Hisbollah nachdem Pager-Explosionen in Libanon: Blutverschmiert und gedemütigt
Erst die Pager- und Walkie-Talkie-Attacken, dann der Tod von Kommandeuren wie Ibrahim Aqil und Ahmed Mahmud Wahbi, die bei israelischen Raketenschlägen starben. Dies gibt der Annahme Nahrung, die Hisbollah habe gerade eine Art 9/11 erlebt. Ob übertrieben oder nicht – es ist unstrittig, dass die schiitische Widerstandsorganisation vor einer Woche einem ernsten Dilemma ausgesetzt war. Sie hätte zurückschlagen und sich an Israel rächen müssen, aber ihr militärisches Arsenal war so beschaffen, dass nicht klar schien, ob sie das durchstehen, vor allem überstehen würde. Ihre Moral und Glaubwürdigkeit als bewaffnete Formation standen auf dem Spiel.
Jahrzehntelang stellte die Gruppe die Geheimhaltung in ihrem Operations- und Kommunikationsnetzwerk als absolut unverzichtbar dafür dar, bei der Verteidigung des Libanon die erforderliche Unterstützung zu leisten. Sie bestand auf einem vollständig vom nationalen Verbund getrennten Telekommunikationsnetz. Diese Autonomie beanspruchte die Hisbollah auch für Aktivitäten im Hafen und auf dem Gelände des Airports von Beirut. Es wurden über diese Terminals sowie über die Grenze zu Syrien Waren transportiert, ohne dass staatliche Behörden im Libanon darauf Einfluss hatten. Es war ein Vorteil dieser Hermetik, unerwünschte Eindringlinge in einem abgeschotteten System schnell erkennen zu können. Wo die Hisbollah das Sagen hatte – ob im Südlibanon, in der Bekaa-Ebene oder in der Hauptstadt –, gab es eine strenge Autarkie. Die Hisbollah war der Sicherheitsstaat innerhalb des libanesischen Staates.
Auf Pager umgestiegen
Die Pager- und Walkie-Talkie-Angriffe wie die gezielten Tötungen haben dieses Bild zerstört und gezeigt, dass die Verwundbarkeit des Kommunikationsnetzes und der Lieferketten für die Kommunikationstechnik enorm ist. Auch deshalb mussten die nächsten Schritte gegen Israel sorgfältig abgewogen werden. Ganz zu schweigen von einer zwangsläufig um sich greifenden Paranoia, die sich aus der Ungewissheit speiste, was Israel sonst noch sabotieren könnte. Bisher zielten Cyber-Aktionen darauf, Kommunikationsstränge zu stören, Websites zu manipulieren, psychologische Kriegsführung zu betreiben und propagandistische Effekte zu erzielen. Mit anderen Worten, Cyber-Aktionen fanden im Cyber-Raum statt. Mit den Pager- und Walkie-Talkie-Sprengungen wurde eine Technologie genutzt, um aus der digitalen Welt heraus die physische Welt zu treffen. Das Ergebnis war ein konzentrierter, konventioneller Schlag, der einem Luft- oder Raketenangriff glich. Menschen starben auf der Straße, ihnen wurden Hände und Finger abgerissen, der Unterleib und die Augen schwer verletzt.
Wie sich das auf die Moral der schiitischen Kombattanten auswirkt, ist noch offen. Man weiß, Israel hat Hunderte von Hisbollah-Offizieren im gesamten Süd- und Ostlibanon, teils auch in Beirut, ins Visier genommen, um sie gegebenenfalls auszuschalten. Nachdem die Hisbollah vor geraumer Zeit feststellen musste, dass israelische Dienste in der Lage waren, Bewegungen ihres Führungspersonals über Mobiltelefone zu verfolgen, gab es die Order, stattdessen auf Pager umzusteigen. Nur so sei eine sicherere Kommunikation garantiert.
Nach dem Krieg mit Israel 2006
Der Pager-Angriff hat indes gezeigt, dass damit ebenfalls eine erhebliche Verwundbarkeit einherging und das gesamte militärische Arsenal davon betroffen war. Schließlich verlangt jede Operation den Einsatz von Kommunikationsmitteln. Die der Hisbollah erwiesen sich als nachweislich kompromittiert, was auf eine operative Lähmung hinauszulaufen drohte, ohne dass es wirklich dazu kam. Sie deshalb für extrem geschwächt zu halten, kann ein Trugschluss sein. Die Hisbollah ist es gewohnt, große Verluste zu verkraften und ihr Equipment nachzurüsten, wie es nach dem Krieg mit Israel im Sommer 2006 passiert ist.
Außer Frage steht, dass die Ereignisse der vergangenen Woche die Hisbollah schwer unter Druck gesetzt haben, ihre politische Exklusivität im Libanon zu erhalten und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf mit Israel zu bewahren – allen Verlusten zum Trotz. Dabei sind die Affinitäten mit dem anderen Kriegsschauplatz offensichtlich. Solange kein Agreement über einen Waffenstillstand im Gazastreifen zustande kommt, bleibt die Möglichkeit akut, dass sowohl Israel als auch die Hisbollah irgendwann den Umfang ihrer Kämpfe über das bisherige Maß hinaus ausweiten.
Lina Khatib ist Direktorin des SOAS Middle East Institute in London