Ifo-Institut: „Wir sehen eine Deindustrialisierung der Autobranche“
In Deutschland droht der Autobranche in den kommenden 15 Jahren eine Schrumpfung, warnt das Münchener Ifo-Institut. „Wir sehen momentan eine Deindustrialisierung der Autobranche, die durch den Wandel zur E-Mobilität zustande kommt“, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Untersuchung. Die Ifo-Fachleute Oliver Falck, Lisandra Flach und Christian Pfaffl verweisen darauf, dass dabei einiges auf dem Spiel stehe: Die Branche zählte 2021 rund 900.000 Beschäftigte und erreichte wie der Maschinenbau nach den Daten von 2018 eine Wertschöpfung von 109 Milliarden Euro. Fast die Hälfte der europäischen Wertschöpfung im Kraftfahrzeugbau entfalle auf Deutschland, weit vor Frankreich (9 Prozent) und Großbritannien (8,4 Prozent). Gerade die Fahrzeugindustrie ist zugleich über lange Zulieferketten besonders weit verflochten. 60 Prozent des Produktionswertes der deutschen Autoindustrie kommt von Zulieferern. 27 Prozent der Wertschöpfung deutscher Autoproduktion liege im Ausland, vor allem in Europa.
„Zwar hat die deutsche Automobilindustrie in den vergangenen Jahren einen komparativen Wettbewerbsvorteil bei der Herstellung von Verbrennermotoren genossen, in Sachen Elektroautos zeigt sich dieser Vorteil jedoch weniger deutlich“, heißt es in der Untersuchung des Ifo-Instituts. Auf den Markt drängen neue Firmen wie Tesla und gestärkte Konkurrenz aus anderen Kontinenten. China habe bisher „kaum Kernkompetenz in der Automobilproduktion“ gehabt, doch von dort drängten neue Hersteller von E-Autos mit großem Erfolg auf den Markt.
Deutsche Autohersteller hätten in der Vergangenheit stark in China investiert, um für den dortigen Markt zu produzieren. Künftig dürfte die Zahl der in China produzierten Elektroautos für den europäischen Markt – auch aus Fabriken deutscher Konzerne wie BMW – weiter zunehmen. „Damit wird auch durch ausländische Direktinvestitionen die Kompetenz Chinas bei Elektroautos immer größer, wodurch China seine Marktposition in diesem Segment weiter ausbauen könnte.“
Probleme bei der Digitalisierung
Eine weitere Herausforderung, für die deutsche Auto- und Nutzfahrzeugkonzerne nicht außergewöhnlich gut aufgestellt sind, ist die Digitalisierung. Die eigentliche Herstellung von Autos verliere an Bedeutung, weil Software einen zunehmenden Anteil der Wertschöpfung generiere. Damit ergeben sich nach Ansicht der Ifo-Experten neue Zutrittsmöglichkeiten zum Automarkt für Technologiekonzerne. Die hätten in Digitalfragen oft einen Kompetenzvorsprung gegenüber Autounternehmen. Die Autohersteller versuchten zwar aufzuholen, auch mit Kooperationen, es sei aber noch offen, ob dabei nicht langfristig die Wertschöpfung an die Technologiekonzerne abfließe. Vorerst sei dieser Markt noch von amerikanischen Technologiekonzernen dominiert, aber künftig dürfte dort China eine Rolle spielen. Die Regierung habe das strategische Ziel gesetzt, dass bei Unterhaltungselektronik im Auto und Fahrassistenzsystemen bis 2030 der chinesische Bedarf ausschließlich auf dem Heimatmarkt gedeckt werden könne.
Das Ifo-Institut berichtet, dass 2019 in Deutschland 447.000 Beschäftigte direkt von der Verbrennertechnik abhingen. Der Umbau der Antriebstechnik werde mehr Beschäftigte betreffen als die Zahl der im Rentenalter ausscheidenden Beschäftigten. Seit 2013 habe die Autoindustrie bereits 9 Prozent der Beschäftigten in Fertigungsberufen eingebüßt. Wachsen werde dagegen die Nachfrage nach Mitarbeitern mit Informatik- und naturwissenschaftlicher Ausbildung.