Guatemala: Präsident Arévalo scheitert am „Pakt dieser Korrupten“

Das Urteil gegen Virginia Laparra, langjährige Leiterin der Staatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit (FECI) in Quetzaltenango, wirkt wie eine Kriegserklärung an die Anfang 2024 vereidigte Regierung des linken Soziologen und Diplomaten Bernardo Arévalo. Die 44-jährige Juristin, die einen Richter wegen Korruption angezeigt hatte und Beweise dazu weitergab, ist Opfer eines pervertierten Justizsystems. Wegen Amtsanmaßung wurde Laparra in einem ersten Verfahren zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, von der sie fast zwei Jahre absaß, bevor sie im Januar in einen Hausarrest entlassen wurde. Mitte Juli gab es ein neues Urteil: Wegen der Weitergabe vertraulicher Informationen fünf Jahre Gefängnis.

Minister werden vorgeladen

Ein exemplarischer Richterspruch für die Mutter zweier Kinder, die vor wenigen Tagen das Land verlassen hat. „An mir wird ein Exempel statuiert, um jedem Mitarbeiter im Justizsystem zu bedeuten: Jeder und jede ist antastbar.“ Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras, die seit 2018 den Justizsektor wie einen Staat im Staat regiert, setzt auf Abschreckung und dient so den Mächtigen. In Guatemala sind das Militärs, Politiker und Unternehmer, dazu die Akteure einer organisierten Kriminalität. Es handelt sich um eine Interessengemeinschaft, die als „Pakt der Korrupten“ bezeichnet wird. Das Ministerio Público – vergleichbar der deutschen Generalstaatsanwaltschaft – ist die Bastion dieses informellen Kreises, der über hemmungslosen Klientelismus Institutionen des Staates kontrolliert.

Genau das will die Regierung von Bernardo Arévalo nicht auf sich beruhen lassen, und eine Mehrheit folgt ihm dabei. Diesem Ziel wird dadurch entsprochen, dass sich der Präsident, anders als seine Vorgänger, regelmäßig mit denen trifft, die früher außen vor waren – mit Vertretern der indigenen Bevölkerung, den „autoridades ancestrales“. Indigene stellen gut die Hälfte der Einwohner in diesem mittelamerikanischen Staat und warten geduldig auf Reformen von oben, auf Investitionen in die Infrastruktur, in Bildung und Gesundheit. David Sacach, er arbeitet für eine Gemeinde in der Region des Atitlán-Sees, meint: „Natürlich gibt es viele Menschen, die Bernardo Arévalo als Erlöser sehen, auf schnelle Fortschritte hoffen, aber davor warnen unsere Autoritäten.“

Derzeit sind die Umfragen für den Staatschef zwar lange nicht mehr so gut wie Anfang 2024, aber nach wie vor wolle man mehrheitlich Reformen unter seiner Verantwortung, so der deutsche Anwalt Michael Mörth, der seit Beginn der 1990er Jahre in Guatemala lebt. Nur leider stehe die Regierung vor extremen Schwierigkeiten, weil der „Pakt der Korrupten“ alle Register ziehe, um Pfründen zu verteidigen. „Generalstaatsanwältin Porras und ihre Handlanger wie die Staatsanwälte Rafael Curruchiche und Leonor Morales sowie Richter Fredy Orellana schalten und walten nach Belieben innerhalb der guatemaltekischen Justiz“, so die 33-jährige indigene Anwältin Wendy López vom Menschenrechtsverband UDEFEGUA. Bestes Beispiel dafür ist die Welle von Strafverfahren und Vorladungen, denen Mitglieder der Regierung Arévalo ausgesetzt sind und denen sie Folge zu leisten haben. 136 Vorladungen durch die Generalstaatsanwaltschaft sah sich bisher Erziehungsministerin Anabella Giracca gegenüber, 86 waren es bei Finanzminister Jonathan Menkos. Gesundheitsminister Óscar Cordón warf im Juni das Handtuch und trat entnervt zurück.

