Unternehmen die Preise stärker erhöhen, als es angesichts der Kosten womöglich notwendig gewesen wäre, und ihre Gewinne steigern. Die Debatte darüber hat den Begriff der Gierflation hervorgebracht. Es ist ein schwerwiegender Vorwurf: Bereichern sich Lebensmittelindustrie und -handel tatsächlich übermäßig, während Verbraucherinnen und Verbraucher immer weiter draufzahlen?
Wer besonders stark von Preiserhöhungen profitiert, lässt sich nicht genau untersuchen, da viele Unternehmen ihre Geschäftszahlen nicht veröffentlichen. Auch die Kostenkalkulationen der Hersteller für einzelne Produkte sowie die Preisverhandlungen mit dem Handel sind nicht transparent. Eine Analyse der 70 größten europäischen Unternehmen aus der Konsumgüterbranche, die ihre Geschäftszahlen veröffentlichen, ergab jedoch zuletzt, dass vor allem größere Herstellerkonzerne ihre Gewinne im vergangenen Jahr steigern konnten. Der Auswertung zufolge, welche die Beratungsgesellschaft Oliver Wyman für das Handelsblatt erstellt hat, konnten auch die Händler ihre Margen leicht erhöhen.
„Hungrig nach Profiten“
Dazu passt eine Studie, die der Kreditversicherer Allianz Trade Ende April veröffentlicht hat. „Übermäßige Gewinnmitnahmen“ der Unternehmen hätten „einen kleinen, aber trotzdem bedeutenden Anteil“ zur Lebensmittelinflation im vergangenen Jahr beigetragen, heißt es darin. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass „mehr als ein Drittel des jüngsten Anstiegs der Lebensmittelpreise“ in Deutschland nicht mit den traditionellen Treibern wie den Rohstoffkosten oder der Entwicklung der Energiepreise erklärt werden könne. Insbesondere die Lebensmittelhersteller seien „hungrig nach Profiten“. Sie hätten die Preise wesentlich stärker erhöht als die Einzelhändler.
Das Motiv dahinter muss nicht zwingend Gier sein. Auch Unsicherheit über die Entwicklung der Kosten dürfte im vergangenen Jahr eine große Rolle gespielt haben. Manche Unternehmen haben ihre Preise wahrscheinlich vorsorglich erhöht, weil sie davon ausgegangen sind, dass sie künftig teurer einkaufen müssen. Inzwischen ist die Lage bei den Energie- und Erzeugerpreisen allerdings lange nicht mehr so dramatisch wie im vergangenen Jahr. Zwar liegen die Erzeugerpreise im Schnitt immer noch über dem Niveau des Vorjahres, aber nur noch um 4,1 Prozent. Im April ist die Teuerungsrate zum siebten Mal infolge gesunken.
Die Lebensmittelindustrie weist die Vorwürfe, sich unangemessen zu bereichern, zurück und auch der Handel beteuert, sinkende Rohstoffpreise an die Verbraucher weiterzuleiten. Im Supermarkt ist davon teilweise allerdings noch wenig zu spüren, wie Ökonomen beobachten. „Die Verbraucherpreise bei vielen Lebensmitteln sind nach wie vor hoch, während die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft und die Preise für Vorprodukte für die Lebensmittelindustrie in vielen Fällen wieder gesunken sind“, sagt Joachim Ragnitz vom ifo Institut. Milch und Speiseöl etwa seien immer noch vergleichsweise teuer, obwohl die Erzeuger dafür schon wieder weniger erhielten. „Hier wurden offensichtlich die Gewinne gesteigert.“
Der Agrarökonom Stephan Cramon-Taubadel von der Universität Göttingen sieht das ähnlich. Er gibt zu bedenken, dass die Rohstoffpreise manchmal nur einen kleinen Teil der Kosten ausmachten, beispielsweise bei Brötchen. Im Durchschnitt liege der Rohstoffanteil an den Verbraucherausgaben bei Lebensmitteln bei knapp einem Viertel. Doch auch Cramon-Taubadel sagt: „Der Verdacht liegt nahe, dass manche Unternehmen die Situation ausnutzen, um Gewinnmargen zu erhöhen.“
Was hilft gegen Gierflation?
