Götz Kubitschek und Maximilian Krah: Diskutiert die extreme Rechte wirklich am interessantesten?

Nils C. Kumkar ist Soziologe an der Universität Bremen und forscht unter anderem zu politischer Kommunikation, Protest und Kritik. Im Herbst erscheint bei Suhrkamp sein neues Buch „Polarisierung“. 

In einem Leitartikel für DIE ZEIT hat Robert Pausch
vergangene Woche ausführlich ein Gespräch zwischen dem rechtsextremen Verleger
Götz Kubitschek und dem AfD-Politiker Maximilian Krah rezensiert. Er
stellt dabei die ihrerseits interessante Behauptung auf, dieses „Gespräch, das
man als Podcast nachhören kann,“ gehöre „zum Interessantesten, was politische
Parteien und ihr intellektuelles Vorfeld zuletzt hervorgebracht haben“. 

Gut,
etwas Vergleichbares muss man wohl sagen, wenn man rechtfertigen möchte, warum
man dem Gespräch so viel Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt – denn dass sie es
genau darauf haben ankommen lassen, darauf konnte man ja rechnen. Ohne Not
jedenfalls sollte man keinen Kommentar in einer auflagenstarken Wochenzeitung
schreiben, über den dann Krah verlauten lassen kann: „Der Mainstream referiert
den rechten Binnendiskurs. Das ist Metapolitik!“ Wie sehr es gerade diese
beiden darauf anlegen, im politischen Feuilleton vorzukommen, kann man schon
seit mehr als zehn Jahren wissen, seit Kubitschek seinen
Briefwechsel mit dem Münchner Soziologen Armin Nassehi mit sichtlichem Stolz publizistisch
in Szene setzte. 

Nun kann der Journalismus schlechterdings nicht vermeiden,
gelegentlich über politische Akteure zu berichten, deren Bestrebung, öffentlich
so viel wie möglich vorzukommen, man zugleich nicht entgegenkommen möchte. Die
Frage ist jeweils, ob der Profit für die extreme Rechte größer ist als der
Beitrag zur politischen Aufklärung. Um das zu beurteilen, kommt es in Pauschs
Text vor allem darauf an, was genau hier damit gemeint ist, die Debatten der
extremen Rechten seien „interessant“.

Es finden sich Hinweise auf zwei Lesarten. Die erste – und
günstigere – ist, dass im Umfeld der AfD Debatten stattfinden, wie eben jene
zwischen Krah und Kubitschek, die man anderswo der Form nach vermisst. Selbst wenn sie im Vorfeld anderer Parteien auch stattfinden, nimmt man sie weniger
wahr. Der Form nach heißt: Man kann das, was in dem Gespräch ausgebreitet wird,
für menschenverachtend und inhaltlich auch nicht für besonders ausgefuchst halten
– und doch festhalten, dass hier immerhin überhaupt über politische Strategie
gesprochen wird. 

Gegen diese Lesart könnte man einwenden: Das Schema der strategischen
Differenzen zwischen radikaloppositioneller Pose und Selbstmäßigung, um das
sich das Krah-Kubitschek-Gespräch dreht, ist gar nicht so viel grundlegender als die spiegelbildlichen Debatten um Brandmauer und Entzauberung, die im
vermeintlichen Mainstream über die AfD geführt werden – und das durchaus auch mitunter
ausführlich, lebhaft und gelegentlich sogar unter Beteiligung von
Politikerinnen. Der Unterschied besteht eher darin, dass der AfD-Diskurs aktiv
daherkommt, auf den herbeigesehnten Umsturz des Bestehenden gerichtet. Der
Diskurs ihrer Gegner aber scheint darauf nur zu reagieren, er wirkt passiv. Dem
würde es sich lohnen nachzugehen: Warum sind die einen denn in der
Offensivposition?

An dieser Stelle kommt die andere, weniger günstige Lesart
ins Spiel: dass das Interesse am Krah-Kubitschek-Streit und generell an den
Debatten der extremen Rechten einer Art Lustgrusel von Teilen der bürgerlichen
Öffentlichkeit geschuldet ist. Wenn das, was rechts außen passiert, strukturell
für „interessanter“ gehalten wird, dann hat die Selbstinszenierung der extremen
Rechten als schwarze Ritter schon funktioniert. Sie sind auch deshalb in der
Offensivrolle, weil man sie in diese Rolle kommen lässt. Die AfD gewinnt ihre
Stärke auch daraus, dass sich der ganze politische Diskurs auf sie als
Angstgegner bezieht; und daran hat einen nicht unerheblichen Anteil, wie die
Presse die extreme Rechte als vermeintlich einzige, aber zugleich irgendwie
irreale Herausforderin des Bestehenden verkitscht und damit zugleich
verharmlost.

