Giorgia Meloni: Die Leidenschaft der Rechten

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Ganz wie ein Motivationscoach klang Giorgia Meloni am vergangenen Freitag bei ihrem Grußwort auf einer großen wirtschaftspolitischen Tagung in Rom. Es sei Zeit, erklärte die seit sechs Wochen amtierende Ministerpräsidentin Italiens, „unsere besten Energien freizusetzen“, Zeit, „jenen Ansatz zu wählen, den die Griechen mit dem außergewöhnlichen Wort Meraki beschreiben – mit all deiner Leidenschaft und deiner ganzen Seele die Dinge anzupacken“.  

Dafür, für Meraki, will Meloni stehen, zusammen mit ihrem Kabinett und ihrer komfortablen und stramm rechten Parlamentsmehrheit. Sie will „jene mutigen Entscheidungen treffen, die allzu viele Jahre lang nicht getroffen wurden“. Für kein Themenfeld gilt das so sehr wie für die Migrationspolitik. 

Kaum hatte die neue Regierung, getragen von Melonis Postfaschisten der Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens), von Matteo Salvinis rechtspopulistisch-fremdenfeindlicher Lega und von Silvio Berlusconis Forza Italia, am 22. Oktober die Arbeit aufgenommen, da ging Innenminister Matteo Piantedosi auch schon in die Totalkonfrontation mit den in der Seenotrettung aktiven Hilfsorganisationen. Drei Rettungsschiffe mit insgesamt knapp 1.000 Flüchtlingen an Bord kreuzten in den späten Oktobertagen vor Siziliens Küsten, doch Piantedosi verweigerte ihnen die Einfahrt in einen italienischen Hafen. Er knüpfte damit direkt an jene Politik der „geschlossenen Häfen“ an, die der Lega-Chef Salvini in seiner Zeit als Innenminister in den Jahren 2018/2019 verfolgt hatte.

Was ist schon ein „sicherer Ort“?

Kein Wunder: Zwar ist Piantedosi kein Parteipolitiker, sondern Karrierebeamter, der dem Staat vor seinem Eintritt in die Regierung zuletzt als Präfekt von Rom gedient hatte – doch mit rüder Migrantenabwehr hat er schon seine Erfahrungen gesammelt als Kabinettschef des seinerzeitigen Innenministers Salvini. Jetzt überraschte der neue Minister mit einer originellen Auslegung des internationalen Seerechts. Das sieht eigentlich vor, dass Schiffen mit aus Seenot Geretteten an Bord von den nächstgelegenen Staaten – in diesem Fall Italien und Malta – ein place of safety, ein sicherer Hafen, zugewiesen werden muss.

Doch Piantedosi interpretiert das anders. Er behauptet, die Schiffe selbst seien doch „ein provisorischer sicherer Ort“, Italien sei deshalb aus dem Spiel, und um die Flüchtlinge sollten sich gefälligst die Staaten kümmern, unter deren Flaggen die Schiffe unterwegs sind: Frankreich, Deutschland und Norwegen. Weit kam Italiens Regierung mit dieser Position nicht. Zwei der drei Schiffe wurde schließlich die Einfahrt in den Hafen von Catania gestattet. Zunächst allerdings durften bloß Frauen, Kinder und Kranke von Bord, doch auch von dieser Einschränkung musste Piantedosi schließlich abrücken, nachdem Ärzte den auf den Schiffen Verbliebenen ernste psychische Gefährdungen bescheinigt hatten.

Ein Schiff allerdings, die unter französischer Flagge fahrende Ocean Viking der Organisation SOS Méditerranée, hatte derweil Kurs auf den französischen Hafen Toulon genommen. Und Giorgia Meloni hatte nichts Besseres zu tun, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron überschwänglich zu danken dafür, dass Frankreich nun „die Verantwortung für den Migrationsnotstand, der bisher auf den Schultern Italiens lastete, zu teilen“. Eine Schippe legte dann noch der Koalitionspartner und Vizeministerpräsident Salvini drauf, der sich laut darüber freute, dass sich „der Wind in Europa gedreht“ habe.

Ehe es sich die neue Rechtsregierung in Rom versah, hatte sie damit eine veritable diplomatische Krise mit Frankreich losgetreten. Die Antwort aus Paris: Italiens Vorgehen sei „unverantwortlich“, „gegen das Seerecht und den Geist europäischer Solidarität gerichtet“. Seither mäßigen Meloni und Piantedosi sich zwar im Ton, in der Sache aber verharren sie auf ihrem Standpunkt, dass Italien mit den Mittelmeerflüchtlingen „nicht allein gelassen“ werden könne, wie die Ministerpräsidentin zuletzt am vergangenen Samstag erklärte, verbunden mit der Forderung, es müsse „eine Europäisierung der Repatriierungen“ erfolgen.