Fakt ist, dass María Consuelo Porras und ihr Team Gesetze zu ihrem Vorteil auslegen und dabei kaum zu bremsen sind. „Das Verfassungsgericht deckt diese Praxis als Teil eines korrupten Systems, während sich die Regierung Mehrheiten im Parlament suchen muss“, schildert Héctor Reyes, Direktor von CalDH, einer juristischen Hilfsorganisation, das Problem. Dies führt dazu, dass Prozesse gegen Journalisten wie José Rubén Zamora von der Zeitung El Periódico (der Freitag 14/2023), gegen Jordán Rodas, ehemaliger Ombudsmann für Menschenrechte, oder den Schweizer Uli Gurtner, Geschäftsführer des Kaffee-Genossenschaftsverbandes FEDECOCAGUA, künstlich verlängert werden, kritisieren Reyes und López.

Es ist ein offener Machtkampf zwischen einer restaurativen Justiz und einer reformerischen Regierung entbrannt. Generalstaatsanwältin Porras, so Präsident Arévalo vor Wochen, sei eine „Gefahr für die Demokratie“. Die 70-Jährige, das bestätigt Margaret Satterthwaite, UN-Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit der Justiz, sei in Guatemala die treibende Kraft hinter Schikanen gegen Richter und Staatsanwälte. Ihr Name steht auf der von den USA geführten „Liste Engel“, die alle nachweislich korrupten Akteure in Mittelamerika erfasst, denen gegebenenfalls Einreiseverbote drohen. Dies kommt einer internationalen Ächtung der Betroffenen gleich, auch wenn das viele kaum tangiert.

Ohnehin habe die vom Regierungslager in diesem Zusammenhang eingebrachte Gesetzesnovelle einen Haken, so Jurist Michael Mörth: „Laut Regierung gab es Absprachen mit einer Mehrheit der Abgeordneten, aber die kamen dann nicht einmal zu den nächsten Sitzungen.“ Die Folge war, dass im Juni das nötige Quorum dreimal verfehlt wurde. Danach ging der Kongress in die Sommerpause.

Zu spät und ohne klaren Plan sei die Regierung vorgegangen, kritisiert Gersón Ortiz, Direktor des Online-Portals eP Investiga, als journalistischer Player für Guatemala in der Tradition von El Periódico, einst das Beispiel für investigativen Journalismus. Die Zeitung hatte im Mai 2023 endgültig aufgeben müssen, als sie den Angriffen aus dem Ministerio Público, das ihre Konten eingefroren und ihren Gründer José Rubén Zamora inhaftiert hatte, nichts mehr entgegensetzen konnte. Derzeit versucht eine junge Redaktion um Direktor Gersón Ortiz den Neuanfang mit rechercheintensiven Berichten über Seilschaften im Ministerio Público, aber eben auch über die Fehler der Regierung Arévalo, der angekreidet wird, es fehle ihr an einer Strategie, um sich einer korrupten Justiz zu erwehren und wieder mehr Rückhalt im Parlament zu gewinnen. Präsident Arévalo hatte nach der Vereidigung im Januar durch sein Zaudern die Gelegenheit verpasst, sich einer Mehrheit im Kongress zu versichern, um María Consuelo Porras abzusetzen.

Überdies setze die Regierung zu wenig auf den Druck von unten, auf die Meinung der Straße, so Lourdes Gómez. Die indigene Menschenrechtsaktivistin aus dem im Norden Guatemalas liegenden Verwaltungsbezirk Alta Verapaz weist wie Michael Mörth darauf hin, dass es Arévalo immerhin gelungen sei, etliche neue regionale Gouverneure ins Amt zu bringen, mit denen sich etwas gegen die omnipräsente Korruption anfangen lasse.

Pluspunkte verbucht die Regierung, wenn sie versucht, die Justiz von unten zu reformieren, indem unabhängige, nicht korrupte Richter in die Nominierungskommissionen gewählt werden. Auch ein Bruder von Virginia Laparra sitzt in einem dieser Gremien. Das sind Umstände, von denen in den nächsten Monaten noch einiges abhängen könnte. Ungeachtet dessen steht die Regierung Arévalo unter einem enormen Erwartungsdruck. Aus den USA ist während des dortigen Wahlkampfes mit wenig Unterstützung zu rechnen. Mutmaßlich verheißt eine US-Regierung unter einem Präsidenten Donald Trump nichts Gutes, zumal der „Pakt der Korrupten“ in den USA exzellent vernetzt ist.