In dieser Sowjetische Besatzungszone wurde er zum „kleinen Trompeter“: 1925 wurde Fritz Weineck in Halle erschossen

Da stand er jahrzehntelang in Sandstein gehauen an der Saale hellem Strande, von der Statur her klein und zierlich, hinter sich den steil aufragenden Felsen aus graurotem Porphyr, über sich eine massige Villa, die einst der Bankier Heinrich Franz Lehmann bauen ließ, um der Stadt Halle zu zeigen, wer er war. In der rechten Hand hielt der Mann aus Stein eine Trompete und trug die Uniform des Rotfrontkämpferbundes (RFB) aus den 1920er Jahren. Zu einem Pioniertreffen hatte man das Denkmal im August 1958 eingeweiht. Fortan schaute der „kleine Trompeter“ über die Saale zur Peißnitz-Insel, auf der gelegentlich eine Parkeisenbahn durchs Gehölz klapperte.

Friedrich August („Fritz“) Weineck, geboren am 26. März 1897 im Arbeiterviertel Glauchau, hatte ein kurzes Leben. Am 13. März 1925 war Schluss. Gegen neun Uhr abends lag er mit durchschossener Brust neben einem der Stühle, auf denen eben noch sein Spielmannszug gesessen hatte. Die Sanitäter ließen ihn liegen, es war alles zu spät. Er starb im großen, oberen Saal des „Volksparks“ in Halle – der „Schutz- und Trutzburg der Arbeiter“, wie der schlossartige Bau mit den vier schiefergedeckten Ecktürmen gepriesen wurde, als man 1907 seine Einweihung feierte und Arbeitergroschen sich auszahlten.

So viel Komfort und Pracht für Proletarier – über den Galerien im großen Saal war die Decke mit Jugendstilmotiven eine Augenweide, ebenso im kleinen Vortragssaal. Es gab einen Terrassengarten mit der Rotunde für Konzerte, ein Restaurant mit eigener Schankkonzession. Das „sozialdemokratische Jahrhundert“, wie es August Bebel prophezeit hatte, hielt Einzug in Halle. Als Rosa Luxemburg am 3. Dezember 1911 in den Volkspark kam, sprach sie „vor wetterharten Klassenkämpfern“. Die sollten wissen: „Ich bin und bleibe ein Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft“, seid ihr es auch. Einen Krieg werde das streikende Proletariat verhindern, war sie überzeugt. Es kam anders, im Herbst 1914 wurde der Volkspark für vier Jahre zum Lazarett.

Als sich das „sozialdemokratische Jahrhundert“ Ende 1918 erneut hervorwagt, zieht ein Arbeiter- und Soldatenrat in das Gebäude ein, im Haus riecht es nicht mehr nach Karbol, im Garten spielt zum Tanz in den Mai wieder „Engelmanns’ Kapelle“. Am 13. März 1925 will Ernst Thälmann, Kandidat der KPD für die Reichspräsidentenwahl, seine Kampagne in Halle beginnen. Im März 1921 wurde die Stadt zur Brennkammer des mitteldeutschen Aufstandes, der Merseburg wie das Mansfelder Land erfasste – bis die Reichswehr vorrückte.

Thälmann will nirgendwo sonst als im Volkspark sprechen. Tausende holen ihn zusammen mit Jacques Duclos, dem Gesandten der französischen KP, und dem englischen Linken Edward Fitzgerald vom Bahnhof ab. Es geht, angeführt vom Spielmannszug des RFB mit dem Trompeter Fritz Weineck mittendrin, über die Leipziger Straße, den Markt und Mühlweg zum Volkspark. „Es war klar, dass ein größeres Publikum sich dafür interessierte, wie wohl der Mann aussehen möge, den die Kommunisten für würdig halten, zur Reichspräsidentschaft zu kandidieren“, schreibt das sozialdemokratische Volksblatt. „Der große Volksparksaal sowie ein zweiter im Erdgeschoss waren halb überfüllt. Wenn der ‚Klassenkampf‘ (Halles KPD-Zeitung – L.H.) von etwa 10.000 Versammlungsbesuchern spricht, ist das natürlich eine maßlose Übertreibung.“

Vier Hundertschaften der Polizei sind zum Volkspark beordert. In der Luft liegt die Drohung, notfalls wird aufgelöst. Man weiß schließlich, wo Thälmann, der „Hamburger Putschist“ (Volksblatt) auftaucht, sind Gewalt und Chaos nicht fern. Oberleutnant Hellmuth Pietzker, im Weltkrieg Unteroffizier des Kaisers und der halleschen Arbeiterschaft als harter Hund hinlänglich bekannt, verkörpert die geballte Staatsautorität, während Halles sozialdemokratischer Polizeipräsident Paul Runge auf Dienstreise geht. Im oberen Saal sprechen zunächst Duclos, dann Fitzgerald.

Als der Übersetzer ans Pult tritt, greift Pietzker ein. Dies habe zu unterbleiben, in Deutschland sei es verboten, dass auf Wahlkundgebungen Ausländer zu Wort kämen. Pietzker springt auf einen Tisch, schließt die Versammlung und zieht die Pistole. Bierseidel fliegen gegen die von der Polizei im Handstreich besetzte Bühne. Als Pietzker „Feuer frei“ schreit, fallen 50 bis 60 Schüsse. Eine panisch flüchtende Menge drängt zu den Notausgängen, die von Schupos blockiert sind. Es geht nur durch die große Saalpforte, der Druck wird so übermächtig, dass die Treppengeländer brechen und Flüchtende kopfüber in die Tiefe stürzen.

