Geldpolitik rückt wieder in den Fokus der Anleger

Neben dem US-Schuldenstreit richten die Anleger in der nächsten Woche ihren Blick auf die Konjunktur. Nachdem die deutschen Wachstumsdaten vom Donnerstag auf eine Rezession in Europas größter Wirtschaft hingewiesen haben, stehen nun die europäischen Verbraucherpreise im Mittelpunkt. Die Anleger erhoffen sich Hinweise auf die künftigen Zinsschritte der Notenbanken in ihrem Kampf gegen die Inflation. „Die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer hat sich zuletzt weg von der US-Schuldenobergrenze auf die wirtschaftlichen Fundamentaldaten und den voraussichtlichen geldpolitischen Kurs verlagert“, sagte Mark Dowding, Chefanleger beim Vermögensverwalter RBC BlueBay. Dabei dürften die Sorgen über die Situation jenseits des Atlantiks wieder aufflammen, wenn sich die Deadline im US-Haushaltsstreit nähert und keine Einigung erzielt wird.
In Washington wird seit Wochen über eine Anhebung der Schuldenobergrenze des Bundes von derzeit 31,4 Billionen Dollar gestritten. Ohne eine Einigung droht den USA dem Finanzministerium in Washington zufolge vom 1. Juni an die Zahlungsunfähigkeit, was schwere Folgen für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte haben könnte. Zuletzt keimte wieder Hoffnung auf, dass sich die Parteien bald zu einem Deal durchringen könnten. Laut einem Insider sind die Regierung von Präsident Joe Biden und Vertreter der Republikaner im Repräsentantenhaus einer Einigung über die Anhebung der Schuldenobergrenze offenbar einen großen Schritt nähergekommen.
Die stockenden Verhandlungen schickten die Börsen in den vergangenen Tagen auf Talfahrt. Dadurch bauten die wichtigsten Indizes Gewinne ab, die sie in der Hoffnung auf eine rechtzeitige Einigung angehäuft hatten. So rutschte der Dax von seinem kürzlichen Allzeithoch von 16.290,19 Punkten ab und notierte am Freitag mit 15.734 Zählern gut drei Prozent unter dem Vorwochenniveau.
Europäische Inflation und amerikanische Jobdaten im Blick
Die mit Spannung erwarteten Inflationsdaten werden Mittwoch und Donnerstag veröffentlicht. Den Beginn macht das Statistische Bundesamt zur Wochenmitte mit den deutschen Verbraucherpreisen im Mai. Im April waren sie mit 7,2 Prozent nicht mehr ganz so stark gestiegen wie im März, als die Inflationsrate bei 7,4 Prozent lag. Am Donnerstag folgen die Inflationsdaten für die gesamte Eurozone. Im April hatte die Europäische Zentralbank im Kampf gegen den Preisauftrieb einen Rückschlag hinnehmen müssen: Die Teuerungsrate stieg auf 7,0 Prozent, nach 6,9 Prozent im März.
Angesichts zurückgehender Energiepreise erwartet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat. Analysten gehen allerdings davon aus, dass sich die Kerninflation als hartnäckiger als die Gesamtinflation erweisen wird. „Vor allem weiterhin steigende Preise für Dienstleistungen und – wenn auch etwas nachlassend – für Lebensmittel dürften den Rückgang der Inflationsraten bremsen“, sagte Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck. „Vor diesem Hintergrund ist mit einigen weiteren Leitzinserhöhungen der EZB zu rechnen.“ Die Währungshüter haben sich ein Stabilitätsziel von zwei Prozent gesetzt.
Zum Wochenausklang veröffentlicht die US-Regierung den Arbeitsmarktbericht für Mai. Auch davon erhoffen sich die Investoren Hinweise auf die künftigen Schritte der Währungshüter. Die US-Notenbank Fed hat die Zinsen seit Anfang 2022 von nahe null auf eine Spanne von 5,00 bis 5,25 Prozent nach oben getrieben, um die Inflation einzudämmen und den heiß gelaufenen Arbeitsmarkt abzukühlen. Von Reuters befragte Experten erwarten einen Stellenaufbau von 180.000 nach 253.000 im April. Trotzdem sei die Lage am US-Arbeitsmarkt alles andere als übersichtlich, sagte Commerzbank-Ökonom Christoph Balz. Einerseits arbeiteten Angestellte etwa weniger Stunden, andererseits entstünden immer noch mehr Arbeitsplätze, als Arbeitssuchende neu auf den Arbeitsmarkt drängten.
Weitere Hauptversammlungen geplant
Für die neue Woche sind mehrere Hauptversammlungen geplant. Besonders interessant für die Anleger angesichts der jüngsten Spekulationen auf einen Boom im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) dürfte der Chiphersteller roadcom am Donnerstag und die Google-Mutter Alphabet am Freitag sein. Außerdem laden die US-Energieriesen Exxon Mobil und Chevron, der Streaming-Konzern Netflix sowie die Commerzbank zur Hauptversammlung ein.
Source: faz.net