Im Gespräch | Palästinensische Politologin: „Wenn dasjenige ein Friedensplan ist, welches ist mit welcher Westbank?“
Rula Hardal von der palästinensisch-israelischen Organisation „A Land for All“ setzt sich mit ihrem Team für eine konföderale Zweistaatenlösung in Israel und Palästina ein. Die Bewegung möchte erreichen, dass alle demokratischen Grundrechte wie Bewegungsfreiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Menschen in Israel und Palästina realisiert werden können. Wie blickt sie auf den Friedensplan – und auf die Zukunft von Palästinensern in Gaza, dem Westjordanland und Israel?
der Freitag: Frau Hardal, während wir sprechen, sind die ersten Geiseln freigekommen. Gleichzeitig kehren seit wenigen Tagen die Menschen in Gaza in ihre alten Wohngebiete zurück, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht. Es sind historische Bilder. Wie geht es Ihnen gerade?
Rula Hardal: Ich bin erleichtert, dass der Vernichtungskrieg in Gaza beendet ist. Aber ich mache mir noch große Sorgen darüber, was noch kommen wird. Auch für uns ist es eine Zeit des Aufatmens. Ich habe in den letzten zwei Jahren, seit dem 7. Oktober, unter Hochdruck gearbeitet. Und habe mir nicht einmal erlaubt, mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Außer manchmal, wenn ich im Urlaub war. Vor zwei Wochen, als ich in den USA war, habe ich einigen Freunden erzählt, dass ich mich gebrochen fühle. Ich fühle mich kaputt und müde und fühle mich als Palästinenserin beleidigt. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob dies mehr sein wird als ein vorübergehender Waffenstillstand.
Denken Sie, dass diese Waffenruhe nicht halten wird?
Das Hauptprojekt der aktuellen israelischen Regierung, die ethnische Säuberung der Menschen in Gaza, ist jetzt erst einmal vom Tisch. Oder ich möchte glauben, dass das nicht der Plan sein wird. Ich freue mich sehr für die Menschen in Gaza, dass sie aufatmen können. Zwei Jahre, das ist eine lange Zeit. Der Plan von Präsident Trump ist allgemein auf den Frieden im Nahen Osten ausgerichtet. Ein palästinensischer Staat wird darin nicht erwähnt. Die Palästinenser waren nicht wirklich Teil dieses Plans, und die Zukunft des Gazastreifens und des Westjordanlands ist nach wie vor unklar. Dazu kommt, dass die Erfahrungen mit den israelischen Regierungen, einschließlich der aktuellen, hinsichtlich der Einhaltung von Vereinbarungen nicht positiv waren und sind. Ich befürchte, dass Netanjahu diesen Plan leicht verletzen könnte.
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Wie viel Frieden steckt in dem Friedensplan, vor allem für die Palästinenser?
Wissen Sie, ich lebe auch in Ramallah und hatte letzte Woche einige Treffen mit Palästinensern außerhalb Palästinas. Wir alle teilen die Ansicht, dass es gut ist, dass etwas unternommen wird, um den Gräueltaten ein Ende zu setzen. Gleichzeitig glauben die meisten von uns nicht, dass dies der Weg zu einem palästinensischen Staat sein wird.
Sie glauben nicht an eine grundlegende Lösung des Konflikts?
Es ist ein Plan, der versucht, die Situation zu verwalten und nicht zu lösen. Es ist dasselbe, was wir in den letzten 20 Jahren hatten, als die Israelis den Konflikt verwaltet haben und diese Politik tatsächlich von der amerikanischen Regierung und der Mehrheit der europäischen Länder akzeptiert wurde.
Im 20-Punkte-Plan von Donald Trump geht es unter anderem um die Entwaffnung der Hamas und um die Installation eines internationalen Gremiums, das für den Wiederaufbau Gazas und für dauerhaften Frieden in der Region sorgen soll. Ist das nicht gut?
Was den Plan von Trump betrifft, gibt es viele problematische Punkte. Angefangen damit, dass das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und ein palästinensischer Staat nicht erwähnt werden. Das ist eigentlich der wichtigste Punkt und das wichtigste Ziel, das diesen Konflikt nach so vielen Jahrzehnten beenden kann.
