Höhere Beiträge, höhere Leistungen: Was in Lauterbachs Pflegereform steckt

Bis zuletzt wurde um die Details gerungen: Der Bundestag hat am Freitag nach wochenlangen Debatten die Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verabschiedet. Der SPD-Politiker verteidigte den Gesetzentwurf vor der Abstimmung im Bundestag. Für Angehörige, die in Deutschland den größten Teil der Pflege übernähmen, sei „nochmal eine deutliche Verbesserung“ erreicht worden. Auch die Zuschüsse für Heimbewohner würden weiter erhöht. Lauterbach räumte aber ein, dass „dieses Gesetz kein perfektes Gesetz“ sei. Weitere Schritte seien nötig.

Britta Beeger

Redakteurin in der Wirtschaft und zuständig für „Die Lounge“.

Kritik kam aus der Opposition, von Sozialverbänden und den Arbeitgebern. Die CDU-Abgeordnete Diana Stöcker monierte, es handle sich nicht um eine Reform, sondern um ein dürftiges „Auf-Sicht-Fahren“. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte F.A.Z.NET, der Bundestag habe im parlamentarischen Verfahren die Chance vertan, die notwendige Notbremse bei der Pflegereform zu ziehen. „Die geplante Pflegereform verteuert die Pflegeversicherung und ihre langfristige Finanzierbarkeit wird weiter erschwert.“

Was genau beschlossen wurde – ein Überblick über die wichtigsten Punkte.

Was kommt auf die Beitragszahler zu?

Arbeitgeber und viele Arbeitnehmer müssen vom 1. Juli an höhere Beiträge zahlen. Der allgemeine Beitragssatz, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte finanzieren, wird um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent angehoben – ein Anstieg, den Lauterbach mehrfach als „moderat“ bezeichnete.

Der Arbeitgeberanteil beträgt damit künftig 1,7 Prozent statt wie bisher 1,525 Prozent. Für Arbeitnehmer werden die Beiträge nach der Anzahl der Kinder gestaffelt, womit das Ministerium eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts umsetzt, wonach die Pflegebeiträge den Erziehungsaufwand stärker berücksichtigen müssen. Kinderlose zahlen künftig 2,3 Prozent und Arbeitnehmer mit einem Kind 1,7 Prozent. Ab zwei Kindern wird der Beitrag bis zum fünften Kind um weitere 0,25 Punkte abgesenkt – sofern die Kinder unter 25 Jahre als sind. Ab dem zweiten Kind werden Versicherte also trotz der generellen Erhöhung entlastet.

Die Bundesregierung wird ermächtigt, unter bestimmten Voraussetzungen künftig die Beiträge durch Rechtsverordnung erhöhen zu können, um kurzfristig auf Finanznöte der Pflegeversicherung reagieren zu können. Bisher ist ein Bundestagsbeschluss notwendig. Der Bundestag soll aber auch künftig beteiligt werden, indem er die Verordnung ändern oder ablehnen kann.

Was bringen die höheren Beiträge der defizitären Pflegekasse?

Das Bundesgesundheitsministerium beziffert die Mehreinnahmen durch die Anhebung des Beitragssatzes um 0,35 Punkte auf 6,6 Milliarden Euro jährlich vom kommenden Jahr an. Lauterbach zufolge sollen davon 4 Milliarden Euro in höhere Leistungen für Pflegebedürftige fließen. Der übrige Betrag werde genutzt, um die strukturelle Finanzlücke in der sozialen Pflegeversicherung zu schließen, die der Minister kürzlich auf 2,6 Milliarden Euro bezifferte. Nach Lauterbachs Einschätzung kommt die soziale Pflegeversicherung mit der Reform gut über die Legislaturperiode. Pflegekassen und Verbände kritisieren, die Finanzierung werde mit der Reform nur kurzfristig stabilisiert.

Was ändert sich für Menschen, die Zuhause gepflegt werden?

Mit der Reform soll die häusliche Pflege gestärkt werden. Der Grund: In Deutschland leben rund fünf Millionen Pflegebedürftige – und nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden davon fünf von sechs Zuhause gepflegt.

Das Gesetz sieht vor, dass erstens das Pflegegeld Anfang kommenden Jahres um 5 Prozent erhöht wird. Dieses Pflegegeld beläuft sich – je nach Pflegegrad – aktuell auf 316 bis 901 Euro und wird den Pflegebedürftigen von der Pflegekasse überwiesen, wenn diese von Angehörigen oder Freunden versorgt werden. In der Regel geben Pflegebedürftige das Pflegegeld an ihre Angehörigen weiter. Es war seit 2017 nicht mehr erhöht worden.

