Habeck: Es ist bigott, Klimaschutz zu propagieren, aber dann nicht zu handeln

Minister Habeck, Sie waren gerade in Brasilien, Kolumbien und Japan, dazwischen die Krisenthemen in Berlin – wie viele Stunden schlafen Sie nachts noch?

Heike Göbel

Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.

Julia Löhr

Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

Es geht in Wochen wie diesen manchmal ein bisschen das Gefühl für die Tageszeit verloren. Aber ich schlafe genug, keine Sorge.

In Amerika und Europa taumeln wie vor 15 Jahren wieder Banken. Stehen wir nach Corona und dem Energiepreisschock vor der nächsten großen Krise?

Das europäische Bankensystem steht robust da, die Einlagensicherung hat ein ganz anderes Niveau erreicht als damals. Wir befinden uns heute nicht in einer systemischen Finanzkrise, sondern wir sehen einzelne Banken in der Schweiz und den USA, die Probleme haben. Ich gehe davon aus, dass das Finanzsystem das wegstecken kann. Es gibt innerhalb der Bundesregierung einen Austausch über die Banken, aber es gibt keine Krisensitzungen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat wegen der vielen Ausgabewünsche die Eckwerte für den Haushalt 2024 verschoben. Wann einigen Sie sich?

Wir werden 2024 die Schuldenbremse einhalten, einhalten müssen …

… was Sie bedauern?

Nein. Die Aussetzung der Schuldenbremse lässt sich im Prinzip nur durch eine makroökonomische Störung begründen. Die Pandemie war so ein Ereignis, und die Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine auch. Aber wir haben die Energiekrise beherrschbar gemacht und eine schwere Rezession abgewehrt. Zum Glück. Es wäre geradezu zynisch, jetzt auf die nächste Krise zu hoffen, nur um die Schuldenbremse erneut aussetzen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir in ein ökonomisch ruhigeres Fahrwasser kommen. Die Aussichten dafür sind gut. Das heißt aber auch, dass wir werden sparen müssen.

Welchen Sparvorschlag haben Sie?

Mit einem werden wir nicht auskommen. Die Ideen meines Ministeriums kennt der Finanzminister. Ich werde sie aber nicht öffentlich diskutieren. Vorschläge, die unter dem grellen Scheinwerferlicht und den Zuspitzungen des Berliner Betriebs diskutiert werden, kommen selten zum Zuge. Dann ist es eben gerade kein neutraler Vorschlag, sondern sofort einer von SPD, Grünen oder FDP, und der kann allein deswegen nicht kommen. Deshalb sind alle gut beraten, die Dinge jetzt konzentriert und in Ruhe miteinander zu bereden.

15 Monate nach Amtsantritt der Fortschrittskoalition hängen rund 30 Projekte fest. Kommt am Sonntag im Koalitionsausschuss der Durchbruch?

Das erwarte ich von uns allen. Der Koalitionsausschuss muss eine Dynamik schaffen. Das ist machbar, denn persönlich ist die Stimmung in der Koalition intakt. Klar ist: Wir kommen da nur raus, wenn alle etwas gewinnen. Das heißt aber auch, dass alle etwas geben müssen.

Welche Vorhaben müssen jetzt als Erstes vom Tisch?

Unabhängig von den konkreten Themen des Koalitionsausschusses sollten wir die schon weit vorangeschrittenen Projekte schnell gängig machen. Für mich als Wirtschaftsminister ist zum Beispiel das Fachkräfteeinwanderungsgesetz extrem wichtig. Es sollte schnell das Kabinett passieren. Uns fehlen schon jetzt eine Million Arbeitskräfte. Und etliche andere Dinge sind auch entscheidungsreif – aus meinem Haus das Wettbewerbungsdurchsetzungsgesetz, das Energieeffizienzgesetz ebenso.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ampel bis 2025 durchhält?

110 Prozent.

Das Umweltbundesamt sagt, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) habe „keinen Plan“ für die Einhaltung der Klimaziele. Wie sinnvoll sind die Sektorziele überhaupt noch?