Die Leidtragenden sind vor allem die Verbraucherinnen. Weil die Löhne deutlich langsamer steigen als die Preise, hat die Kaufkraft der Menschen abgenommen. Im vergangenen Jahr sanken die Reallöhne gegenüber 2021 um vier Prozent, es war der dritte Rückgang in Folge. Die hohe Inflation schwächt aber auch die Wirtschaft insgesamt: Vor allem sinkende Konsumausgaben haben dazu geführt, dass die Wirtschaftsleistung das zweite Vierteljahr in Folge geschrumpft ist. Erstmals seit Beginn der Coronapandemie 2020 befindet sich die deutsche Wirtschaft damit in einer Rezession.
Um die Verbraucher zu entlasten, forderte die oppositionelle Linkspartei schon Ende des vergangenen Jahres als Ergänzung zur Strom- und Gaspreisbremse auch eine Preisbremse bei Lebensmitteln. Und angesichts der gestiegenen Gewinnmargen von Unternehmen zeigten sich auch Vertreterinnen der Regierungsparteien zuletzt alarmiert: „Wer gestiegene Kosten nur vorschiebt, um seinen Gewinn zu erhöhen, handelt unanständig“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken Anfang Mai. Es sei nicht hinzunehmen, dass Familien am Essen sparen müssen, um über die Runden zu kommen, während Unternehmen die Preise hochhielten. Doch wie ließen sich überzogene Preiserhöhungen verhindern?
Was Preisbremsen für Lebensmittel angeht, sind Ökonomen eher skeptisch. Schließlich sind die meisten Preiserhöhungen gerechtfertigt, weil die Kosten tatsächlich gestiegen sind. „Preisbremsen sind deshalb schwierig umzusetzen und könnten Engpässe bei Produkten verstärken“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ragnitz. Auch Übergewinnsteuern hält er für wenig praktikabel. Die Androhung von solchen Steuern könne Unternehmen zwar von künftigen Preiserhöhungen abhalten. Sie seien aber schwierig auszurichten, da zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Gewinnen unterschieden werden müsse. Investitionsanreize müsste erhalten bleiben, weshalb es nicht darum gehen dürfe, Gewinne gänzlich zu unterbinden.
Verbraucherschützer fordern mehr Transparenz
Ökonomen wie Ragnitz und Cramon-Taubadel zufolge sollte die Bundesregierung sich eher darum kümmern, Menschen, die besonders unter der Inflation leiden, gezielt zu entlasten. Darüber hinaus sehen die Wissenschaftler die Wettbewerbshüter in der Pflicht, zumindest, wenn Preisabsprachen vorliegen sollten. „Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit immer wieder Teile des Agrarmarkts und der Ernährungsindustrie untersucht und ist auf verschiedene Formen der Absprachen gestoßen“, sagt Cramon-Taubadel. Ähnliches ist auch von der Bundesregierung zu hören. Das Bundeskartellamt nehme seine Wächterfunktion wahr und beobachte Marktverzerrungen sehr genau, betonte das Bundeswirtschaftsministerium zuletzt in einer Mitteilung. Erst kürzlich hatte das Ministerium ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach die Behörde künftig schneller in den Markt eingreifen können soll, falls der Wettbewerb in bestimmten Bereichen gestört sein sollte. Verbraucherschützer sehen darin einen Schritt in die richtige Richtung.
Hohe Preise allein sind jedoch nicht verboten, wie in der Vergangenheit auch Kartellamtschef Andreas Mundt betonte. Nach Ansicht von Verbraucherschützern könnte bereits mehr Transparenz helfen, überzogene Preiserhöhungen zu verhindern. „Die Preisbildung bei Lebensmitteln ist eine absolute Blackbox“, kritisiert Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen. Er plädiert dafür, Lebensmittelhändler dazu zu verpflichten, Preisdaten an eine Transparenzstelle zu melden, um Verbrauchern einen besseren Überblick zu ermöglichen. Der Verbraucherschützer erwartet, „dass sich die Lebensmittelkonzerne mit überzogenen Preiserhöhungen eher zurückhalten, wenn Preise besser verglichen werden können“.
„Es wäre tatsächlich gut, wenn wir mehr Daten zur Verfügung hätten, zum Beispiel um regionale Preisunterschiede feststellen zu können“, sagt auch Ökonom Ragnitz. Der Nutzen eines Transparenzregisters sei für die Verbraucher aber begrenzt, da nur wenige die Zeit hätten, zum Einkaufen in unterschiedliche Supermärkte zu gehen. Zugleich betont Ragnitz aber den Einfluss der Verbraucher selbst auf die Preise. Er sagt: „Die Verbraucher können ihre Marktmacht nutzen, Preise vergleichen und verstärkt auf günstigere Produkte ausweichen, um den Wettbewerb zu stärken.“