Grüne Transformation: Thyssen-Krise erst welcher Anfang?
Paukenschlag, Chaos, Intrigen: Die einstige Industrieikone Thyssenkrupp ist am Donnerstagabend in ihre womöglich schwerste Krise gestürzt. Der Chef des Aufsichtsrats der Stahltochtergesellschaft, der frühere Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel, schmeißt seinen Posten hin. Stahlchef Bernhard Osburg und weitere Vorstände legen ihre Ämter nieder. Der Streit mit Konzernchef Miguel López um die Zukunft des Stahlgeschäfts eskaliert damit vollends. Rund 10.000 der 27.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, fürchtet die Gewerkschaft. López will die Produktionskapazitäten wegen der schwachen Nachfrage reduzieren und das Stahlgeschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Energieholding des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský auslagern.
Für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommen die Chaostage denkbar ungelegen. Denn Deutschlands größter Stahlhersteller sollte eigentlich das Vorzeigebeispiel für die Transformation zur klimaneutralen Industrie werden. Das Zerwürfnis in dem Traditionskonzern wirft ein Schlaglicht auf noch viel größere Fragen als nur die Unternehmensführung: Kann die grüne Transformation in energieintensiven Branchen hierzulande überhaupt gelingen? Und wenn ja: Wie viel Geld müssen die Betriebe, muss der Staat in die Hand nehmen, damit Stahl und andere Produkte „Made in Germany“ gegen die Konkurrenz vor allem aus China bestehen können? Die Ereignisse in Duisburg legen nahe, dass die Transformation deutlich teurer werden könnte als gedacht.
„Risiken ungeplanter Mehrkosten“
Im Juli 2023 war Habeck mit seiner nordrhein-westfälischen Amts- und Parteikollegin Mona Neubaur in Duisburg, um Thyssenkrupp 2 Milliarden Euro Fördermittel für die Umstellung eines Teils der Produktion – konkret: 2,3 Millionen Tonnen Stahl im Jahr – zuzusagen. Statt auf der traditionellen Hochofenroute mit Koks soll dieser Stahl künftig mit einer wasserstoffbasierten Direktreduktionsanlage entstehen. „Entsprechend dem Projektfortschritt wurden bereits Fördermittel ausgezahlt“, sagte eine Sprecherin Habecks am Freitag. Das Unternehmen sprach von etwas mehr als 500 Millionen Euro. Auf die Frage, ob der Bund einen Einstieg bei Thyssenkrupp plane – so wie bei der angeschlagenen Meyer-Werft –, hieß es am Freitag aus dem Wirtschaftsministerium: „Eine solche Lösung ist zurzeit nicht in der Diskussion.“
Die Kosten für die Umrüstung der Anlage von Thyssenkrupp wurden 2023 auf 2,7 Milliarden Euro beziffert. Die Steuerzahler sollten also den Großteil des Aufwands tragen. Offenbar erweist sich die Umstellung aber als viel kostspieliger. Siegfried Russwurm, Aufsichtsratschef des Gesamtkonzerns, teilte am Freitag mit, dass es bei dem Großprojekt „bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten“ gebe, die aktuell bewertet würden. Das Stahlunternehmen „verbraucht laufend Liquidität zulasten seiner eigenen Zukunft, aller anderen Geschäfte und der Eigentümer des Konzerns und hat unter seiner bisherigen Führung keine Kontrolle über diese Situation gewonnen“. Im Vergleich zur sonst so vorsichtigen Wortwahl von Managern in der Öffentlichkeit gleicht das fast schon einem Offenbarungseid.
„Finanziell für den Stahl nicht durchhaltbar“
Die auf Energiefragen spezialisierte Ökonomin Veronika Grimm, die als „Wirtschaftsweise“ die Bundesregierung berät, sieht die Förderung von Thyssenkrupp kritisch. Es gebe ein gewisses Erpressungspotential, einen „Lock-in-Effekt“, in den sich der Staat begeben habe. Es sei zwar grundsätzlich richtig, einen Teil der Stahlproduktion in Europa halten zu wollen. Sich auf einzelne Unternehmen und Standorte festzulegen sei aber „ein Ansatz, der nicht durchhaltbar sein dürfte“, sagte Grimm der F.A.Z.
Das Problem: Der Staat hat weniger Informationen über die Kosten der Umstellung, weshalb er am Ende zu viel zahlt. Die Unternehmen haben zudem einen Anreiz, Innovationsrisiken auf den Staat zu überwälzen. Wenn wie im Ruhrgebiet dann noch die Identifikation einer ganzen Region von der Branche abhängt, sei es „nachvollziehbar, wenn die Politik nachgibt“, sagte Grimm. „Es wird jedoch im Zuge der Transformation viele ähnlich gelagerte Fälle geben – das ist finanziell für den Staat nicht durchhaltbar.“ Effizienter sei es beispielsweise, Quoten für grünen Stahl zu etablieren und auf europäischer Ebene klimafreundlichen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen zu beschaffen. „Es wird viel Geld versprochen, und trotzdem dreht man sich im Kreis. Wann wacht da jemand auf?“, mahnt Grimm.
Auch andere Stahlhersteller wie Salzgitter, Arcelor Mittal und Saarstahl haben von Habeck Förderzusagen in Milliardenhöhe erhalten – nicht zuletzt auch, weil Landespolitiker Druck gemacht haben, dass in ihren Regionen sonst die Lichter ausgehen könnten. Insgesamt hat der Staat allein den großen Stahlherstellern 7 Milliarden Euro an Unterstützung zugesagt. Hinzu kommen viele weitere Milliarden, mit denen die Bundesregierung beispielsweise den Bau von Batteriezellen für Elektroautos, Mikrochips und den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur fördert. Das Geld stammt großteils aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), in den die Einnahmen fließen, die Privathaushalte und Unternehmen für den Ausstoß von CO₂ in der Industrie, im Verkehr und beim Heizen zahlen. Von der Idee, diese als Klimageld den Bürgern zurückzugeben, ist keine Rede mehr.
Auch bei Intel und Varta läuft es nicht rund
Auch bei vielen dieser Projekte läuft es nicht rund. Die geplante Chipfabrik von Intel in Magdeburg will der Bund mit 10 Milliarden Euro bezuschussen. Das wäre rund ein Drittel der Investitionskosten. Das Unternehmen steckt allerdings in einer tiefen Krise. Ob die Fabrik in Ostdeutschland kommt, ist derzeit unklar. Zugleich gibt es unter Beobachtern die Sorge, dass Intel seine Pläne in Deutschland womöglich nur noch deshalb umsetzen könnte, weil es hier so viel Geld vom Staat bekommt – die Überlebenszeit dieser Fabrik dann aber begrenzt sein könnte.
Auch der Fall Varta hat Zweifel an der Treffsicherheit der in den Ministerien ausgewählten Projekte geweckt. Der Batteriehersteller aus Baden-Württemberg hatte bereits vom früheren Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Fördermittel zugesagt bekommen, kämpft nun aber nach Managementfehlern und wegen der geringen Nachfrage nach Elektroautos um seine Existenz. Die Aktionäre verlieren im Zuge der Restrukturierung ihr komplettes Geld. Der Bund und die beteiligten Bundesländer müssen bangen, dass die von ihnen bereits ausgezahlten 137 Millionen Euro nicht vergebens waren.