Das Volksblatt vom 14. März erscheint mit der Schlagzeile „Blutbad im Volkspark“. Dessen großer Saal habe sich am Abend zuvor „in ein Schlachtfeld verwandelt. Vor dem Ausgang liegen Blutlachen von mehreren Quadratmetern. An der Stelle, wo ein Trommler vom Rotfrontkämpferbund gesessen hat, ist ebenfalls eine Blutlache zu sehen, das zerspritzte Gehirn liegt daneben. Zwei Schwerverletzte sterben auf dem Weg ins benachbarte Diakonissenkrankenhaus, zwei nach der Einlieferung, von diesen vier Toten sind zwei Frauen“.

Die Redakteure des Volksblatts achten darauf, dass die Kommunisten nicht über Gebühr als Opfer erscheinen. Ihnen wird „mindestens eine Mitschuld an diesem Massaker der Polizei“ zugeschrieben, „wenn sie es nicht durch Schüsse ausgelöst hatten. Es gibt zwei Einschüsse in der Wand hinter der Bühne, die nicht von der Polizei kommen konnten.“ Auch hätten die Kommunisten durch Polizeibescheid gewusst, dass kein Ausländer auftreten darf. Aufnahmen nach der Tat zeigen den Volkspark als Effektenkammer des Grauen. Man sieht abgerissene Schuhsohlen, Hüte, Zahnprothesen, zertretene Brotbüchsen und Handtaschen, einen Zopf, Reste von Pelzbesatz.

Am 16. März, drei Tage nach dem Massaker, rudert das Volksblatt zurück und vermerkt, „dass die beiden Mauereinschläge neben der Bühne nicht von Schüssen herrühren, sondern von der Anbringung einer Filmleinwand verursacht worden sind. Feststellen müssen wir außerdem, dass keiner der Beamten Schussverletzungen erlitten hat.“ Einen Tag später berichten alle halleschen Blätter, auch die bürgerliche Saale-Zeitung, die Verordnung, wonach Ausländer nicht hätten sprechen dürfen, habe es unter Wilhelm II. gegeben. Sie sei längst aufgehoben. Preußens Innenminister Carl Severing setzt daraufhin seinen Parteigenossen Paul Runge als Polizeipräsidenten von Halle ab. Hellmuth Pietzker bleibt Oberleutnant.

Und Fritz Weineck? Er könnte auf ähnliche Weise gestorben sein wie der Trommler, den das Volksblatt erwähnt. Der 1964 von der DEFA in der DDR gedrehte Spielfilm Das Lied vom Trompeter (Regie: Konrad Petzold) zeigt eine Absprache unter Polizeioffizieren am Tag des Volkspark-Infernos: Der Weineck sei fällig, die Gelegenheit günstig, wozu noch lange fackeln? Eine gewagte Spekulation – Fritz Weineck war keine stadtbekannte Figur, ein „polizeibekannter Roter“ vermutlich schon. Er hatte beim Märzaufstand 1921 geholfen, Waffen aus Kasernen zu holen, und war Mitglied des RFB, seit der 1924 im Volkspark gegründet wurde.

Glaubhafter als die Legende vom Polizeikomplott klingt die Version, Weineck habe ein warnendes Trompetensignal geblasen, als die Polizei zu schießen begann, und sei deshalb ins Visier geraten. Oder hat er, so eine besonders kühne Geschichte, Thälmann mit seinem Körper gedeckt, als Pietzker „Feuer frei“ schrie? Im Filmwerk der DEFA will Weineck seine Mutter schützen, die im Saal verwirrt an der Bühne steht, und wird von hinten gezielt erschossen – wozu noch lange fackeln?

Verbürgt ist: Auf Weinecks Sarg liegt eine Trompete, als am 19. März 1925 im Terrassengarten des Volksparks um die zehn Toten getrauert wird. Das noch im selben Jahr entstandene Lied Der kleine Trompeter enthält sich konkreter Beschreibungen der Todesumstände, es heißt stattdessen: „Da kam eine feindliche Kugel in unser so fröhliches Spiel. Mit einem mutigen Lächeln. Unser kleiner Trompeter, er fiel …“

Wurde in den Jahren danach der Opfer des 13. März 1925, des „Blutfreitags“, wie es in Halle hieß, gedacht, dann ohne Fritz Weineck hervorzuheben. Es war der frühen DDR vorbehalten, ihn wegen seines gewaltsamen Todes als Märtyrer zu verklären. Die Statue am Fluss galt einem Helden, der im proletarischen Kampf – noch dazu an der Seite Thälmanns – gefallen war. Zeitgenossen, die in den 1950er und 1960er Jahren noch lebten, erinnerten ihn als eher unauffälligen Menschen. Der in seiner letzten Stunde über sich hinauswuchs?

Die Bilderstürme ostdeutscher Wendewut nach 1989/90 verschonten Fritz Weineck nicht. Das Denkmal am Felsen wurde demontiert, immerhin darauf verzichtet, wie beim Lenin-Monument am Berliner Friedrichshain dem steinernen Zeugen eines Zeitalters den Kopf abzusägen. Und man weiß, wo der „kleine Trompeter“ abgeblieben ist. Fritz Weineck steht heute im Depot des Stadtmuseums und hat eine Trompete in seiner rechten Hand.