Im Koalitionsvertrag heißt es klug: Alle Sektoren werden ihren Beitrag leisten müssen. Alle heißt alle. Nicht alle bis auf wenige. Um die Wärmewende kümmern sich mein Haus und das von Klara Geywitz. In diesem Bereich ist eine Trendumkehr auch schon zu sehen, anders als im Verkehr. Volker Wissing macht viel, vom 49-Euro-Ticket bis zur Bahn. Aber bei den Autos passiert offenkundig noch zu wenig. Insofern hat der Verkehrssektor noch was zu leisten.

Robert Habeck beim Gespräch im Wirtschaftsministerium in Berlin. : Bild: Daniel Pilar

Die Wärmewende erhitzt die Gemüter. Derzeit sind 13 Milliarden Euro für die energetische Sanierung samt Heizungstausch vorgesehen. Sie versprechen mehr Förderung. Wie viel Geld brauchen Sie?

Das hängt auch von den Instrumenten ab. Es gibt ja nicht nur klassische Zuschüsse, sondern auch schon jetzt die Möglichkeit, Investitionen für energetische Sanierungen oder eben die Wärmepumpe von der Steuer abzusetzen. Selbstnutzer können 20 Prozent ihrer Investitionskosten direkt von der Einkommensteuerlast abziehen. Wenn wir das auf Vermieter erweitern, wäre das eine sehr elegante, bürokratiearme Lösung, um die Mehrkosten einer Wärmepumpe abzufedern. Wie gesagt, eine Steuerfrage.

Das muss also in den Haushaltsverhandlungen abgestimmt werden?

Ja. Für Zuschüsse dagegen greifen wir auf den Klima- und Transformationsfonds zurück. Schon jetzt sind bis zu 40 Prozent Förderung möglich. Mein Ziel ist, dass Menschen mit niedrigen oder mittleren Einkommen für eine durchschnittliche Wärmepumpe unter dem Strich nicht mehr zahlen als für eine herkömmliche Gasheizung. Für Leute, die wirklich sehr gutes Geld verdienen, wollen wir Zinsvergünstigungen. Und es gibt ja auch schon jetzt die erwähnte Steuerermäßigung. Ich gehe ohnehin davon aus, dass Wärmepumpen bald günstiger werden, wenn die Industrie mehr davon produziert – entsprechend wird dann die Förderung angepasst.

Ab 1.1.2024 sollen keine neuen Gas- oder Ölheizungen mehr erlaubt sein. Treibt die Politik dadurch nicht die Nachfrage und damit auch die Preise für Wärmepumpen weiter in die Höhe?

Angebot und Nachfrage werden sich austarieren, da glaube ich fest an den Markt. Die Wärmepumpenhersteller stellen sich auf den Hochlauf ein, es gibt eine enorme Dynamik.

An den Heizungsplänen gibt es auch Kritik von SPD-Ministerpräsidenten, die mit den Grünen regieren. Ist der Starttermin noch zu halten?

Wir reden hier ja über einen Gesetzentwurf, den wir zusammen mit dem SPD-geführten Bauministerium von Klara Geywitz erarbeitet haben. Und zwar so, wie es der Koalitionsausschuss von SPD, FDP und Grünen im März 2022 wollte – und das aus gutem Grund. Es geht bei der Wärmewende nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um Versorgungssicherheit. Ich wundere mich wirklich manchmal, wie schnell wir das vergessen. Hätten wir dieses Gesetz schon im vergangenen Sommer auf dem Höhepunkt der Energiekrise vorgelegt, ich bin mir sicher, es hätte nicht annähernd so viel Kritik gegeben. Wir dürfen doch die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und uns nach dem ersten überstandenen Winter zurücklehnen. Einfach weiter wie bisher ist keine Option.

Der Starttermin bleibt also?

Heizungen sind Investitionen für 20 bis 30 Jahre. Deshalb müssen wir zügig das Signal geben, wer jetzt in eine neue Heizung investiert, sollte das nachhaltig tun. Den Übergang müssen wir natürlich maximal pragmatisch gestalten – mit Übergangsfristen, Härtefallregelungen. Schon jetzt ist deshalb viel Spielraum vorgesehen: Wenn die alte Erdgasheizung kaputt ist, kann sie repariert werden. Wenn sie irreparabel ist, kann man erstmal eine Ersatzgasheizung einbauen, und hat drei Jahre Zeit; bei einem geplanten Anschluss ans Wärmenetz sogar bis zu zehn. Parallel dazu schieben wir zusammen mit Klara Geywitz den Ausbau der Wärmenetze über eine kommunale Wärmeplanung an.