Zweitens sollen die Sachleistungsbeträge für die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes Anfang kommenden Jahres ebenfalls um 5 Prozent erhöht werden.

Und drittens können Angehörige das Pflegeunterstützungsgeld – eine Lohnersatzleistung – künftig bis zu zehn Arbeitstage je Kalenderjahr in Anspruch nehmen und nicht mehr einmalig insgesamt zehn Arbeitstage. Das Pflegeunterstützungsgeld wird gezahlt, wenn Beschäftigte in einer akuten Situation die Pflege eines nahen Angehörigen organisieren müssen.

Wohlfahrtsverbände wie die Caritas halten die Erhöhung des Pflegegeldes und der Sachleistungen angesichts der hohen Inflation für zu niedrig und kritisieren, sie komme außerdem zu spät.

Was hat es mit dem sogenannten Entlastungsbudget auf sich?

Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, ein flexibel nutzbares Budget für die Entlastung pflegender Angehöriger zu schaffen. Dazu sollen die bisherigen Einzelleistungen der Verhinderungspflege und der Kurzzeitpflege von Juli 2025 an in einem Jahresbudget von 3539 Euro gebündelt werden.

Die Verhinderungspflege dient dazu, Angehörige zu entlasten, wenn diese mal eine Auszeit brauchen oder krank sind – etwa durch einen ambulanten Dienst. Bei der Kurzzeitpflege werden Pflegebedürftige vorübergehend in einer stationären Einrichtung untergebracht. Eine Kombination der beiden Leistungen war auch bisher schon möglich, nun soll es noch mehr Flexibilität geben, um die Inanspruchnahme zu erhöhen.

Die für 2025 geplante Dynamisierung der Geld- und Sachleistungen wurde dafür von 5 auf 4,5 Prozent abgesenkt. Für Eltern pflegebedürftiger Kinder soll das Budget von Anfang kommenden Jahres an zur Verfügung stehen.

Welche Entlastung gibt es für die Bewohner von Pflegeheimen?

Weil die Eigenanteile der Bewohner von Pflegeheimen stark gestiegen sind, werden die Zuschläge erhöht, die die Pflegekasse den Pflegebedürftigen seit dem 1. Januar 2022 zahlt. Wie stark die Zuschläge steigen, hängt davon ab, wie lange jemand schon in einem Pflegeheim lebt: Im ersten Jahr im Heim steigt der Zuschuss auf die reine Pflege von 5 auf 15 Prozent, im zweiten Jahr von 25 auf 30 Prozent, im dritten Jahr von 45 auf 50 Prozent und ab dem vierten Jahr von 70 auf 75 Prozent..

Nach Angaben des Kranken- und Pflegekassenverbands VDEK zahlen Heimbewohner aktuell durchschnittlich 2411 Euro im Monat selbst für einen Heimplatz – inklusive der Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie der Investitionskosten. Nach Ansicht der Ersatzkassen ist die Erhöhung der Zuschüsse zu gering, um die allgemeinen Kostensteigerungen zu kompensieren.

Welche Kritik gibt es an der Reform?

Sehr grundsätzliche. Die Opposition, Pflegekassen, Arbeitgeber sowie Pflege- und Sozialverbände beklagen, es handle sich nicht um eine echte Pflegereform, sondern nur um ein „Reförmchen“, mit dem notdürftig die Finanzlöcher gestopft würden. Die Frage, wie die soziale Pflegeversicherung dauerhaft und stabil finanziert werden könne, bleibe offen. Das ist wohl auch Minister Lauterbach bewusst, der angekündigt hat, dass eine Kommission Vorschläge zur langfristigen Finanzierung der Pflegeversicherung vorlegen soll.

Konkrete Kritik insbesondere der Kassen gibt es zudem daran, dass – anders als im Koalitionsvertrag vereinbart – nicht vorgesehen ist, versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln zu finanzieren. Zudem müssten die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln bezahlt werden.

Die Arbeitgeber beklagen zudem, dass sich das zugesagte Belastungsmoratorium für die Wirtschaft „leider erneut als hohles Versprechen“ erweise, wie Arbeitgeberpräsident Dulger F.A.Z.NET sagte. Die Arbeitgeber müssten künftig für die Pflegeversicherung Alter und Zahl der Kinder ihrer Beschäftigten erfragen und erfassen. „Dieser gewaltige Aufwand hätte von vornherein durch ein digitales Verfahren vermieden werden können, das nun aber erst mit großem Zeitverzug starten soll. Die Chancen der Digitalisierung blieben damit ein weiteres Mal ungenutzt, stattdessen wird erneut unnötig Bürokratie aufgebaut.“