Grüne Technologien: Deutsche Klimatechnik für Amerika

Fast täglich verlässt im Schnitt einer der rund 500 Tonnen schweren Kolosse das Werk in Cuxhaven – und wird über die Nordsee mitunter in die ganze Welt verschifft. Siemens Gamesa fertigt dort seit dem Jahr 2017 die haushohen Maschinenhäuser für Windturbinen auf See (Offshore). Einige der Lastschiffe haben auch das Endziel Amerika, soll die Windkraft dort doch stark ausgebaut werden.

Ilka Kopplin

Wirtschaftskorrespondentin in München.

Seit die amerikanische Regierung unter Präsident Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein rund 370 Milliarden Dollar schweres Förderprogramm für grüne Technologien auf den Weg gebracht hat, sprechen viele hiesige Unternehmen von einem Ruck in dem Markt. Auch der deutsche Energietechnikkonzern Siemens Energy be­kommt das zunehmend zu spüren – egal ob es sich um Windkraft an Land oder See (Gamesa), den Ausbau der Stromnetze oder um Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion handelt.

„Ich bin positiv gestimmt, was den Markt angeht. Es ist verrückt, was investiert wird. So viel Wachstum war in dieser Industrie noch nie da“, sagte jüngst Energy-Vorstandschef Christian Bruch während eines Pressegesprächs mit Blick auf grüne Technologien. In Europa und den USA, überall wird angesichts des Klimawandels massiv in die Energiewende investiert. Europa ist für den Dax-Konzern zwar mit Abstand der bedeutendste Markt. Die Dringlichkeit für den Ausbau erneuerbarer Energien wurde schließlich durch die Energiekrise infolge des Ukrainekriegs noch einmal verdeutlicht. Brüssel und Berlin sind auch redlich bemüht, Prozesse zu beschleunigen, heißt es aus der Industrie. Allerdings bremsen weiterhin langwierige Genehmigungsverfahren, ein enormer bürokratischer Aufwand und die oft intransparenten Förderkriterien hiesiger Programme. Was in den USA durch den IRA anders sei, sei die Technologieoffenheit und die langfristige Planbarkeit, sagte Bruch. Und das macht wiederum Investitionen für Unternehmen attraktiv. Für das krisengeschüttelte Energietechnikunternehmen Siemens Energy, das seit Herbst 2020 unabhängig an der Börse gelistet ist, sind das gute Nachrichten.

„In den nächsten 15 Jahren wird so viel investiert wie in den letzten 150 Jahren“

Zum Halbjahr dieses Geschäftsjahres, das Ende September endet, verbuchte Siemens Energy aus den USA Order über rund 5,5 Milliarden Euro – nach 2,5 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Zum Vergleich: Aus Europa, dem Mittleren Osten und Afrika waren es im selben Zeitraum rund 13,3 Milliarden Euro, davon etwa 4,8 Milliarden Euro aus Deutschland. Freilich ist die Energietechnik ein Projektgeschäft, das häufig einzelne Großaufträge nach sich zieht, die das Bild verzerren können. Dennoch heißt es bei Siemens Energy allenthalben, aus Amerika kommt noch viel – und dafür will der deutsche Konzern gerüstet sein.

„Die USA haben die Wichtigkeit er­kannt, was die Themen Stromübertragung und Energienetze angeht. In den nächsten 15 Jahren wird so viel investiert wie in den letzten 150 Jahren“, sagte Tim Holt, der in dem Konzern für alle Techniken zuständig ist, die Strom wandeln und transportieren. Freilich hat Amerika angesichts veralteter Infrastruktur auch viel aufzuholen, mehr noch, als es in hiesigen Gefilden der Fall ist. Und auch in Amerika dauern Genehmigungsprozesse mitunter viele Jahre, weiß Holt, der selbst im amerikanischen Orlando lebt.

Trotzdem sagte er: „Bisher haben wir die USA aus Europa und anderen Standorten beliefert. Wir schauen uns nun an, ob es Sinn macht, auch dort in die Produktion zu gehen.“ Schließlich braucht es auch hierzulande dringend Stromtrassen, um all die grüne Energie bis in die Steckdose der Verbraucher zu bringen. Holt zeigt dafür gern ein Schaubild mit der Deutschlandkarte und zig bunten Linien, die die hiesigen Netzausbaupläne bis ins Jahr 2035 darstellen. Demnach müssen allein 1100 Kilometer an Wechselstromleitungen sowie Hochspannungsleitungen für 80 Gi­gawatt an On- und Offshore-Windprojekten gebaut werden. Die Produktionskapazitäten kommen jedoch an ihre Grenzen, Trafos haben derzeit schon Lieferzeiten von teils 40 Monaten.

Für Konzernchef Bruch zeigt sich ein klares Bild. Es gehe nicht darum, Investitionen zu verlagern, aber in Amerika koste es mit der Förderung substanziell weniger, ein Werk zu bauen. Es sei zwar sei noch nicht ganz klar, wie im Detail die dortigen Kriterien für die heimische Produktion in verwendeten Komponenten und Materialien ausgestaltet seien. Dennoch: „Die USA wollen 60 Prozent ihres Stromnetzes ersetzen. Da gehen unheimliche Kapazitäten rein. Das wird bedeuten, dass wir investieren müssen, wenn wir davon profitieren wollen.“

„Es geht unheimlich viel Geld in Wasserstoff in den USA“

Ähnliches ist auch aus den anderen Sparten zu hören. Anne-Laure de Chammard verantwortet mit dem Bereich „Transformation of Industry“ eine ganze Reihe an Technologien, darunter auch das Geschäft mit Elektrolyseuren für die Produktion von Wasserstoff. Die Fertigung der Module, sogenannten Stacks, wird derzeit im Berliner Werk in Moabit hochgezogen. Vorerst auf einer Linie und im Einschichtbetrieb wird dort bald in Serie produziert. Die Französin spricht aber auch schon über eine zweite Linie und den Dreischichtbetrieb. Das Interesse, vor allem auch aus den USA, wo die Produktion von Wasserstoff gefördert wird, ist riesengroß. „Es geht unheimlich viel Geld in Wasserstoff in den USA. Wir haben erste Vorreservierungen für Fertigungskapazitäten in dem Bereich“, sagte Bruch.

Auch für das defizitäre Windkraftgeschäft Gamesa, das Energy vor einigen Monaten komplett übernommen hat, sieht man in Amerika großes Potential. Derzeit werden dort zwei Werke für Windräder an Land reaktiviert und sind im Hochlauf. Darüber hinaus denkt das Management über Standorte an der US-Ostküste für Windkraft auf See nach, macht diese aber vom Erfolg bei anstehenden Ausschreibungen abhängig, heißt es. Die Chancen stehen für den deutschen Konzern allein schon deshalb gut, da sich Amerika wie Deutschland das Ziel gesetzt hat, bis zum Ende des Jahrzehnts 30 Gigawatt an Offshore-Windenergie zu installieren – allerdings von einem geringeren Niveau aus kommend. Der zu verteilende Kuchen ist also groß. Aus Cuxhaven müssen die riesengroßen Kolosse dann womöglich bald nicht mehr die Reise über den Atlantik antreten.