Wegen des nahenden Verbots kaufen viele Eigentümer jetzt noch schnell eine neue Gas- oder Ölheizung.

Solange der Einbau noch erlaubt ist, darf man das natürlich. Aber es ist die falsche Reaktion. Die Preise für Erdgas und Heizöl werden ab 2027 durch den EU-Emissionshandel kontinuierlich steigen. Über den Lebenszyklus einer Heizung ist daher eine Wärmepumpe günstiger als eine Gasheizung. Wer also auf Wärme aus erneuerbaren Energien umstellt, macht sich selbst unabhängig von der Preisentwicklung für fossile Brennstoffe. Die fossilen Energien sind eine Sackgasse, keine Spardose. Ich rate also wirklich, genau hinzuschauen und sich beraten zu lassen.

„Ich gehe ohnehin davon aus, dass Wärmepumpen bald günstiger werden“, sagt Robert Habeck. Geräte auf der ISH Sanitär und Heizung in Frankfurt. : Bild: Lucas Bäuml

In wenigen Wochen gehen die letzten Atomkraftwerke vom Netz. Wenn die Energiekrise noch nicht vorbei ist, wäre es da nicht logisch, die CO2-neutralen Meiler länger laufen zu lassen?

Der Bundeskanzler hat entschieden, dass am 15. April Schluss ist.

Das ist alles?

Es ist zu diesem Thema alles gesagt.

Der Windgipfel steht bevor. Müsste man das Flächenziel von 2 Prozent je Bundesland ausweiten, um genügend erneuerbare Energie zu bekommen?

Ich bin schon froh, wenn wir die 2 Prozent hinbekommen. Aber wir arbeiten an allen Ecken und Enden, weiter zu beschleunigen, was geht. Von den Verfahren bis zum Transport. Derzeit ist zum Beispiel der Verkehr ein Problem. Die Riesenbauteile müssen ja transportiert werden. Das ist wieder eine Zumutung für alle, auch für Autofahrer.

Die Grünen wollen auch in Ostdeutschland den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen, die Menschen vor Ort sind dagegen. Wie sehr schadet sich Ihre Partei vor den Landtagswahlen 2024 damit selbst?

Wenn wir nicht mehr das Vernünftige tun, weil irgendwo Wahlen sind, dann wird unser Land handlungsunfähig. In welchem Umfang Braunkohlekraftwerke noch gebraucht werden, entscheidet sich am Aufbau der erneuerbaren Energien und der Reservekapazitäten. Letzteres sind wasserstofffähige Gaskraftwerke. Und wir arbeiten mit Hochdruck an beidem. Die zweite Frage ist, ob die Kraftwerke noch ökonomisch zu betreiben sind. Der steigende CO2-Preis und der Ausbau der Erneuerbaren könnten die Kraftwerke in Ostdeutschland unrentabel machen. Daraus ergäbe sich für den Kohleausstieg dann ein Datum um 2030 herum.

Wenn der Markt das regelt, warum dann ein festes Ausstiegsdatum?

Weil die Ministerpräsidenten, die Unternehmen und auch wir uns darauf vorbereiten müssen. Ohne Datum gibt es für keinen Marktakteur Planungssicherheit und dann bauen wir die notwendigen Ersatzkapazitäten nicht.

Wir beziehen Atomstrom aus anderen Ländern, importieren gefracktes Flüssiggas, wollen CO2 exportieren, statt es selbst zu verpressen. Ist das nicht eine bigotte Energiepolitik?

