Frankreich | Macrons zurückliegender Rettungsversuch: Lecornu soll es urteilen
Präsident Macron steckt mitten im Überlebenskampf seines politischen Lagers. Er reizt aus, was ihm noch an Möglichkeiten bleibt. Aber es herrscht Endzeitstimmung
Präsident Emmanuel Macron steckt mitten im Überlebenskampf seines politischen Lagers, wird er ihn überstehen?
Foto: IMAGO / Bestimage
Wem es schwerfällt, sich Namen zu merken, der sollte derzeit davon absehen, sich mit französischer Politik zu befassen – das Personal wechselt in einem rasanten Tempo. Als Premier Sébastien Lecornu am 6. Oktober nach einem Monat im Amt überraschend zurückgetreten war, begann eine historisch einmalige Woche unter der Überschrift „Politisches Kasperletheater“. Zunächst bat Emmanuel Macron den Ex-Premier binnen 48 Stunden doch noch Mehrheiten für einen Haushaltsentwurf zu finden und die republikanische Mitte unter Ausschluss der linken Partei La France Insoumise (LFI) wie des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) zu mobilisieren.
Man rätselte, nachdem der nicht mehr wollte, wer nun auf Lecornu folgen sollte. Nicht zu links, aber auch nicht zu rechts müsse er sein, hieß es, 2027 keine Ambitionen auf das Präsidentenamt haben, aber Erfahrung und Instinkt besitzen. Er oder sie sollte kein Schreckgespenst für die Wirtschaft, ebenso wenig für Gewerkschaften und Sozialverbände sein. Wer kam da in Betracht? Kurz vor dem vergangenen Wochenende platzte dann die Bombe: Der alte wurde zum neuen Premierminister berufen! Für Macron waren es offenbar Lecornus gutwillige Vermittlungsversuche wie die leergefegte Auswechselbank, die ihn zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen. Vermittelbar ist das den Franzosen kaum noch. Aber der Präsident steckt eben mitten im Überlebenskampf seines politischen Lagers. Bei Neuwahlen des Parlaments würde, der jüngsten Umfrage des Instituts IFOP zufolge, der RN mit 36 bis 37 Prozent siegen. Alle linken Parteien – La France Insoumise inklusive – kämen auf rund 27 Prozent, während Macrons Mitte auf 13 schrumpfen würde.
Dazu kommt, dass Marine Le Pen derzeit eine Charmeoffensive gegenüber den konservativen Les Républicains für geboten hält, denen elf Prozent prophezeit werden. Also will man die Partei bewegen, bei Neuwahlen mit dem RN als geschlossener Block aufzutreten, womit eine absolute Mehrheit in greifbare Nähe geriete. Unter ihrem Vorsitzenden, dem Hardliner Bruno Retailleau, ist Les Républicains inzwischen vieles bis alles zuzutrauen. Statt die Gefahren, wie sie von den Rechtspopulisten ausgehen, einzudämmen, wie das Macron einst versprochen hat, sind die stärker als je zuvor.
Ausweg Amtsenthebungsverfahren
Noch scheint Lecornu guter Hoffnungen, ein solches Szenario abzuwenden. Es gibt 34 neue Kabinettsmitglieder, einige Ressorts wie Außenpolitik, Wirtschaft und Finanzen sowie Kultur und Justiz bleiben in den gleichen Händen. Aber ja, auch ein paar Vertreter des technokratischen Genres sind dabei, wie Arbeitsminister Jean-Pierre Farandou (Ex-Chef der Staatsbahn SNCF) oder Umweltministerin Monique Barbu. Jetzt gilt es, mit dieser Besetzung in Windeseile einen Haushalt aufzustellen, in dem allein mit 29 Maßnahmen Änderungen im Steuerrecht vollzogen werden sollen. Man will Vermögensholdings belangen und Steuervermeidung verhindern. Besteuert werden sollen Einfuhren aus dem außereuropäischen Raum, was vorrangig auf chinesische Billigartikel zielt. Die Tabaksteuer träfe auch E-Zigaretten. Zugleich werden Steuern gesenkt, um Unternehmen zu entlasten. Insgesamt soll das Staatsdefizit auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gedrückt werden. Aber die Nationalversammlung will beteiligt sein, was auf eine Sisyphusarbeit hinauslaufen würde, für die eigentlich keine Zeit bleibt.
Den Paukenschlag gab es gegen Ende einer ersten Sondierungsphase, als Lecornu bekanntgab, die umstrittene Rentenreform von Emmanuel Macron auszusetzen. Zunächst einmal werde die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre bis Januar 2028 auf Eis gelegt. Damit geht Lecornu nicht nur auf die linke und rechte Opposition zu, er kann dem Präsidenten zudem eine schwere Niederlage nicht ersparen. Das erhöhte Renteneintrittsalter war ein Prestigeprojekt Macrons: Er hatte das Vorhaben im Frühjahr 2023 ohne Beteiligung der Nationalversammlung über ein präsidiales Dekret und gegen Massenproteste im Land durchgesetzt. Dass er jetzt einlenken muss, ist mehr als nur ein Indiz für die Endzeitstimmung, der diese Präsidentschaft und ihr Inhaber ausgesetzt sind.
Wäre der Ausweg ein Amtsenthebungsverfahren gegen Macron, wie es von LFI, der Partei von Jean-Luc Mélenchon, bereits eingereicht und vom Rechtsausschuss des Parlaments abgelehnt wurde? Unabhängig davon würde es dauern. Aber wer weiß – je länger die Staatskrise anhält, und Macron nicht weichen will, umso dringlicher könnte es werden, ihn zu stürzen. Den Namen Macron zumindest werden die Franzosen so schnell nicht vergessen.