Friedrich Merz : Das war wirklich Rambo Zambo
Am Ende ist es für Friedrich Merz doch noch einmal gut gegangen. Im
Gesicht des im zweiten Wahlgang gewählten 10. Bundeskanzlers der
Bundesrepublik Deutschland blitzte kurz Erleichterung auf, als Julia Klöckner,
die neue Bundestagspräsidentin, kurz nach 16 Uhr das Ergebnis bekannt gab.
325 Abgeordnete, also neun mehr als nötig, hatten schließlich doch für den
Sauerländer gestimmt. Triumphieren aber konnte Merz nicht: Im ersten Wahlgang
hatten ihm 18 Abgeordnete aus den eigenen Reihen die Zustimmung
verweigert. Darauf folgten lange Chaos-Momente, in denen niemand wusste, wie es
jetzt weitergeht. Am Ende mehrten sich die Stimmen, die den ersten Schockmoment
nutzen wollten, um den zweiten Wahlgang nicht zu verschieben, sondern noch am
selben Tag anzusetzen. Und der Plan ging auf. Noch ist völlig offen, wer die
Abweichler sind, aber egal. Was für Merz und seine neue Regierung zählt, ist: Sie sind eingeknickt,
wenn auch nicht alle.
Dennoch ist dieser Dienstag ganz gegen die Absicht von Merz und Lars Klingbeil, seinem Vizekanzler von der SPD, ein historischer Tag geworden. So hatten
sich die beiden ihren Start ganz sicher nicht vorgestellt. Vor Merz hatte noch
kein Bundeskanzler in der Geschichte des Landes im ersten Wahlgang die nötige
Stimmenmehrheit verpasst. Schwarz-Rot muss künftig also nicht nur gegen ein immer
stärker schwindendes Vertrauen in der Bevölkerung ankämpfen, auch in den
eigenen Reihen scheint der Unmut über die vergangenen Wochen groß zu sein. Merz
und Klingbeil sind heute nicht an der AfD gescheitert, nicht an den Gegnern der
Demokratie, sondern an den eigenen Leuten und damit auch an sich selbst.
Das war keine Bagatelle
Aber auch wenn es nun für Merz fürs Erste geschafft ist, ist fraglich,
ob der heutige Tag wirklich so schnell in Vergessenheit geraten wird, wie es
viele aus Union und SPD wohl hoffen. Eine Bagatelle war das wahrlich nicht. Ein
Versehen oder zufälliges Unglück auch nicht. Vielmehr erscheint die Tatsache,
dass Merz zwei Wahlgänge brauchte, eine Art Quittung zu sein, für die vielen
Fehler, Versäumnisse und Fehleinschätzungen der vergangenen Wochen. Vom nunmehr
gewählten Kanzler, aber auch von seinem Vize.
Was den Kanzler betrifft, offenbart sich ein Muster: Merz scheint
die Dinge nicht zu Ende zu denken. Ihm entgleiten Prozesse, ihm unterlaufen handwerkliche
Mängel, die zu großen Problemen führen und seine Autorität und seine
Durchsetzungsfähigkeit infrage stellen, am Ende gar seine Eignung. Es begann schon mit dem Wahlkampf: Einerseits legte die Union ein Wahlprogramm
vor, das nicht ausreichend gegenfinanziert war, versprach aber dennoch einen
grundlegenden Politikwechsel. Dass man auf die Machtübernahme quasi
schon seit Monaten vorbereitet war, wurde im Wahlkampf beinahe mantrahaft wiederholt,
vor allem von Generalsekretär Carsten Linnemann. Andererseits beschwor man, die
AfD kleinhalten zu wollen, stimmte aber mit ihnen gemeinsam entgegen aller
Absprachen über die Migrationswende im Bundestag ab und arbeitete sich vor
allem an progressiven Parteien wie den Grünen ab.
Noch am Vorabend der Bundestagswahl ließ sich Merz dazu hinreißen, vor
seinen Anhängerinnen und Anhängern auf einer Wahlkampfveranstaltung über „linke
Spinner“ zu schimpfen – obwohl er da schon wissen musste, dass er Sozialdemokraten
oder Grüne oder sogar beide zum Regieren brauchte. Haben heute deshalb
SPD-Abgeordnete ihm die Stimme verweigert? Möglich ist das, herausbekommen wird
man das wohl nie.
