Harry Potters wahre Macht
Für eine Welt, in der nahezu alles möglich ist, ist es wirklich ein Jammer. Denn in der Welt von Harry Potter, in der Zauberer auf Besen fliegen können, sich mit der eigenen Willenskraft über den ganzen Globus teleportieren und sich Teller und Krüge von Zauberhand mit den köstlichsten Speisen füllen, geht eines nicht: Geld aus dem Nichts heraufbeschwören.
So steht es zumindest im Harry-Potter-Wikipedia, wo Fans tausende Fakten und Regeln aus dem „Potter-versum” sammeln. Für die Erfolgsautorin J. K. Rowling und Warner Bros. scheint diese magische Regel allerdings nicht zu gelten. Denn das neue Videospiel Hogwarts Legacy aus dem Harry-Potter-Franchise „Wizarding World“, an dem sich Rowling und die amerikanische Filmfabrik die Rechte teilen, könnte ein echter Erfolg werden – und damit ein buchstäblicher Geldzauber.
Wer in den vergangenen Wochen Youtube oder Tiktok durchquerte, kam an der Euphorie um das neue Videospiel nur schwer vorbei. Der langersehnte Start wurde letztes Jahr einmal verschoben. Anscheinend sollte beim Start jedes Detail perfekt sein, denn der Disney-Konkurrent Warner Bros. will sich in ein neues Geschäftsfeld vorwagen.
Mit „Wizarding World“ betreibt der Film-Gigant in der Unterhaltungsindustrie eines der wertvollsten Franchises der Welt – das vor allem auf der Nostalgie-Erfahrung einer mittlerweile erwachsenen Generation aufbaut. In dieser hart umkämpften Unterhaltungsindustrie wird die Spiele-Branche zunehmend wichtiger. Der Umsatz im weltweiten Entertainment-Geschäft wird auf 850 Milliarden Dollar geschätzt, ein erheblicher Teil davon wird mit schätzungsweise 350 Milliarden Dollar im Gaming-Bereich umgesetzt. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht.
Auf diese Prognose scheint nun auch Warner Bros. zu setzen – und ist damit nicht allein: „Die Relevanz von Gaming zeigt sich auch allein dadurch, dass fast jedes Publishing-House im Spiele-Bereich unterwegs ist“, sagt Olaf Riedel, Leiter des Bereichs Technologie, Medien und Telekommunikation im DACH-Raum bei Ernst & Young.
Im internationalen Vergleich liegt Warner Bros. auf der Liste der führenden Gaming-Konzerne zwar nur im Mittelfeld, weit abgeschlagen von Giganten wie Tencent und Sony. Und dennoch könnten die Amerikaner punkten. Denn sie besitzen ein Kapital, auf das andere Konkurrenten nicht zugreifen können: das Fantasie-Universum von Harry Potter, einem der weltweit stärksten Franchises, das erfolgreich mit den Kindheits-Erinnerungen von Millionen Menschen spielt.
„Welche Geschäftsmodelle zukünftig in der Unterhaltungsindustrie am erfolgreichsten sein werden, entscheidet vor allem ein Leitsatz: Content ist King“, fasst Riedel zusammen. In der Branche steht und fällt der Erfolg mit der eigenen Innovationskraft und der Größe der Zielgruppe. Da seien Häuser wie Disney und Warner Bros. gut aufgestellt, weil sie bereits über ein mehrfaches Vermarktungs-Potenzial ihres Contents verfügen: in Spielen, Serien, Filmen, Fanartikel, Freizeitparks.
Der Gesamtumsatz des Medienimperiums „Wizarding World“ umfasst 32,2 Milliarden US-Dollar und steht auf der Liste der erfolgreichsten Medien-Franchises auf Rang zehn, hinter Pokémon und Star Wars. Alles begann mit einer Kinderbuch-Idee der damals von Sozialhilfe lebenden Britin J. K. Rowling, heute eine der reichsten Frauen des Vereinigten Königreichs.
In der siebenteiligen Buchreihe entdeckt Harry Potter, dass er ein Magier ist und lernt im Internat Hogwarts das Zaubern. Im Verlauf der Handlung muss er gegen den bösen Lord Voldemort kämpfen, um die Zauberwelt zu retten. Nach dem Abschluss der Reihe ging die Vermarktung der Harry-Potter-Welt weiter: Nach dem weltweit aufgeführten Theaterstück „Cursed Child“ folgten die Filmreihe „Fantastische Tierwesen“ und riesige Themenparks in den USA, Japan und seit 2021 auch in China.
Fantasie-Welten wie Harry Potter oder Marvel werden ständig erweitert
Das jetzige Spiel kann als Komplettierung des Franchise verstanden werden: Schließlich ermöglicht Hogwarts Legacy jetzt auch jedem Konsolenspieler, vollkommen in die Zauberwelt einzutauchen, zumindest virtuell und für 74 Euro, die Deluxe-Version kostet sogar noch zehn Euro mehr. Experten glauben, Hogwarts Legacy könnte das meistverkaufte Spiel des Jahres werden und es bricht bereits Verkaufsrekorde.