Der zweite Punkt ist, dass es für keinen der 20 Punkte einen Zeitrahmen gibt, außer für den ersten, nämlich die Rückgabe der Geiseln und die Freilassung einiger palästinensischer Gefangener. Abgesehen davon ist alles offen für Interpretationen, für Misserfolge oder für Manipulationen. Das palästinensische Volk glaubt nicht, dass diese Regierung und derjenige, der an der Spitze dieser Regierung in Israel steht, es ernst meinen oder dass wir darauf vertrauen können, dass sie mit den Palästinensern einen friedlichen Weg gehen werden, der zu einer tragfähigen, nachhaltigen Lösung in der Zukunft führt. Der dritte Punkt: Was bedeutet es, dass die Hamas ihre Waffen abgibt? Es ist unklar, welcher Teil der Hamas tatsächlich Teil der Regierung in Gaza sein wird oder nicht.
Was meinen Sie mit „welcher Teil von Hamas“?
Wissen Sie, die Hamas hat zwei politische Führungen: Es gibt die politische Führung außerhalb Palästinas und die politische Führung in Palästina, im Westjordanland und im Gazastreifen. Diejenigen im Westjordanland sind seit dem 7. Oktober viel stiller geworden. Und wir wissen nicht viel darüber, wer tatsächlich in Gaza geblieben ist. Einige von ihnen wurden getötet, aber wir wissen nichts über die anderen. Wer also am Ende entscheiden wird, ist noch unklar.
Nach dem 7. Oktober waren die beiden Hauptgründe für Benjamin Netanjahu, Gaza zu bombardieren, die Zerstörung der Hamas und die Befreiung der Geiseln. Hat er diese Ziele erreicht und warum hat er, Ihrer Meinung nach, dem Friedensplan zugestimmt?
Erstens wissen wir jetzt aus den amerikanischen Medien, dass Netanjahu an der Ausarbeitung dieses Plans beteiligt war. Unterdessen glaube ich nicht, dass es in Gaza wieder zu einem Krieg kommen wird, wie wir ihn in den letzten zwei Jahren erlebt haben. Aber ich glaube, dass es eine Rückkehr zum 6. Oktober 2023 sein wird, nur unter viel schlechteren Bedingungen. Vor allem für die Menschen im annektierten Westjordanland.
Wir alle, Israelis, israelische Juden und Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Meer, leben derzeit in einem Ein-Staaten-Konstrukt
Was wird die Menschen im Westjordanland erwarten?
Die Westbank ist zu einer Art kleinem Gefängnis geworden, das durch Tore und viele Kontrollpunkte abgeschlossen ist, sodass die Menschen sich nicht von einem Ort zum anderen bewegen können. Oder für ein paar Kilometer mehrere Stunden lang stehen müssen und sich manchmal einfach nicht fortbewegen können. Die wirtschaftliche Lage im Westjordanland steht kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn sie die Situation in Gaza irgendwie in den Griff bekommen und vorgeben, als sei dies ein echter Friedensplan, was ist dann mit dem Westjordanland? Und man kann diese Trennung zwischen dem Westjordanland und Gaza nicht aufrechterhalten. Es handelt sich nicht um zwei getrennte Probleme, die Palästinenserfrage betrifft das gesamte Gebiet.
Sie sind Co-Direktorin von „A Land for All“, einer palästinensisch-israelischen politischen Institution, die sich bereits 2012 gründete. Sie schreiben auf Ihrer Webseite: Dieses Land ist das Land von zwei Völkern. Was sind Ihre politischen Visionen für Israel und Palästina?
Wir alle, Israelis, israelische Juden und Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Meer, leben derzeit in einem Ein-Staaten-Konstrukt: Wir haben ein Regime, das das Land und die Menschen kontrolliert, in unterschiedlich komplexen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Arrangements. Die Menschen hier sind, sehr allgemein gesprochen, nicht gleichberechtigt, und es herrscht eine jüdische Vorherrschaft unter einer sehr brutalen militärischen Kontrolle und Unterdrückung des palästinensischen Volkes.
Wir gehen von der Anerkennung der binationalen Realität vor Ort aus. Wir haben zwei Völker, zwei nationale Gruppen, die ihr Recht einfordern. Wenn wir diese Realität im Blick haben, dann können diese Menschen nur hier weiterleben, wenn wir Gleichheit gewährleisten, und zwar nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Gleichheit, denn wir sprechen hier von nationalen Gruppen, die ihr Recht auf Selbstbestimmung wollen.
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Wie kann dieses Begegnen auf Augenhöhe realisiert werden?
