Generation Z und wohlhabende Kunden – Das ist dieser Wachstumsplan dieser ING

Die ING hat 2024 rund 600.000 neue Kunden hinzugewonnen – so viele wie seit 15 Jahren nicht mehr. Dabei ist die Bank bei den Konditionen nicht mehr ganz vorn dabei. Um trotzdem weiter zu wachsen, setzt der neue Chef jetzt auf neue Kundengruppen.
Bedenken, dass er womöglich kulturelle Anpassungsprobleme gehabt haben könnte, will Lars Stoy gleich zu Beginn seines Auftritts zerstreuen. Er habe schon früher gerne im Großraumbüro gesessen. Auch bei seinem ehemaligen Arbeitgeber sei man seit Anfang 2024 durch eine Vorstandsanordnung per Du gewesen.
Und dass er jetzt nicht mehr permanent im Anzug herumlaufen müsse, sei kein Problem – zu Hause trage er diesen schließlich auch nicht. In diesen Tagen trägt Stoy graue Sneaker, graue Jeans und ein dunkelblaues Sakko.
Seit Anfang Januar amtiert er als Chef des Deutschlandablegers der niederländischen Großbank ING. Sein Wechsel von der Deutschen Bank hatte in Frankfurt viele überrascht. Denn Stoy galt dort zuletzt nicht eben als steigender Stern.
Grund dafür waren die Probleme bei der Integration der Postbank. Konkrete Versäumnisse wurden ihm dabei nicht angehängt. Als Leiter des deutschen Privatkundengeschäfts galt er aber dennoch als einer der Hauptverantwortlichen für die massenhaften Kundenqualen.
Mit IT-Problemen soll er sich bei Deutschlands größter Digitalbank jetzt nicht mehr beschäftigen. „Wir haben gute Voraussetzungen für weiteres Wachstum“, sagt Stoy. Als Beleg führt er die Zahlen des vergangenen Jahres an, in dem die ING rund 600.000 neue Kunden gewann – so viele wie seit 15 Jahren nicht mehr.
Das vor Jahren ausgerufene Ziel von zehn Millionen hat das Institut damit fast erreicht. Treiber des Wachstums waren vor allem die seit Langem etablierten Bereiche Girokonto, Tagesgeld und kostenloses Depot.
Ein Selbstläufer ist der weitere Zustrom aber nicht. Im vergangenen Jahr zahlte die Bank rund 50 Millionen Euro an Prämien für neue Kunden. Dass sich das gelohnt hat, steht für Stoy außer Frage. Vor allem bei der jüngeren Zielgruppen seien die Werbeaktionen rund um den „Black Friday“ hervorragend angekommen.
Wie lukrativ die teilweise mit Prämien von mehr als 200 Euro geköderte Klientel im Alter zwischen 18 und 24 ist, werde sich zeigen. Auch in diesem Jahr sollen Kunden mit Prämien geködert werden.
Die ING ist selbst zur Getriebenen geworden
Bei den Konditionen bewegt sich die Bank momentan dagegen nicht in der allerersten Reihe. Für ihr Kernprodukt Tagesgeld bietet sie aktuell drei Prozent Zinsen – allerdings nur neuen Kunden und nur für vier Monate. Den Bestand speist das Institut mit einem Prozent ab. Jüngere Konkurrenten wie Trade Republic und Scalable Capital offerieren hier aktuell deutlich mehr.
Die ING, die deutsche Banken in der Vergangenheit immer wieder vor sich hergetrieben hatte, ist selbst zur Getriebenen geworden. Dass sich das Umfeld verändert hat, spricht Stoy offensiv an.
„Es gibt einige da draußen, die ihre Sache gut gemacht haben“, sagt er. Der Wettbewerb habe sich verschärft und werde durch den geplanten Markteintritt von Konkurrenten wie der US-Großbank J. P. Morgan weiter anziehen. Man habe jedoch eine „gute Startposition.“
Untermauern soll dies das zweitbeste Ergebnis der Firmengeschichte. Mit 2,1 Milliarden Euro vor Steuern ist es allerdings deutlich schlechter ausgefallen als im Jahr davor (2,5 Milliarden Euro). 2023 sei allerdings auch ein „Ausnahmejahr“ gewesen, sagt Finanzchefin Nurten Erdogan.
Das galt vor allem für das Zinsgeschäft, in dem die Bank traditionell besonders stark ist: Das Ergebnis ging um vier Prozent auf 3,55 Milliarden Euro zurück. Dass das Provisionsergebnis um 90 Millionen Euro auf 504 Millionen Euro stieg, konnte den Rückgang nicht kompensieren. Erträge aus dem Handel mit Wertpapieren, der Vermittlung von Baudarlehen und der Produktverkauf im Firmenkundengeschäft spielen zwar eine wichtige, aber im Vergleich mit den Sparprodukten bis auf Weiteres keine zentrale Rolle.
„Wir werden die Strategie nicht ändern, sondern ergänzen“, sagt Stoy. Die Stärken der Bank sollten die Stärken der Bank bleiben. Für künftiges Wachstum zielt die Bank vor allem auf mehr digitalen Komfort und neue Kundengruppen.
Mehr Geschäft mit wohlhabenderen ING-Kunden
In der Baufinanzierung etwa verfolgt die Bank das Ziel der „Instant Mortgages“ – also Finanzierungen ohne große Wartezeiten. Als großen Schritt dahin plant die ING mit ihrer Plattform schon bald voll digitale Objektbewertungen anzubieten.
Auch im zum Wachstumsfeld erklärten Geschäftskundensegment soll es vergleichbare Schnellkredite geben. Wegen der allgemeinen Wirtschaftsflaute war das Kreditvolumen hier zuletzt allerdings leicht rückläufig.
Deutlich mehr Geschäft will die Bank mit ihren wohlhabenderen Kunden machen. Als solche hat sie rund 600.000 identifiziert. Diese sollen mehr Produkte erwerben – ohne dass sie mit intensiven Vertriebsmaßnahmen verschreckt werden. Bisher halten auch diese Kunden einen relativ großen Teil ihres bei der ING deponierten Vermögens in Einlagen – künftig sollen sie mehr Wertpapiere kaufen.
Ein verjüngter Markenauftritt soll die umworbene Generation Z davon überzeugen, dass die längst etablierte ING eine genauso gute Adresse wie ihre jüngeren Wettbewerber ist. Und auch für ganz junge Kunden hat die Bank konkrete Pläne: Kinder ab sieben Jahren sollen bei ihr ein Girokonto mit vielen Funktionen erhalten – natürlich unter voller Kontrolle der Eltern.
Cornelius Welp ist Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Von dort aus berichtet er über Banken, Versicherungen und Finanzinvestoren und Unternehmen.
Source: welt.de