Das Besondere: Bei Hogwarts Legacy können die Spieler die ganze Welt des Zauber-Internats auf eigene Faust erkunden. Dazu können sie ihren eigenen Avatar gestalten und durch individuelle Entscheidungen die Handlung des Spiels maßgeblich mitprägen – als wäre man selbst Schüler an der legendären „Akademie für Hexerei und Zauberei“.
Das Spiel sorgte gleich zu Beginn aber auch für eine Kontroverse: Wegen angeblicher Trans-Feindlichkeit steht die Harry-Potter-Erfinderin J. K. Rowling in der Kritik. Zwar war sie nicht direkt an der Entwicklung des Spiels beteiligt. Dennoch gab es in den letzten Wochen auch öffentliche Boykottaufrufe gegen das Spiel. Der Protest reicht bis nach Deutschland, wo dem berühmten Spiele-Streamer „Gronk“ vorgeworfen wurde, sich nicht klar genug in der Debatte gegen Trans-Feindlichkeit zu positionieren.
Fantasie-Welten wie Harry Potter, Marvel oder Star Wars funktionieren wie eigenständige Marken. Die Kunst der Unterhaltungs-Konzerne besteht darin, das Interesse an diesen Marken aufrechtzuerhalten, sagt Riedel. Das gelingt nur dann, wenn sich diese Welten stetig erweitern, indem die Hersteller aufeinander aufbauende Filme, Serien und eben auch Videospiele entwickeln.
„Die derzeitige große Aufmerksamkeit für Hogwarts Legacy hängt vor allem mit der Marke Harry Potter selbst zusammen“, bestätigt auch Thomas Bremer, Professor für Game Design an der HTW Berlin. Anders als bei anderen Spielen aus der Filmreihe gebe es aber hier die entscheidende Möglichkeit, sich in dieser berühmten Fantasie-Welt frei bewegen und sie erforschen zu können.
Ob Hogwarts Legacy zum Erfolg werde, hänge maßgeblich davon ab, ob die Interaktion der Spieler innerhalb der „offenen Welt“ interessant und spannend umgesetzt wurde. Sogenannte Open-World-Spiele wie etwa Grand Theft Auto (GTA), Dreamlight Valley oder Skyrim würden immer für eine große Begeisterung in der Gamer-Szene sorgen – seien aufgrund der Komplexität aber schwer zu implementieren.
Der Vorteil an einem Weiterspinnen bereits bestehender Fantasie-Welten wie des Harry-Potter-Universums: Mit ihrem Vorwissen finden sich die Fans sofort in den Filmen oder Spielen zurecht. Wie könnte die Vermarktung von Fantasie-Welten weitergehen? „Ein weiter Schritt könnte sein, ein Harry-Potter-Metaverse aufzubauen. Also eine Verknüpfung aus digitaler und echter Welt, in der sich Nutzer treffen, spielen und auch Produkte kaufen können“, sagt EY-Berater Riedel.
Hogwarts Legacy könnte bereits ein erster Schritt in diese Zukunft sein, schließlich können Spieler sich in dieser offenen Welt frei bewegen und ihre eigenen Avatare nach ihren Wünschen frei gestalten. Hinter Spielen wie Hogwarts Legacy könnte auch eine weitere Strategie stecken. „In der Weiterentwicklung von alten Ideen in neuen Technologien können auch neue Nutzergruppen erschlossen werden.“
Ein Harry-Potter-Game zu entwickeln, das inhaltlich anspruchsvoll ist, spricht nicht nur die ursprüngliche Zielgruppe der Millennials an, die in den 90ern und 2000ern Kinder waren. Es eröffnet gleichzeitig auch die Möglichkeit, die heute 15- bis 30-Jährigen, die sich für anspruchsvolles Gaming interessieren, an sich und das Franchise zu binden.
Zuletzt hat das besonders erfolgreich das japanische Franchise Pokémon vorgemacht. Das einstige Kartenspiel aus den 1990ern hat sich durch die virtuelle Spiele-App Pokémon Go neben der Zielgruppe von nostalgischen Erwachsenen auch eine junge Zielgruppe erarbeitet. „Da war der Erfolg programmiert“, sagt Riedel. „Damit Zielgruppen von Marken und Franchises nicht aussterben, sind solche Zielgruppen-Verjüngungen überlebenswichtig.“
Ob Content Provider der Unterhaltungsindustrie, wie Warner Bros., gut im Markt positioniert sind, hänge auch von den Marken im Portfolio zusammen. Hier könne sich das Unternehmen durchaus sehen lassen, so Riedel. In Bezug auf den Vertrieb sei das ungehobene Potenzial jedoch noch groß. „Spiele bilden eine gute Basis, um eine erfolgreiche Vertriebs-Plattform aufzubauen.“
Den größeren Eintritt in den Spielemarkt könnte man durchaus als Versuch verstehen, auch auf diesem Weg ins Plattform-Geschäft einzusteigen. Andere Wettbewerber tun das vor allem über Serien-Plattformen, wie etwa der Konzern Walt Disney mit seinem Anbieter Disney Plus. Warner selbst ist mit dem Tochter-Streamingdienst HBO Max positioniert, dem Heim-Sender von Game of Thrones.
Welche konkreten nächsten Schritte zur Erweiterung des Harry-Potter-Universums geplant sind, ist noch offen. Warner Bros hat Interesse an weiteren Filmen – auch eine Serie für HBO Max schließt man nicht aus.
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Source: welt.de