Man kann, wie Pausch, die Debatte zwischen Krah und
Kubitschek aufschlussreich finden, um zu verstehen, in welche strategischen
Dilemmata die AfD sich selbst verstrickt sieht. Aber das macht daraus keine
„strategische Diskussion mit Tiefe und Substanz“, auch wenn sie als genau
solche von den beiden aufgeführt wird. Und überhaupt: Wenn es einem primär um
die Tiefe und Substanz der Debatte ginge, sollte man dann nicht vielleicht den
Blick weiten und beide Seiten miteinander verknüpfen? Welche Implikationen hätte
welche Strategieentscheidung der AfD für den Umgang mit ihr? Für die
Brandmauer, für den Umgang im Parlament? Welche Rolle spielt bei all dem die
Angst der AfD vor einem möglichen Parteiverbotsverfahren, und welche
Zentrifugalkräfte könnte das in der Partei freisetzen? Es ist doch einigermaßen
erstaunlich und in der Berichterstattung über andere Parteien absolut unüblich,
dass man deren Debatten im politischen Feuilleton kommentiert, ohne sie
inhaltlich einzuordnen.

Nicht für voll genommen

Oder man könnte die Frage aufwerfen, warum eigentlich die Linke
als einzige im Bundestag vertretene Partei, die in dem Kommentar nicht erwähnt
wird, nicht in der gleichen Weise als „interessant“ gilt? Darin ist der
Kommentar eher exemplarisch als außergewöhnlich: Die Überlegungen der
Linkspartei zur gesellschaftlichen Transformation werden allgemein nicht
wirklich für voll genommen. Aber man kann von den Diskussionen und
Publikationen aus deren Umfeld ja halten, was man will, aber noch weniger
Tiefe und Substanz als die aus dem Umfeld der AfD haben sie mit Sicherheit
nicht. Und „die Köpfe heiß“ redet man sich auch da.

Ganz am Ende deutet der Kommentar diese Frage sogar an, wenn
er sich rhetorisch fragt, wo die „Texte von linken, liberalen oder
konservativen Intellektuellen“ seien, „über die alle reden“. Nur lässt er sie
dann vorschnell wieder als erledigt liegen. Aber über welche Texte alle reden,
das hat weniger damit zu tun, wie lebhaft in ihnen und über sie gestritten wird
– das Feld der politischen Kommunikation ist weit genug, um über alle Lager
hinweg Debatten zu finden, wenn man sie sucht. 

Wer findet was und warum interessant?

Über den Rücktritt des Vorstands
der Grünen Jugend im vergangenen Jahr wurde zum Beispiel lebhaft gestritten,
die Debatten um die (Aus-)Gründung des BSW und die strategische Neuaufstellung
der Linkspartei waren grundlegend und sicher strategisch. Im rechtskonservativen
Vorfeld der CDU wiederum entstehen immer wieder leidenschaftliche
Meinungsstücke gegen Wokismus, gegen die Politisierung der Kirchen und zu anderen Sorgen dieses Milieus. Sie richten sich vor allem an die eigenen Parteien, aber
erscheinen auch in Zeitschriften und Zeitungen, die auch darüber hinaus gelesen
werden. Dass man sie über die jeweiligen politischen Milieus hinaus weniger
diskutiert und sie nicht auf Seite eins der ZEIT empfiehlt, hat vielmehr damit
zu tun, welche Debatten man interessant findet, weil man meint, dass sie einen
Unterschied machen oder das Publikum interessieren. Das ist aber weniger eine
Frage an die Qualität der Debatten, sondern eher an die Relevanzsysteme des
Journalismus. 

Auch er hat sich, wie die gesamte Dynamik der politischen
Auseinandersetzung, zunehmend eingependelt auf ein Schema, das sich an den
Polen der AfD hier und dem Rest da ausrichtet
, wobei der Rest sich durch die Herausforderung
durch die AfD erst als Einheit konstituiert. In einem solchen Schema werden Differenzen
beim „Rest“ unter ferner liefen abgehakt, weil sie nie so dramatisch oder
„interessant“ sein können wie die gruselige Action am anderen Pol. 

Die
politische Gegenwart vor allem über die Herausforderung durch AfD und Co. zu
erschließen, wie es der Kommentar von Pausch genauso wie die meiste Kritik an diesem Kommentar aufführt, ist eingängig und wirkt der Dramatik der
Entwicklungen angemessen. Aber es trägt eben auch dazu bei, diese Formation von
der AfD als treibender Kraft noch weiter zu festigen. Über diese Paradoxie zu
reflektieren, würde mehr zur Erhellung der aktuellen Situation beitragen als
das Erstaunen ob der intellektuellen Selbstdarstellung der AfD.