Gebrochene Versprechen
Nach der Wahl ging es gerade so weiter. Dass Merz nur wenige Tage
nach dem 23. Februar im Lichte der sich rapide verschlechternden transatlantischen
Beziehungen ankündigte, nun doch Schulden in Milliardenhöhe für die Finanzierung
der Bundeswehr und ein Sondervermögen für Infrastruktur aufnehmen zu wollen und
den Bundestag in seinen alten Mehrheiten dafür um Zustimmung zu bitten, war einerseits
nachvollziehbar.
Nur brach er damit noch vor Amtsantritt mit einem Versprechen,
für das ihn viele gewählt haben dürften: keine Schulden zu machen und auch die
Schuldenbremse nicht anzutasten. Dieser Move hat – deutlich mehr wohl als die
gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Januar – nun vor allem die eigenen
Wählerinnen und Wähler gegen ihn aufgebracht. Es gab ziemlich lautes Gemurre, Protest
an der Basis und auch Parteiaustritte. Haben wegen dieser gebrochenen
Wahlversprechen deshalb Unionsabgeordnete ihm heute ihre Stimme verweigert? Gut
möglich auch das.
Schließlich der Koalitionsvertrag, mit dem sich die Union ein
zweites Mal von vielen ihrer Wahlversprechen verabschiedete. Kein Atomausstieg,
keine Abschaffung des Heizungsgesetzes, Wirtschaftsreformen auf später
verschoben. Die SPD dagegen bekam nach ihrem historisch schlechtesten
Wahlergebnis sieben Ministerien und damit ein Haus mehr als in der letzten
Großen Koalition unter Angela Merkel. War Merz tatsächlich so ein harter
Verhandler, so ein kluger Stratege? Die Zweifel daran wurden hinter den
Kulissen, in der Opposition wie auch in den Reihen der neuen Regierung,
immer lauter und vehementer geäußert – während die Beliebtheitswerte bei
Umfragen für Merz nach unten gingen.
In der Phase der Regierungsbildung, vor allem bei dem Geschacher um
die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts war es dann vor allem die SPD, in Person
Lars Klingbeil, die Vertrauen verspielte – was sich auch bei der Kanzlerwahl
gerächt haben dürfte. Am Montag war Klingbeil von vielen Medien als der neue
starke Mann gefeiert worden, nachdem er als neuer Vizekanzler eine
Ministerriege präsentiert hatte, die zwar einerseits einen radikalen Neuanfang
versprach, die er aber wohl etwas zu selbstherrlich nahezu vollständig aus
Vertrauten zusammengebaut hatte.
Außer Boris Pistorius, auf den Klingbeil nicht
verzichten konnte, ist nun keine einzige Ministerin, kein einziger Minister aus
dem Ampel-Kabinett mehr dabei. Stattdessen: Viele Newcomer mit teils wenig Erfahrung,
was auch eine gewisse Richtungslosigkeit offenbart. Nicht nur Hubertus Heil,
einer der Abservierten, gab aus diesem Anlass ein ziemlich säuerliches
Statement ab, auch aus dem größten Landesverband NRW gab es scharfe Kritik.
Die im ersten Wahlgang fehlenden Stimmen dürften aus all diesen Gründen sowohl aus
der Union als auch aus der SPD kommen.
Große Belastung gleich zum Start
Und so starten Kanzler und Vizekanzler mit einer großen Bürde in die
neuen Zeiten: Wofür Friedrich Merz wirklich steht, woran er wirklich glaubt und
worauf man sich bei ihm wirklich verlassen kann oder einstellen muss, das
werden wahrscheinlich nicht einmal mehr seine engsten Vertrauten sagen können.
Und ob Klingbeil mit all der Machtfülle und auch Machtkonzentration, die er
sich zuletzt organisiert hat, wirklich umgehen kann, auch das wird er noch
beweisen müssen. Denn nicht nur Merz, sondern auch er selbst wie die gesamte Regierung
mit ihren Ministerinnen und Ministern versammelt so wenig Regierungserfahrung
wie noch keine Mannschaft vor ihnen.
Das künftige Regieren, es ist nach dem heutigen Tag alles andere als
einfacher geworden. Dass es dennoch gelingt, es ist dieser Regierung trotz all ihrer Makel zu wünschen. Nicht nur um ihretwillen, sondern um den Willen
dieses Landes und unserer Demokratie.