Frauenhaus-Mitarbeiterin: „Berlin spart – von Gewalt betroffene Frauen zahlen den Preis“
In Berlin werden die Ausgaben gekürzt – und besonders stark trifft es den Sozial- und Kulturbereich. Der konkrete Doppelhaushalt für die Jahre 2026/27 wird dabei im Abgeordnetenhaus noch verhandelt. Um gegen die geplanten Einsparungen zu protestieren, versammelten sich dort am 10. Oktober etwa 1.500 Menschen. Im Sprühregen zogen sie unter dem Motto „Berlin ist unkürzbar“ bis zum Roten Rathaus. Diesen Donnerstag soll es erneute Proteste geben. Lenou Müssig, Koordinatorin des Frauenhauses Cocon, war eine der Redner:innen, die auf der Demonstration stellvertretend für den Bereich des Gewaltschutzes sprach. Im Gespräch mit dem Freitag berichtet sie, was die Kürzungen für Menschen bedeuten, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind.
der Freitag: Frau Müssig, zu den jüngsten Antikürzungsprotesten hatte ein breites Bündnis aufgerufen. Wie war die Demonstration?
Müssig: Die Demo war kraftvoll. Der ganze soziale, Kultur- und Bildungsbereich aus Berlin war da. In allen Bereichen wird ja sehr stark gekürzt. In den Redebeiträgen wurde nochmal deutlich, wie verheerend die Ausmaße sind.
Sie haben auf der Demonstration zu den Kürzungen im Gewaltschutzbereich für Frauen gesprochen. Wie zeigen sich die Probleme in Ihrer Arbeit?
Bereits jetzt sind Frauenhäuser, Zufluchtswohnungen, Beratungsstellen und feministische Zentren erheblich unterbesetzt. Durch die Kürzungen werden viele Projekte noch mehr Stellen streichen müssen. Im Schnitt wurden alle Projekte im Bereich Gleichstellung um zwei Prozent gekürzt. Das ist aber nur die Nettosumme. Wir werden angelehnt an den Tarifvertrag der Länder bezahlt. Da erfolgen immer wieder Stufensprünge. Wenn man die und Mieterhöhungen mit einrechnet, dann wird aktuell teilweise um bis zu fünf Prozent gekürzt. Das klingt vielleicht erstmal wenig, bedeutet aber, dass viele Projekte gerade schauen müssen, wie sie ihre Beschäftigten halten können.
Was bedeutet das für die Projekte konkret?
Das bedeutet mehr Stress für die Mitarbeitenden, in einem Arbeitsfeld, das durch die tägliche Konfrontation mit massiver Gewalt schon so ziemlich anstrengend ist. Wenn dann die Arbeitsbedingungen noch prekärer werden, führt das dazu, dass Menschen, die den Job lieben, nicht länger bleiben können. Genauso werden dadurch Angebote reduziert werden müssen. Es werden weniger Beratung stattfinden können. Teilweise werden Projekte Übersetzungsleistungen streichen müssen, und das wäre katastrophal.
Welche Konsequenzen hätte das für Schutzsuchende?
Menschen, die kein Deutsch sprechen oder taub sind, werden damit praktisch keinen Zugang mehr zum Gewalt-Hilfesystem haben. Eigentlich hat sich Deutschland der Istanbul-Konvention verpflichtet, die vorsieht, explizit Zugang für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Wenn jetzt also anstatt auszubauen, noch weiter gestrichen wird, ist das verheerend.
Verheerend ist auch der bereits bestehende Mangel an Infrastruktur: Schon jetzt fehlen Berlin mindestens 486 Schutzplätze für von Gewalt betroffene Frauen. Wie macht sich das im Alltag der Frauenhäuser und Schutzeinrichtungen bemerkbar?
Bei uns rufen täglich Schutzsuchende an. Wir haben aber selten einen freien Platz. Einfach, weil die Personen, die bei uns leben, in den letzten Jahren aufgrund von fehlendem Wohnraum und behördlichen Prozessen immer länger bleiben müssen. Bis Sozialleistungen bezogen werden können, oder ein Aufenthaltsstatus geklärt ist, kann es dauern. Viele Frauen haben dazu einen vom Ehemann abhängigen Aufenthaltsstatus.
