Haushaltsstreit: Warum der Kanzler dem Finanzminister zu Hilfe kommt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führt jetzt wieder Haushaltsverhandlungen: Weil sein Nachfolger im Amt des Finanzministers, Christian Lindner (FDP), damit nicht vorankommt, will Scholz nun zusammen mit Lindner jene Kabinettskollegen ins Gebet nehmen, die mit dem ihnen zugewiesenen Ausgabenrahmen nicht einverstanden sind. Regierungskreise bestätigten am Donnerstag dieses Vorgehen.
Die Vorbereitung des Haushalts 2024 hat sich als besonders schwierig erwiesen: Erst hat der Finanzminister den für Mitte März geplanten Eckwertebeschluss zum Etat mangels Konsenses in der Ampel kurzerhand abgesagt. Dann strich er auch den Kabinettstermin, der für den 21. Juni geplant war. Nun will die Bundesregierung in der letzten Woche vor der parlamentarischen Sommerpause über ihren Haushaltsentwurf 2024 entscheiden. Damit läuft es auf den 5. Juli hinaus.
In Lindners Zahlenwerk fehlen derzeit 20 Milliarden Euro, um die Vorgabe der Schuldenregel im Grundgesetz einhalten zu können. In Absprache mit Scholz hat Lindner einen Teil der Lücke auf die Ministerien verteilt. Knapp 5 Milliarden Euro will er auf diese Weise einsammeln. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) soll ebenfalls hinter diesem Vorgehen stehen.
Minister sollen verzichten
Die betroffenen Ressorts sollen in eigener Verwertung sehen, wie sie die ihnen zugestandenen Mittel am besten nutzen, also worauf sie am ehesten verzichten können. Verteilungsschlüssel ist nicht die absolute Größe der Einzeletats, sondern die Summe der jeweils frei disponiblen Mittel. Ausgaben, die durch Gesetze oder verbindliche Zusagen etwa an die Bundesländer unvermeidlich sind, werden bei diesem Vorgehen nicht berücksichtigt.
Das Arbeits- und Sozialministerium ist damit weitestgehend außen vor, weil seine großen Ausgabenblöcke – allen voran die Rentenzuschüsse – durch geltendes Recht bestimmt sind. Auch das Verteidigungsministerium soll wegen der Zeitenwende, die Scholz nach Putins Überfall auf die Ukraine ausgerufen hat, verschont bleiben. Es könnte sogar Mehrausgaben zugestanden bekommen, soweit der jüngste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst seine Personalkosten erhöht – damit es dafür nicht anderweitig kürzen muss. Das wären wohl um die 2 Milliarden Euro. Daneben profitiert das Ressort von Boris Pistorius (SPD) weiterhin von dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das mit einer Änderung des Grundgesetzes zur Stärkung der Bundeswehr eingerichtet worden ist.
Etwa ein halbes Dutzend Fachminister gelten als Kandidaten für die spezielle Einvernahme durch Scholz und Lindner. Dazu dürften nach dem Geschehen vor der aktuellen Eskalation gehören: die Grünen Annalena Baerbock (Auswärtiges) und Lisa Paus (Familie), die SPD-Politikerinnen Nancy Faeser (Inneres) und Svenja Schulze (Entwicklung) sowie der FDP-Mann Volker Wissing (Verkehr). Damit wäre die gesamte Farbpalette der Ampel vertreten.
Vergünstigungen für Diesel kappen?
Da mit dem sogenannten Afghanistan-Schlüssel (er heißt so, weil das Vorgehen erstmals 2002 zur gleichmäßigen Aufteilung der Mehrkosten aus dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan angewandt wurde) gerade einmal ein Viertel der bestehenden Lücke geschlossen werden soll, sind weitere Kürzungsmaßnahmen notwendig. Gedacht wird an den Abbau von Subventionen, zumal dies im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Allerdings gibt es dazu unterschiedliche Vorstellungen. Während die Grünen dafür werben, die Vergünstigungen für Diesel und Kerosin zu kappen und Dienstwagen stärker zu besteuern, lehnt die FDP das kategorisch ab. Offen ist, inwieweit sich die Ampelpartner auf die Kürzung anderer Steuervergünstigungen und Finanzhilfen verständigen können. Erfahrungsgemäß ist es politisch schwer, größere Einsparungen bei Subventionen durchzusetzen.
Aus den Ländern mehren sich unterdessen die Hinweise, dass die Koalition Mittel für gemeinsame Aufgaben kappen könnte. Die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) warnte diese Woche Lindner, seinen Anteil an den Bund-Länder-Programmen um 900 Millionen Euro zu kürzen. Konkret geht es dabei um die Gemeinschaftsaufgaben zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, für die regionale Wirtschaftsstruktur und zugunsten der Städtebauförderung. „Wenn es stimmt, dass Bundesfinanzminister Lindner eine Milliarde Euro Landesförderung streichen will, mit der offenen Ansage, sich damit zu zurückzuholen, was er für die Flüchtlingsfinanzierung zugesagt hat, wäre das perfide“, urteilte die Grünen-Politikerin.
Eine weitere Möglichkeit, den Haushalt im nächsten Jahr zu entlasten, bieten die diversen Nebenhaushalte des Bundes. So könnte die Ampel Treibhausgase mindernde Investitionen über den Klima- und Transformationsfonds finanzieren – allerdings ist dieser gemessen an den Ausgabenplänen ohnehin schon unterfinanziert. Zudem würde damit die Lücke in dem Schattenhaushalt in den Folgejahren noch größer.
Letztes Mittel, um im Etatentwurf passend zu machen, was noch nicht passt, ist die globale Minderausgabe, das ist eine pauschale Kürzung. Die Haushaltspolitiker müssen dann im Herbst sehen, wie sie damit umgehen, ob sie zum Beispiel genau in den Haushalt schreiben, was zusätzlich gestrichen wird. Weil erfahrungsgemäß nicht alle Mittel im Laufe eines Jahres ausgegeben werden, könnte die globale Minderausgabe zumindest zu einem gewissen Teil die Haushaltsberatungen überleben. Letztlich entscheidet die Steuerschätzung im Herbst darüber, wie groß der Spielraum der Abgeordneten sein wird, also ob sie den Ausgabenrahmen wieder weiten können oder zusätzlich sparen müssen.