Hamburg: Der Cosco-Deal beschädigt die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik

In der Bundesregierung gibt es Streit um den Verkauf von Anteilen eines Hamburger Containerterminals an das chinesische Staatsunternehmen Cosco. Der Grund: Es handelt sich um kritische Infrastruktur. Zahlreiche Sinologen der Hansestadt Hamburg wenden sich nun in einem offenen Brief an den Bundeskanzler. Er möge den geplanten Verkauf des Containerterminals Tollerort an die Cosco untersagen, fordern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
wir wenden uns heute als Hamburger Sinolog/innen an Sie, weil uns die Pläne der HHLA, Anteile des Containerterminals Tollerort im Hamburger Hafen an die chinesische Reederei Cosco zu verkaufen, mit Sorge erfüllen. Wir können vor einem solchen Geschäft nur dringend warnen – nicht obwohl, sondern gerade weil uns sowohl Hamburg als auch das chinesische Volk am Herzen liegen: Es würde einem Regime in die Hände spielen, das sein Volk in den letzten Jahren immer rücksichtsloser unterdrückt hat, und es birgt ein politisches Risiko für Hamburg und Deutschland, das den erhofften wirtschaftlichen Vorteil weit überwiegt.
Das geplante Geschäft fügt sich in eine ganze Reihe vergleichbarer chinesischer Investitionen in seine „Maritime Seidenstraße“: Investitionen, die keineswegs einer rein wirtschaftlichen Logik folgen, sondern geopolitisch motiviert sind. Die VR China hat wirtschaftlichen Einfluss systematisch genutzt, um ihre politische Macht zu erweitern. Aus kleineren Investitionen wurden – etwa in Hambantota (Sri Lanka) und in Piräus – regelrechte Übernahmen ganzer Häfen, und aus Wirtschaftshilfe wurde politische Einflussnahme. Nicht zuletzt der Fall Litauens zeigt, dass die politische Führung der VR China nicht vor dem Versuch zurückschreckt, europäische Verbündete gegeneinander auszuspielen.
Auch eine Übernahme von Teilen des Hamburger Terminals wäre kein rein wirtschaftliches Geschäft, sie wäre hochpolitisch. Cosco ist ein Staatsunternehmen, das unmittelbar mit der KP Chinas verflochten ist: Fast die gesamte Führung des Unternehmens, inklusive des Vorstandsvorsitzenden, hat zugleich hohe Parteiposten inne. Mit der Übernahme von Cosco – zumal mit Beteiligung an der Geschäftsführung – gewönne die KP Chinas erheblichen Einfluss auf das Terminal Tollerort. Berichte von Warnungen der chinesischen Botschaft an deutsche Unternehmen davor, sich diesem Geschäft zu widersetzen, deuten schon jetzt an, was nach einem Vertragsabschluss zu erwarten wäre.
Innerhalb der letzten zwei Jahre hat die VR China nicht nur „unbotmäßige“ Länder, sondern auch europäische Parlamentarier/innen und Wissenschaftler/innen sanktioniert, die Chinas Menschenrechtsverletzungen kritisieren; die EU hat die VR China als „Systemrivalen“ identifiziert und die UN ihr „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vorgeworfen; die chinesische Führung hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gebilligt und offen mit einer militärischen Invasion Taiwans gedroht. Allein angesichts dieser Drohung, die nach den jüngsten Entwicklungen in der VR China sehr real erscheint, sollte es sich verbieten, kritische Infrastruktur auch nur in Teilen an ein chinesisches Staatsunternehmen zu verkaufen. Wir fragen uns, ob dieser Worst Case im Kanzleramt schon ausreichend bedacht worden ist.
Das geplante Geschäft wäre nicht nur ein Schlag ins Gesicht für viele westliche Partnerländer; es spräche auch den Bemühungen der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft hohn, sich von China unabhängiger zu machen. Hochschulen – darunter auch die Universität Hamburg – werden dazu gedrängt, ihre Kooperation mit Konfuzius-Instituten und Verbundprojekte mit China zu beenden, Unternehmen sind gehalten, ihre Lieferketten umzustellen. In dieser Situation dennoch massive chinesische Investitionen in den Hamburger Hafen zuzulassen, würde die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik erheblich beschädigen.
Wohlgemerkt, es geht uns keineswegs um „Entkopplung“ von China. Wir halten Handel, politische Zusammenarbeit, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch mit China weiterhin für wichtig und wünschenswert. Doch angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in China kann es kein business as usual geben, wirtschaftliche Interessen dürfen liberale Werte und Sicherheitsinteressen nicht übertrumpfen. Die chinesische Regierung weiß ihre „Kerninteressen“ sehr wohl zu verteidigen und würde einem vergleichbaren Geschäft, etwa in Shanghai, nie und nimmer zustimmen. Auch wir sollten es nicht tun.
Wir schreiben Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diesen Brief in dem Bewusstsein, dass wir damit unsere Möglichkeit aufs Spiel setzen, in absehbarer Zukunft nach China zu reisen oder dort zu forschen. Das mag Ihnen zeigen, wie wichtig uns diese Angelegenheit ist. Wir appellieren an Sie, sie ebenso ernst zu nehmen und den geplanten Verkauf des Containerterminals Tollerort an die Cosco zu untersagen.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
Prof. Dr. Kai Vogelsang
Christa Aichele
Michael Arri
Thomas Awe
Lars Bickmann
Eva Binde
Hannelore Blöcker
Dr. Gerd Boesken
Dr. Rüdiger Breuer
Thomas Buschmann
Stefan Christ
Dr. Ruth Cordes
Petra Doberschütz
Claudia Ehler
Dr. Eva Ehmke
Gudrun Erler
Corinna Hammen
Alexandra Hanisch
Martina Hasse
Jörn Heidelmann
Judith Heise
Jutta Heppner
Stefanie Jack
Tom Jaisle
Jan-Peter Jansen
Dr. Sarah Kirchberger
Prof. Dr. Frank Kraushaar
Barbara Krein
Sandra Liedtke
Laura Lindemann
Annette Listmann
Charlotte Morbey
Manfred Müller
Sigrid Nettesheim
Franziska Paulig
Norbert Pautner
Dr. Sabine Petzinna-Gilster
Anette Richter
Antje Rigó
Dr. Susanne Schäffler-Gerken
Marie Schierhorn
Anne Schmidt
Jutta Schumacher
Dr. Anja Steinbauer-Lewis
Insa Sumann
Ellen Tetens
Iris Teut
Oliver Teut
Tabea Thöle
Silviana Ursu
Tanja Westerhagen
Günter Whittome
Eckart Wilharm
Lukas Witt
Dr. J. Philipp Zielke