Grünen-Politikerin will Verfügbarkeit von Alkohol und Tabak einschränken
Geht man allein nach der Anzahl der Toten, sind die legalen Rauschmittel Alkohol und Tabak mit Abstand die gefährlichsten Drogen. Während im Jahr 2021 in Deutschland 1826 Menschen an illegalen Drogen gestorben sind, sterben hierzulande jährlich rund 70.000 Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums und rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Millionen Menschen sind süchtig. Für das soziale und gesellschaftliche Umfeld, aber auch für die Belastung des Gesundheitssystems und die Volkswirtschaft hat dies massive Folgen.
Kurz vor dem Jahreswechsel sorgte eine wissenschaftliche Befragung zum Rauchverhalten der Deutschen für Aufsehen. Seit Beginn der Erhebung im Jahr 2016 erreichte der Anteil der Raucher in allen Altersgruppen im Jahr 2022 einen Höchstwert. Unter Jugendlichen stieg der Raucheranteil sprunghaft auf rund 16 Prozent an.
Neuseeland geht ab dem 1. Januar 2023 einen radikalen Weg: Wer nach 2008 geboren wurde, wird dort nie legal Tabakwaren kaufen dürfen. Das Mindestalter wird jährlich heraufgesetzt, die Zahl der Verkaufsstellen um 90 Prozent reduziert, der Nikotingehalt stark gesenkt. Auch im Vergleich zur Europäischen Union ist Tabak in Deutschland einfach zu erwerben: Rund 380.000 Zigarettenautomaten sichern eine flächendeckende und ständige Verfügbarkeit.
Ähnliches gilt für Alkoholika: Die Steuersätze liegen deutlich unter dem europäischen Durchschnitt, die Drogenpolitik ist in Bezug auf Alkohol eher industriefreundlich als gesundheitspolitisch ausgerichtet. Etwa in Schweden dürfen Getränke mit mehr als 3,5 Volumenprozent Alkohol nur bei einem staatlichen Monopolhändler und lediglich von Über-20-Jährigen gekauft werden.
Die Ampel-Koalition hat sich in der Drogenpolitik viel vorgenommen. Ein Großprojekt mit unsicherem Ausgang wird das Vorhaben, Cannabis zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften an Erwachsene abzugeben. Zum Thema Alkohol und Tabak wurden im Koalitionsvertrag verschärfte Regelungen für Marketing und Sponsoring vereinbart. Nun wagen sich Suchtpolitiker aus den Ampel-Fraktionen mit konkreten Forderungen hervor.
Linda Heitmann, Berichterstatterin für Drogen- und Suchtpolitik der Grünen im Bundestag, fordert ein „generelles Umdenken in Bezug auf legale Drogen, um zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit diesen Substanzen zu kommen“. Die Abgeordnete will die Verfügbarkeit von Alkohol und Tabak einschränken.
„Wir müssen Verfügbarkeit und ‚Coolnessfaktor‘ der Suchtmittel verändern“, sagte Heitmann WELT. „Gerade in Bezug auf Alkohol gibt es hier bislang kaum Einschränkungen, sondern es gilt fast uneingeschränkt das Gesetz des freien Marktes – mit leichter Verfügbarkeit an vielen Verkaufsstellen, moderater Preisgestaltung vieler Produkte sowie kaum Regeln für Werbung und Marketing.“
Der Umgang mit Alkohol werde sich vermutlich nur dann signifikant ändern, wenn man an diesen Stellschrauben drehe und ansetze, sagte Heitmann weiter. „Zudem müssen wir auch diskutieren, ob Zigaretten und E-Zigaretten einfach über Automaten, in Supermärkten und Tankstellen rund um die Uhr verfügbar sein müssen.“
Grüne: Alkoholgenuss sollte nicht „immer und überall selbstverständlich“ dazugehören
Ob Erwachsene Alkohol genießen wollen oder nicht, sollte eine „persönliche Wertentscheidung“ sein, anstatt dass dieser „immer und überall selbstverständlich dazugehört“, so die Grünen-Politikerin weiter. „Deswegen halte ich steuerliche Erhöhungen für Alkoholika grundsätzlich für sinnvoll.“
Kristine Lütke, sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, widerspricht. Obwohl die Steuer auf Schaumwein und hochprozentigen Alkohol in Italien und Spanien geringer ausfalle als in Deutschland, sei dort gefährliches Rauschtrinken deutlich weniger verbreitet. „Eine höhere Besteuerung von alkoholischen Getränken ist also nicht zwangsläufig zielführend“, sagte Lütke. Sinnvoller seien gezielte Präventions- und Aufklärungsprogramme.
Seit Juli des vergangenen Jahres wird auch auf E-Zigaretten Tabaksteuer erhoben, diese steigt bis 2026 stark an. FDP-Politikerin Lütke fordert diesbezüglich eine Überprüfung. „Die von der Vorgängerregierung beschlossenen Erhöhungen der Tabaksteuer müssen nochmal auf den Prüfstand – weniger gesundheitsschädliche Produkte dürfen am Ende nicht teurer sein als die klassische Zigarette.“
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, will Alkoholwerbung stark einschränken. „Werbung für Bier und andere alkoholische Getränke hat, wie ich finde, zumindest mal zur Primetime weder im Fernsehen noch im Radio oder Internet etwas zu suchen“, sagte der SPD-Politiker. „Und auch die Bierwerbung auf der Stadionbande und der Logowand im Hintergrund ist so nicht in Ordnung. Denn Sport und Bier gehören einfach nicht zusammen.“
2020 beschloss der Bundestag, dass Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Wasserpfeifentabak nicht zu Werbezwecken kostenlos abgegeben werden dürfen. Blienert will die Regelung erweitern: „Meine Ziele sind klar: Null-Komma-Null Nikotinsponsoring, zukünftig keine kostenlose Abgabe mehr für neuartige Tabakprodukte und E-Zigaretten und, wenn irgend möglich, auch Schluss mit der Werbung am Kassenband oder im Kiosk an der Ecke“, sagte er. „Ich persönlich hätte auch nichts dagegen einzuwenden, wenn auch noch die Markenschilder auf den Verpackungen verschwinden müssten.“
Werbung für Alkohol bei Sportevents und Festivals verbieten?
In Bezug auf Marketing und Sponsoring herrscht in der Ampel Uneinigkeit. „Werbung für Suchtmittel muss auf jeden Fall raus aus Veranstaltungen, Internetplattformen, Medienangeboten und Sportevents, die sich an junge Leute richten“, sagt die Grüne Heitmann. Es brauche ein „komplettes Verbot von Sponsoring von Festivals und Veranstaltungen durch Tabak- und Nikotinhersteller“.
FDP-Politikerin Lütke sagt hingegen, dass kulturelles Leben oft nur mit Sponsoring von regionalen Brauereien oder Winzereien zu finanzieren sei. „Gerade kleine Vereine oder Kulturveranstalter kämpfen seit der Corona-Pandemie um ihre Existenz. Die Politik sollte die Lage nicht noch mit einem Sponsoring-Verbot verschärfen.“