Wir müssen über Versöhnung sprechen. Es reicht nicht aus, Friedensabkommen zu unterzeichnen. Wir als Palästinenser müssen uns mit der Vorstellung abfinden, dass Israel existiert und nicht verschwinden wird. Die PLO hat seit 1988 offiziell die Existenz des Staates Israel anerkannt. Das Hauptproblem liegt eigentlich auf der israelischen Seite.
Kann Versöhnung in ein politisches Programm übersetzt werden?
Die erste wichtige Komponente sind zwei Staaten, zwei unabhängige, souveräne, demokratische Staaten. Denn die Realität vor Ort, dass Palästinenser und Israelis dieses kleine Stück Land und die gleichen natürlichen Ressourcen, die gleiche Wirtschaft und die gleichen Herausforderungen teilen, hat dazu geführt, dass sie miteinander verflochten sind. Wir können nicht von einer absoluten Trennung zwischen den beiden Völkern sprechen. Es gibt bereits etwa zwei Millionen Palästinenser, die Staatsbürger Israels sind. Ich bin eine von ihnen. Wir müssen also neben oder in der Nähe der beiden unabhängigen souveränen Staaten einen weiteren Komplex von Vereinbarungen schaffen als Konföderation zwischen den beiden Staaten.
Also keine neue „Zweistaatenlösung“?
Ich halte nichts von Trennung und Segregation, wie sie im Oslo-Abkommen 1993 formuliert wurden. Wenn Sie sich erinnern, wollten die Israelis damals eigentlich die Palästinenser nur loswerden und haben damit begonnen, Mauern zu bauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jetzt über die Öffnung der Grenzen zwischen Israel und Palästina sprechen können, wenn der palästinensische Staat Realität werden soll. Ein palästinensischer Staat, der nicht unter Besatzung steht, sondern schrittweise über offene Grenzen und Bewegungsfreiheit spricht und ein neues Konzept von Aufenthaltsrecht und Staatsbürgerschaft hat. So können wir bessere Antworten geben auf die Frage, was mit den Flüchtlingen geschehen soll, die nach Palästina zurückkehren werden, und mit den israelischen Siedlern, die in Palästina bleiben werden.
Wie viel Unterstützung hat die Hamas noch?
In Gaza deutlich weniger als noch vor dem 7. Oktober. Die Idee der Hamas als militärischer, sogenannter Widerstand wird sich meiner Meinung nach fundamental verändern müssen. Ich denke, wir als Palästinenser müssen jetzt, unabhängig von den Israelis, unsere politischen Pläne, unser politisches Projekt und unsere Strategien überdenken. Es scheint, dass es viele Misserfolge gibt, insbesondere in unserer nationalen Strategie und im Widerstand – Fehler, die auch die PLO machte und auch die Palästinensische Autonomiebehörde. Das alles muss jetzt neu gestaltet werden.
Welche Rolle spielt Deutschland für die Zukunft Palästinas?
Deutschland hat bisher keine positive Rolle bei der Suche nach einer langfristigen Lösung für die Palästinenserfrage gespielt, indem es Israel unterstützt – unabhängig davon, was Israel als Staat und als Regierung tut. Und hat damit alle universellen Werte missachtet, an denen Deutschland nach wie vor festhält oder von denen es glaubt, dass sie tatsächlich seine Außenpolitik leiten. Aber wenn es um Israel geht, lassen sich all diese Standards leicht ignorieren und tolerieren. Die deutsche Haltung zu Israel hat tatsächlich eine weitere Frage im Nahen Osten aufgeworfen: nämlich die palästinensische Frage. Auch wenn ich die Erinnerungskultur respektiere und bewundere, ebenso die Haltung Deutschlands gegenüber dem Holocaust und dem jüdischen Volk. Ohne hier eine Symmetrie herstellen zu wollen: Aber was ist mit der Palästinenserfrage, die eigentlich durch diese Folge der Judenverfolgung in Europa und insbesondere in Deutschland entstanden ist?
Rula Hardal, wurde 1974 in Peqi’in in der israelischen Provinz Galiläa geboren. Seit 2023 ist sie Co-Direktorin der israelisch-palästinensischen Organisation „A Land for All “. Hardal promovierte an der Universität Hannover und ist derzeit Mitarbeiterin am Kogod Research Center for Contemporary Jewish Thought am Shalom Hartman Institute in Jerusalem.