Frankreich: Und täglich grüßt jener Macronist
Am Freitag ernennt Präsident Emmanuel Macron den am Montag zuvor zurückgetretenen Premierminister Sébastien Lecornu erneut. Zum Lachen? Leider nein. Werden in Paris die Staatsgeschäfte mit mehr als einem Hauch von Irrationalität geführt?
Im Schatten des Präsidenten: Frankreichs Premierminister Sébastien Lecornu
Foto: Jeanne Accorsini/Picture Alliance/SIPA
Eigentlich fehlte nur noch das Popcorn, als an diesem 10. Oktober, ab 14.30 Uhr, ganz Frankreich darauf wartete, welchen Ausweg Emmanuel Macron nun wohl einschlagen würde. Einige Parteispitzen laufen über den Hof des Élysée, weil der Präsident einbestellt hat.
Marine Le Pen verkündet: Von nun an nichts mehr mit uns!
Im TV-Splitscreen spaziert gleichzeitig Marine Le Pen auf dem anderen Bild während der Generalversammlung der Nationalen Feuerwehr durch die Kleinstadt Le Mans und schüttelt überschwänglich Hände. Ihr Rassemblement National (RN) ist wie die Linkspartei La France Insoumise (LFI) nicht zum Treffen bei Macron geladen. Also tut sie so, als würde sie das Ganze nichts angehen. Le Pen hat bereits verkündet: Von nun an nicht mehr mit uns!
Gleichzeitig gibt es auf den Dauernachrichtensendern weiterhin das übliche Kasperletheater. Man fragte völlig überfragte Experten: Wie muss man wohl gestrickt sein, um in diesen Zeiten und unter diesen Vorzeichen eine neue Regierung anzuführen?
Es ist eine Mischung zwischen „Frankreich sucht den Superstar“ und „Papstwahl“
Nicht zu links, nicht zu rechts, lautet die Antwort. Keine Ambitionen haben, einmal Präsident zu werden, aber trotzdem Erfahrung und Instinkt besitzen! Nicht zu nah am Präsidenten sein, aber doch vertraut genug für eine Zusammenarbeit. Kein Schreckgespenst für die Wirtschaft, aber auch nicht für die Gewerkschaften und Sozialverbände! Kurzum: ein casse-tête, zum Kopfzerbrechen. Das Interesse am Job, den Macron innerhalb von 48 Stunden zu vergeben hat, ist nicht sonderlich groß. Die Schlange vor dem Élysée-Palast bleibt überschaubar, denn das Amt des Premierministers gilt derzeit eher als risikobehaftet und kurzlebig. Eigentlich muss man fast schon magische Kräfte besitzen, um das zu schaffen, woran seit den Neuwahlen im Sommer 2024 bereits drei Amtsinhaber gescheitert sind: Mehrheiten im Parlament zu finden.
Darum wird im Laufe des Nachmittags noch mal die Namensliste runtergerasselt, die seit Montag kursiert, nachdem Sébastien Lecornu ja überraschend nach nicht mal einem Monat das Amt hingeworfen hatte. Mal war von Jean-Louis Borloo die Rede, zehn Jahre raus aus der Politik und vorher Umweltminister unter Nicolas Sarkozy. Andere spekulieren auf eine Rückkehr von Pierre Moscovici, aktuell Präsident des Rechnungshofes.
Wieder andere können sich den Ex-Premier Jean Castex vorstellen, der Frankreich durch die Corona-Krise geführt hatte, der aber eigentlich bald die französische Bahn übernehmen soll. Es ist eine Mischung zwischen „Frankreich sucht den Superstar“ und „Papstwahl“.
Es gibt derzeit keine Antworten auf irgendetwas
Als die Vertreter der in Macrons Augen „gemäßigten Parteien“ dann dessen Amtssitz verlassen, ahnt man nichts Gutes. Sowohl der Grünen-Chefin Marine Tondelier, als auch dem Sozialisten Olivier Faure wie dem KP-Vorsitzenden Fabien Roussel steht Ernüchterung ins Gesicht geschrieben: „Aucune réponse à aucun sujet“ – keine Antwort zu irgendeinem Thema.
Vor allem bei der Frage nach der Rentenreform ist Macron unscharf geblieben, alles das müsse dann der Premier klären. Eigentlich hätte er gar nichts vorgeschlagen. Zweieinhalb Stunden lang. Dabei hatten sich die Parteispitzen ja gerade deswegen auf den Weg zum Präsidenten gemacht, weil sie hofften, dass dort eine ansatzweise ausgestreckte Hand wartet.
Vielleicht inhaltliche Zugeständnisse, irgendwelche Maßnahmen, durch die man sich einem Haushalt nähern könnte, um nach und nach wieder Ordnung in das politische Chaos zu bekommen – Neuwahlen auf mittlere Frist.
Als Zuschauer kann man sich zwischendurch noch einen Film anschauen, man ist ja ohnehin in Popcorn-Stimmung. Und dann gegen 22.00 Uhr kommt die Nachricht aus dem Élysée: Der neue Premier ist der alte. In der Woche hat sich Lecornu auf Wunsch des Präsidenten noch einmal mit allen Fraktionen (außer RN und LFI) zusammengesetzt. Eine Art Chefunterhändler oder wie Donald Trump sagen würde, einer, der sich auf „Deals“ versteht. Dumm nur, dass sich schon kurz nach Bekanntgabe seiner Nominierung nicht irgendein Deal abzeichnet.
Gegen Mitternacht geht dann das Popcorn zur Neige
Diese Entscheidung sei „wieder ein Stinkefinger für die Franzosen“, urteilt Manuel Bompard von LFI, dessen Partei ankündigt, Lecornu wieder das Vertrauen zu entziehen, genauso wie Jordan Bardella für den RN, der das Ganze als „schlechten Witz, eine demokratische Schande und Herabwürdigung der Franzosen“ bezeichnet. Und auch die konservativen Les Républicains nennen in der Person von Julien Aubert die Rückkehr von Lecornu eine „Provokation“.
Gegen Mitternacht geht dann das Popcorn zur Neige, und man fragt sich, was man gerade gesehen hat – einen Horrorfilm oder eine Komödie. Bis einem auffällt: Das war gar kein Film, sondern eine Serie … Und die nächste Staffel beginnt schon morgen!