Bigott ist es, Klimaschutz zu propagieren, aber dann nicht zu handeln. Oder den Ausstieg aus Energieträgern zu beschließen, ohne Alternativen aufzubauen. Es ist offenbar der politischen Amnesie anheimgefallen, dass der Ausstieg aus der Atomkraft unter einer schwarz-gelben Regierung erfolgt ist. Von all den Kollegen, die das damals beschlossen haben, dann den Ausbau der Erneuerbaren blockiert haben und jetzt fordern, die AKW weiterlaufen zu lassen, hat keiner gesagt, da haben wir wohl was falsch gemacht. Auch Markus Söder nicht. Wobei, das nur zu Protokoll, ich halte den Atomausstieg nicht für einen Fehler, den verschleppten Ausbau der Erneuerbaren schon.

In Umfragen liegt die AfD inzwischen teils vor den Grünen. Erwarten Sie eine Debatte, das Ziel der Klimaneutralität von 2045 auf 2050 zu verschieben?

Unser Problem ist nicht, dass wir uns zu viel zu schnell zutrauen, sondern zu wenig zu langsam. Wenn wir als Politiker Probleme nicht mehr lösen, sondern die Dinge aussitzen, werden wir international nicht mehr wettbewerbsfähig sein.

Apropos wettbewerbsfähig: Wann kommt der Industriestrompreis?

Unser Ziel ist, dass die Industrie den günstigen Strom aus den erneuerbaren Energien beziehen kann. Das geht nur in Etappen und man braucht mehrere Instrumente. Eines davon ist, dass Kommunen Windflächen in der Nähe von Industrie- und Gewerbegebieten zur Verfügung stellen können, damit Betriebe günstige Erneuerbare direkt nutzen können. Dafür sind die entsprechenden Netzentgeltregeln nötig. Und auch der günstige Strom aus Offshore-Anlagen soll für die Industrie nutzbar werden, da reden wir über sogenannte Differenzverträge. Es gehört aber zur Ehrlichkeit dazu, dass wir die Erneuerbaren eben noch ausbauen müssen und es also noch ein paar Jahre braucht, bis das greift.

Das heißt: Den von Olaf Scholz im Wahlkampf versprochenen Industriestrompreis von 4 Cent wird es nicht geben?

Um schnell einen günstigen Preis für die Industrie zu garantieren, müsste man zusätzliches Geld in die Hand nehmen. Ich fände das gut, aber das liegt nicht allein in meiner Hand. Da sind wir wieder beim Haushalt und der Schuldenbremse und der EU-Beihilfe.

Lässt der Wirtschaftsminister zu, dass die Industrie abwandert?

Nein, wir kämpfen dagegen an. Aber die globale Konkurrenz ist groß. Amerika subventioniert seine Industrie offen und pusht sie in Richtung Klimaschutz. Darauf muss Europa eine Antwort geben und genau das tun wir. Der neue Beihilferahmen lässt viel mehr Spielraum für Investitionsanreize in grüne Technologien. Und natürlich brauchen wir eine Strategie im Umgang mit China.

„Unser Ziel ist, dass die Industrie den günstigen Strom aus den erneuerbaren Energien beziehen kann“, sagt Wirtschaftsminister Habeck. : Bild: Daniel Pilar

Dax-Unternehmen wie VW, BASF und Siemens setzen weiter voll auf China. Wird die Bundesregierung ihnen helfen, falls China Taiwan angreift und das Geschäft wegbricht?

Erstmal hoffe ich, dass es diesen Angriff nie geben wird. Wir haben ja gesehen, was ein Krieg auslöst. Aber grundsätzlich ist klar, dass wir weniger abhängig von China werden müssen. Das heißt, Resilienz stärken, sich breiter aufstellen, Wirtschaftssicherheit zum Schwerpunktthema machen. Das muss ganz nach oben auf die politische Agenda.

Wird auch Deutschland den Export bestimmter Hightechgüter nach China verbieten, wie es die Amerikaner schon machen?

Wir müssen verhindern, dass uns die Technologieführerschaft verloren geht, weil wir nicht genau hinschauen. Exportkontrollen darf es nicht überall geben, aber in bestimmten kritischen Sektoren sollten wir strenger werden, ja.

Wird es im deutschen 5G-Netz in fünf Jahren noch Teile von Huawei geben?

Es wird nicht alles, was schon eingebaut ist, ohne weiteres einfach wieder ausgebaut werden können. Das Netz muss ja weiter funktionieren. Aber für die Zukunft sollten wir darauf verzichten.