Foltergefängnisse auf der Krim: Wie Russland Ukrainer quält

Als Olexandr Tarasow im März 2022 in Cherson verschwand, war das eine Nachricht, wie sie ukrainische Medien in jenen Tagen häufig aus den von Russland besetzten Gebieten im Süden der Ukraine berichteten. Unbekannte hatten Tarasow in einen schwarzen Mercedes ohne Nummernschilder gezerrt. In den Tagen zuvor hatte er in Cherson an friedlichen Protesten gegen die russische Okkupation teilgenommen und Videos davon in sozialen Medien hochgeladen.

Bis zur Befreiung Chersons im November sind in der Region Hunderte Lokalpolitiker, Aktivisten, Journalisten, Beamte oder zufällige Menschen von den Besatzern festgenommen worden. Gegen einige wurden später öffentlich Anschuldigungen erhoben, von manchen verlor sich jede Spur, andere wurden später tot aufgefunden, schrecklich zugerichtet.

Stromschläge durch die Ohrläppchen

Tarasow wurde im Februar 2023 freigelassen. Ein Lebenszeichen von ihm gab es indes schon am Tag nach seiner Festnahme: Auf dem Telegram-Kanal des später bei einem angeblichen Verkehrsunfall getöteten Kollaborateurs Kirill Stremousow wurde ein Video veröffentlicht, in dem Tarasow allerlei Untaten gegen Russland gesteht.

Dem russischen Exilmedium Meduza hat er nun geschildert, was der Aufzeichnung vorausgegangen war. Nach seiner Festnahme wurde er gefoltert, indem ihm Stromschläge durch die Ohrläppchen gejagt wurden. Diese Prozedur, so Tarasow gegenüber Meduza, hätten die Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB als „Anruf bei Selenskyj“ bezeichnet. Dann sei ihm eine Pistole an die Schläfe gesetzt und der Hahn gespannt worden. Falls er sich weigere, hätten sie ihm gedroht, seine Familie zu holen und das Gleiche mit ihr zu machen.

Tarasows Bericht ist Teil einer großen Recherche von Meduza zu ukrainischen Zivilisten in russischen Untersuchungsgefängnissen. Insgesamt befinden sich vermutlich mehr als 3000 solcher „Geiseln“, wie Menschenrechtsaktivisten sie bezeichnen, ohne Rechtsgrundlage und meist auch ohne konkrete Vorwürfe in russischer Gefangenschaft. Sie haben keinen Kontakt mit der Außenwelt. Ihre Familien müssen schon froh sein, wenn sie mithilfe von Anwälten überhaupt eine Bestätigung bekommen, dass ihre Verwandten in russischer Gewalt und am Leben sind.

„Sie haben uns in gehetzte Tiere verwandelt“

Meduza hat mit mehreren Personen gesprochen, die aus dem Untersuchungsgefängnis in Simferopol auf der Krim freigelassen wurden, wo allein mehr als hundert Ukrainer festgehalten werden. Sie berichten über systematische Folter, Misshandlungen und Drohungen. Tarasow schildert Meduza, dass die Aufseher in Simferopol regelmäßig ohne Anlass Elektroschocker gegen die Gefangenen einsetzten. Allein der Klang der Geräte habe bei vielen von ihnen schon Muskelkrämpfe ausgelöst. „Sie haben uns in gehetzte Tiere verwandelt.“

Einem Gefangenen wurde während des Verhörs mit einem Luftgewehr in die Beine geschossen – anschließend wurde er gezwungen, die Projektile mit den eigenen Händen aus den Wunden zu pulen. In den Zellen der Ukrainer im Simferopoler Untersuchungsgefängnis brennt laut Meduza rund um die Uhr Licht. Von sechs Uhr morgens bis zur Schlafenszeit sei es den Gefangenen verboten, auf ihren Pritschen zu sitzen oder zu liegen. „Sie haben uns dafür gehasst, dass wir ihre Truppen nicht mit Salz und Brot begrüßt haben“, sagt Olexandr Tarasow.

Source: faz.net