Bei uns rufen täglich Schutzsuchende an. Wir haben aber selten einen freien Platz
Das ist ein großes Problem und auch hier hält Deutschland sich nicht an die Istanbul-Konvention. Diese sieht vor, dass alle von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Personen Zugang zum Hilfesystem bekommen müssen – unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus. Wenn schutzsuchende Personen keinen Platz im Frauenhaus finden, bedeutet das häufig, dass sie in Gewaltverhältnissen bleiben müssen. Viele sind ökonomisch sehr abhängig.
Während bestehende Verpflichtungen ignoriert werden, verweist die Politik auf das Gewalthilfegesetz, das Anfang des Jahres beschlossen wurde. Wie bewerten Sie das Vorhaben?
Das Gesetz sieht ab 2032 einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder vor. Wobei es den Schutz explizit nur für Frauen vorsieht. Das war die Bedingung der CDU, dem Gesetz am Ende zuzustimmen. Dadurch werden nichtbinäre, trans- und inter-Personen vom Hilfesystem ausgeschlossen. Natürlich haben diese Menschen auch einen Anspruch auf Schutz und Beratung, und das sollte rechtlich so festgeschrieben sein. Hier muss das Gewalthilfegesetz nachgebessert werden. Ab 2027 sollen jedenfalls alle Bundesländer Gelder vom Bund für den Ausbau des Gewalthilfesystems erhalten.
Wird das die Situation der Frauenhäuser und Schutzeinrichtungen verbessern?
Was sich gerade abzeichnet: Viele Bundesländer warten auf dieses Geld, um damit Löcher im eigenen Haushalt zu stopfen. So kürzt ja Berlin jetzt gerade unter anderem die Ausgaben im Antigewaltbereich. Wir haben Sorge, dass mit den Mitteln vom Bund ab 2027 dann die Minderausgaben refinanziert werden. Eigentlich wäre dieses Geld aber dafür da, den Antigewaltbereich besser auszustatten. Dazu kommt: Wenn jetzt Stellen und damit Angebote in den Projekten abgebaut werden, dann könnte es schwierig werden, diese später wieder auszubauen.
Auf der Demonstration wurde darauf hingewiesen, dass im Antigewaltbereich von Berlin gespart wird, gleichzeitig aber Gelder da sind, um einen Zaun um den Görlitzer Park zu bauen. Dieser, so die Begründung, soll mehr Sicherheit für Frauen bieten. Wie passt das zusammen?
Das ist eine sehr repressive Politik. Teilweise wird hierbei der Schutz von Frauen vor Gewalt benutzt, um diese Politik zu legitimieren. Das sieht man zum Beispiel auch bei der Novellierung des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes. Da wird neben sehr vielen Überwachungsmaßnahmen, die alle Berliner*innen betreffen, jetzt auch die elektronische Fußfessel für Täter von Partnerschaftsgewalt eingeführt.
Wie bewerten Sie den Schritt?
Diese Fußfessel wird oft als sogenanntes Spanisches Modell bezeichnet. Spanien ist in Europa ein Vorreiter im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. In Deutschland wird das so dargestellt, als läge das nur an der elektronischen Fußfessel. Spanien hat aber schon seit 2002 sehr viel Geld in den Gewaltschutz investiert. Es gibt eigene spezialisierte Gerichte, die auf geschlechtsspezifische Gewalt spezialisiert sind. Die Beratungs- und Anlaufstellen für Betroffene sind rund um die Uhr geöffnet. Es gibt Täterarbeit, die verpflichtend ist – und die auch einhergeht mit der Fußfessel. All das haben wir in Deutschland nicht.
Die Fußfessel allein wird also kaum etwas bewirken?
