Globale Ernährung: Warum hoher Fleischverzehr ungerecht ist

Die Welternährung muss sich grundlegend ändern: Die bisherige Lebensmittelproduktion und Ernährungsweise schadet nicht nur der Gesundheit, sondern treibt auch Klimawandel und Naturzerstörung voran. „Ohne eine globale Transformation der Lebensmittelsysteme ist keine sichere Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise möglich“, heißt es in einem neuen Bericht der sogenannten Eat-Lancet-Kommission. Nach Angaben des beteiligten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) handelt es sich um die bislang umfassendste wissenschaftliche Analyse globaler Ernährungssysteme.
Die Eat-Lancet-Kommission, der Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen aus mehr als 35 Ländern auf sechs Kontinenten angehören, will Entscheidungsträgern Wege zu gesunder, nachhaltiger und gerechter Lebensmittelproduktion und Ernährung weisen. Die Arbeit der Wissenschaftler beruht auf einer Kooperation der internationalen Nichtregierungsorganisation Eat und der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“.
Schlecht für Klima, Umwelt – und Mensch
Von der Produktion bis zum Konsum von Lebensmitteln würden aktuell rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen, heißt es in dem Bericht. Außerdem sei die gegenwärtige Nahrungsmittelproduktion und Ernährung ein Hauptgrund dafür, dass planetare Belastungsgrenzen überschritten würden. Dabei handelt es sich um wissenschaftliche Schwellenwerte, mit denen die ökologische Belastbarkeit der Erde abgesteckt wird. Negative Effekte habe die Nahrungsmittelproduktion etwa durch die Ausweitung von Acker- und Weideflächen und die Belastung von Gewässern durch Düngemittel, schreiben die Autoren. Die gegenwärtige Ernährung schade aber nicht nur Klima und Umwelt, sondern auch den Menschen selbst: Bis zu 15 Millionen vorzeitige Todesfälle ließen sich durch Umstellung auf eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung verhindern, heißt es in dem Bericht.
Im Jahr 2019 hatte die Eat-Lancet-Kommission einen viel beachteten Speiseplan für eine gesunde und nachhaltige Ernährung vorgestellt: Nach der „Planetary Health Diet“ kommen größtenteils Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Obst und Nüsse auf den Teller, moderat ergänzt um Geflügelfleisch und Milchprodukte. Gesättigte Fette und zugesetzter Zucker sollten vermieden werden. Dieses Ernährungskonzept wird in der aktuellen Studie um Gerechtigkeitsaspekte ergänzt. 30 Prozent der Weltbevölkerung hätten keinen ausreichenden Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln, schreiben die Autoren.
Auf der anderen Seite gebe es „ungesunden Überkonsum“ mit schwerwiegenden Folgen: Das reichste Drittel der Weltbevölkerung verursache mehr als 70 Prozent der ernährungsbedingten Umweltbelastungen. Zugleich sei die Ernährungsqualität in Ländern mit hohen und mittleren Einkommen am niedrigsten und der Anteil übergewichtiger oder fettleibiger Menschen, vor allem Frauen, sei dort am höchsten, schreiben die Wissenschaftler. Ursächlich dafür seien hoch verarbeitete Lebensmittel, zuckerhaltige Getränke und rotes Fleisch (Schwein, Rind, Lamm oder Ziege).
Subventionen umwidmen
Die wirtschaftlichen Kosten ungesunder Ernährungsgewohnheiten seien „erschütternd“, heißt es in dem Bericht. Die negativen externen Effekte, etwa durch höhere Gesundheitskosten und geringere Arbeitsproduktivität, summierten sich auf schätzungsweise 15 Billionen Dollar im Jahr. Die „Planetary Health Diet“ könne helfen, diese Kosten erheblich zu senken, um etwa fünf Billionen Dollar im Jahr. Der Aufbau einer nachhaltigen und gerechten Nahrungsmittelproduktion und Ernährung erfordere freilich auch erhebliche finanzielle Mittel, schätzungsweise 200 bis 500 Milliarden Dollar jährlich in den nächsten 25 Jahren.
Geld dafür lasse sich durch Umschichtung von Subventionen beschaffen, schlagen die Wissenschaftler vor. Mindestens ein Drittel der Milliardensubventionen für die Landwirtschaft habe „keinen öffentlichen Nutzen und könnte umgewidmet werden“, heißt es in dem Bericht. In der Europäischen Union flössen 82 Prozent der Subventionen in die Tierhaltung. Das Geld könnte genutzt werden, um Anreize für nachhaltige Landwirtschaft zu setzen. Die Autoren beklagen außerdem „strukturelle Ungleichgewichte zwischen Erzeugern und marktbeherrschenden Agrarkonzernen“, die naturschonende Produktionsmethoden behinderten. Sie empfehlen deswegen eine Stärkung des Kartellrechts, eine robuste Wettbewerbspolitik und parallel dazu eine strengere Regulierung der Spekulation mit Rohstoffen für Nahrungsmittel.
Deutliche Kritik üben die Wissenschaftler auch an transnationalen Lebensmittel- und Getränkekonzernen, die öffentliche Interessen untergrüben, so der Vorwurf. Die „Unternehmensmacht“ äußere sich unter anderem in der Verbreitung von Fehlinformationen, um unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren. So habe es Fälle gegeben, in denen die Fleischindustrie Wissenschaftler gesponsort habe. Die Autoren monieren außerdem manipulative Preisgestaltung, Werbung und Verpackung. Die Politik sollte solche Praktiken regulatorisch eindämmen, etwa durch Vorschriften für kleinere Portionsgrößen und Verpackungen. Auch obligatorische Warnhinweise auf Produkten mit hohem Kalorien- oder Zuckergehalt könnten helfen, den Kauf und Konsum ungesunder Lebensmittel zu reduzieren.
Die Wissenschaftler schlagen außerdem vor, die Politik möge die Verbraucher durch einen Mix positiver und negativer Anreize zu einer gesünderen Ernährung motivieren. Die Zahl vorzeitiger Todesfälle im Zusammenhang mit dem Verzehr von rotem Fleisch lasse sich durch eine „gesundheitsorientierte Besteuerung“ um neun Prozent reduzieren. Die zurechenbaren Gesundheitskosten sänken dann schätzungsweise um 14 Prozent, heißt es unter Hinweis auf eine Modellstudie britischer und amerikanischer Wissenschaftler.
Änderungen des Steuersystems sollten jedoch eingebettet sein in ein Gesamtpaket von Maßnahmen, mahnen die Autoren: Wenn man eine gesunde und nachhaltige Ernährung im Sinne der „Planetary Health Diet“ für alle erschwinglich machen wolle, dann sei es wichtiger, die Kaufkraft von Verbrauchern mit niedrigem Einkommen zu steigern als Lebensmittelpreise zu senken.