Für die Politik ist kaum Geld da

Mit Meraki, also Leidenschaft, hat sich die neue Regierung auch eines innenpolitischen Themas angenommen: Den Ravepartys, in den Augen der Rechten sind solche Veranstaltungen Sodom und Gomorrha. Als Ende Oktober in der Provinz Modena ein Rave stieg in einem verlassenem Fabrikgelände, antwortete die Regierung sofort mit einem Dekret, dass die Events mit drakonischen Strafen belegt: Für die Organisation von Zusammenkünften mit mehr als 50 Personen, die mit der Besetzung von Terrains oder Gebäuden verbunden sind, sollen in Zukunft zwischen drei und sechs Jahren Haft drohen.

Kritischen Lesern fiel an dem Dekret sofort auf, dass jede einfache Hausbesetzung oder auch jede der in Italien oft stattfindenden Schulbesetzungen unter diese Strafandrohung gefallen wäre. Und die Regierung reagierte mit einem halben Rückzieher: Im abgeänderten Entwurf ist jetzt nur noch von „Musikveranstaltungen“ die Rede.

Nur 37 Millionen für zusätzliche Ausgaben

Wenig Raum für Meraki bietet dagegen die Haushaltspolitik: Die Regierung Melonis hat gerade den Staatshaushalt 2023 ins Parlament eingebracht, nächste Woche gehen die Beratungen los. Und die finanziellen Spielräume sind eng. Italien hat einen Berg öffentlicher Schulden, die 145 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, im nächsten Jahre soll die Neuverschuldung nicht höher als 4,5 Prozent steigen. Das heißt, dass die Regierung nur 37 Milliarden Euro für zusätzliche Ausgaben frei zur Verfügung hat. Davon wiederum sind schon 22 Milliarden verplant für Hilfspakete an Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, um die exorbitanten Energiekosten abzufedern. Doch ein wenig Herz und Leidenschaft zeigt Italiens Rechte auch auf diesem Feld. So sendete sie freundliche Signale an die Selbstständigen und scheint sich nicht größer an deren Neigung zu stören, immer mal wieder Steuern zu hinterziehen.

So sollen Barzahlungen in Zukunft bis zur Höhe von 5.000 Euro abgewickelt werden können, statt wie bisher bei 2.000 Euro gedeckelt zu sein, Händler müssen Kartenzahlungen nur noch bei Beträgen von über 60 Euro akzeptieren, und alte bis 2015 aufgelaufene Steuerschulden von bis zu 1.000 Euro werden ersatzlos gestrichen. Diese letztere Maßnahme rechtfertigt die Regierung damit, dass die Altschulden sowieso „uneinbringlich“ seien – stellt gleichzeitig aber etwa 750 Millionen Euro zur Deckung des Einnahmeausfalls in den Haushalt ein. Ziemlich akkurat, dieser Betrag ist dadurch gegenfinanziert, dass die Rechte, wiederum sehr leidenschaftlich, die Grundsicherung für all jene streichen will, die „beschäftigbar“ sind.

Die Opposition ist keine Hilfe

Unter dem Schlachtruf „Arbeit statt Almosen“ sollen rund 600.000 Menschen vom September 2023 an keinerlei Unterstützung mehr erhalten, egal ob überhaupt Arbeit für sie zur Verfügung steht oder nicht. Doch auch solche Vorhaben tun der Popularität Melonis keinen Abbruch. Ihre persönlichen Zustimmungswerte bewegen sich bei 50 Prozent, weit vor allen anderen Politikerinnen und Politkern des Landes.

Und ihre Partei Fratelli d’Italia, die bei den Wahlen im September auf 26 Prozent kam, kletterte seitdem weiter auf etwa 30 Prozent, während die Koalitionspartner Lega und Forza Italia bei jeweils 7 bis 8 Prozent verharren. Dafür allerdings darf sich Italiens Rechte auch bei den Oppositionsparteien des Mitte-Links-Lagers bedanken. Schon zu den Wahlen im September waren die Partito Democratico, die Fünf Sterne und die Mitteliste Azione-Italia Viva gespalten angetreten – und auch jetzt beharken sie sich lieber untereinander, statt gemeinsam gegen die Rechtsregierung Front zu machen. Ein Cartoon brachte es auf den Punkt: Meloni setze auf Meraki – die Opposition dagegen auf Harakiri