Die elektronische Fußfessel als alleinstehende Maßnahme einzuführen, kann sogar gefährlich sein. In einem Fall aus Hessen nahm man die Fußfessel einem Mann nach drei Monaten wieder ab, nachdem die gerichtliche Verfügung geendet hatte. Kurz darauf fuhr er zu einer Ex-Partnerin, verletzte sie und erstach ihren neuen Lebensgefährten. Das zeigt, dass die Fußfessel ohne begleitende Täterarbeit, die vielleicht zu einer Verhaltensänderung führen würde, gefährlich ist. Sie kann die Situation weiter eskalieren.
Teilweise wird der Schutz von Frauen vor Gewalt benutzt, um repressive Politik zu legitimieren
Zudem muss es überhaupt erstmal eine polizeiliche Anzeige der Gewalt geben und dann muss eine Verurteilung folgen. Das ist ziemlich hochschwellig und wird tatsächlich auch nur für sehr wenige Personen in Betracht kommen.
Warum?
Wir sehen bei unseren Bewohner:innen im Frauenhaus, dass viele sich nicht an die Polizei wenden, weil sie selber schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Es gibt zwar Schulungen innerhalb der Polizei zum Thema häusliche und Partnerschaftsgewalt, diese sind aber nicht flächendeckend. Oft reagieren Polizist:innen nicht sensibel in diesen Situationen. Das betrifft insbesondere Personen of Color, bei denen die Gewalt oft kulturell verortet und dadurch nicht so ernst genommen wird.
Welche Maßnahmen würden schutzbedürftigen Frauen wirklich helfen?
Wir bräuchten mehr Schutzplätze, Frauenhäuser, Zufluchtswohnungen und Beratungsstellen. Um die Gewalt aber wirklich strukturell zu bekämpfen, ist Präventions- und Bildungsarbeit nötig. Und wir bräuchten eine Gesellschaft, die sozial gerecht ist, in der es bezahlbaren Wohnraum und gute Gesundheitsversorgung gibt – also eine Gesellschaft, in der alle Menschen gut versorgt sind. Dann entsteht auch weniger Gewalt.
Um die Gewalt aber wirklich strukturell zu bekämpfen, ist Präventions- und Bildungsarbeit nötig
Außerdem müssten wir geschlechtsspezifische Gewalt als gesamtgesellschaftliches Problem betrachten und nicht als Frauen- oder Gleichstellungsthema. In den allermeisten Fällen sind es Männer, die Gewalt ausüben. Täterarbeit zum Beispiel gibt es in Berlin aber kaum. Dabei haben Studien gezeigt, dass Täterarbeit zu einer niedrigeren Rückfallquote führt.
Sie betonen die Bedeutung einer sozial gerechten Gesellschaft. Wie wirken sich die geplanten Kürzungen in Berlin insgesamt aus?
Bei der Jugendarbeit wird beispielsweise auch total viel gekürzt. Diese ist am Ende dabei auch Gewaltprävention. Wenn der Sozialstaat so zusammengekürzt wird, ist das nicht nur unsozial, sondern auch total unökonomisch. Am Ende werden die Kürzungen sehr viele Folgekosten produzieren. Es ist teurer, viele Frauenhäuser zu betreiben, als eine gute Präventions- und Bildungsarbeit zu leisten, die darauf hinwirkt, dass sich diskriminierende Verhältnisse in der Gesellschaft verändern. Das ist aber nicht gewollt.
Was sagen die Kürzungen über die politischen Prioritäten dieser Stadt aus?
Am Ende senden die Regierenden die Botschaft, dass der Gewaltschutz und damit auch die von Gewalt betroffenen Menschen keine Priorität haben. Ganz im Gegenteil. Wir sagen zugleich aber auch, dass Frauenhäuser nicht wichtiger sind als Jugendzentren oder Museen. Das haben wir heute ebenfalls auf der Demo betont. Denn das würde bedeuten, dass es nicht genügend Geld gibt. Das ist aber schlicht falsch.
Das Geld ist einfach schlecht verteilt. Warum haben wir keine angemessene Erbschafts- und Vermögenssteuer? Warum wird so viel Geld in Überwachungsmaßnahmen oder Rüstungsexporte gesteckt? Solange daran nicht gerüttelt wird, werden wir die strukturellen Gewaltverhältnisse nicht verändern.