Gesetzliche Krankenkassen erwarten 2024 erneut ein Milliarden-Defizit

Versicherungskarten: Den Kassen muss schon 2023 mit viel Staatsgeld geholfen werden
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Die Finanzen für 2023 sind nach langem Streit gerade erst gesichert, schon droht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) das nächste Milliardendefizit. Im nächsten Jahr sei damit zu rechnen, dass es voraussichtlich eine Lücke zwischen 3,5 Milliarden und sieben Milliarden Euro geben werde, sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, im brandenburgischen Kremmen.
Ohne Maßnahmen zum Gegensteuern würde daraus rechnerisch ein Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag für die Beitragszahler von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten resultieren. Pfeiffer forderte die Bundesregierung daher zu einer nachhaltigen Stabilisierung auf. »Die Beitragserhöhungsspirale muss durchbrochen werden«, mahnte sie.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte angesichts dessen ein Finanzierungskonzept an. Darüber sei man regierungsintern in der Absprache, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Leistungskürzungen bei den Kassen schloss er auf Nachfrage aus.
Zuvor hatte IKK-Kassenchef Ralf Hermes im Kampf gegen steigende Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung drastische Leistungskürzungen vorgeschlagen. In den drei Bereichen zahnärztliche Behandlungen, Zahnersatz und Homöopathie solle gestrichen werden, forderte er.
In der GKV drohte unter anderem wegen der Folgen der Pandemie bereits dieses Jahr ein historisches Defizit von 17 Milliarden Euro. Um die Lücken zu stopfen, drängen SPD und Grüne innerhalb der Ampelregierung darauf, Besserverdienende stärker zu belasten – doch die FDP lehnt das bislang ab. Auch in der Pflegeversicherung könnten allein für die kurzfristige Stabilisierung mindestens 4,5 Milliarden Euro fehlen.
GKV-Chefin lehnt Debatte über Leistungskürzungen aktuell ab
Für dieses Jahr hat der Bundestag wegen der erwarteten Lücke eine extra Finanzspritze für die Krankenkassen beschlossen. Pfeiffer erläuterte, dass allein zehn Milliarden Euro davon aus Beitragsgeld aufgebracht worden seien – aus Reserven im Bereich der Kassen und einem Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,15 Punkten auf 1,51 Prozent. Zudem stockte der Bund unter anderem seinen üblichen Zuschuss um zwei Milliarden Euro auf, Pharmabranche und Apotheken werden mit höheren Abschlägen herangezogen. Vor diesem Hintergrund sei 2023 ein »ausgeglichenes Ergebnis« zu erwarten, machte Pfeiffer deutlich.
Positiv auf die Einnahmen schlagen sich die stabile Beschäftigung und höhere Tarifabschlüsse angesichts der hohen Inflation nieder, sagte die GKV-Chefin. Zugleich sei zu erwarten, dass Lohnsteigerungen auch zu Kostensteigerungen in den Verhandlungen mit Leistungserbringern führen. Vorerst gebe es aber »kein solides Gefühl«, wie sich die Ausgaben 2023 entwickeln. Insgesamt könnte eine etwas günstigere Finanzentwicklung in diesem Jahr zur Stützung für 2024 beitragen.
Mit Blick auf möglicherweise vorstellbare Leistungskürzungen für Versicherte sagte Pfeiffer: »Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, das Thema jetzt zu diskutieren.« Generell könne man sich sicherlich darüber unterhalten, ob alle Behandlungen sinnvoll und notwendig seien und auch eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hätten.
Gesundheitsminister Lauterbach wies die Forderungen nach Leistungskürzungen dagegen zurück: »Zahnbehandlungen bleiben eine Kassenleistung«, schrieb er bei Twitter. »Wir können Geld sparen, wenn wir überflüssige Operationen vermeiden oder mehr notwendige Eingriffe ambulant erbringen. Gesundheitsminister müssen Lobbygruppen konfrontieren, nicht die Patienten und Bürger.«
2022 hatten die Kassen noch einen Überschuss von 4,7 Milliarden Euro verbucht. doch auch die Leistungsausgaben wuchsen – um 3,8 Prozent auf 274,1 Milliarden Euro. Größter Einzelposten waren Klinikbehandlungen mit 87,5 Milliarden Euro. Die genaue Höhe des Zusatzbeitrags für die Versicherten legen die Kassen jeweils selbst fest, sie können vom Schnitt abweichen. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.