Folge des Shutdowns: Der Kampf um Obamacare

In der amerikanischen Hauptstadt herrscht gespenstische Ruhe. Die Arbeit der Bundesregierung liegt weiter lahm. Demokraten und Republikaner können sich nicht über Subventionen einigen, denen der frühere Präsident Barack Obama im Zuge seiner Gesundheitsreform („Obamacare“) den Weg geebnet hatte. Die Demokraten wollen einem gewöhnlichen Finanzierungsgesetz für die Regierung nur zustimmen, wenn die Republikaner von Präsident Donald Trump zugleich den Erhalt spezieller Obamacare-Subventionen über das Jahr 2025 hinaus garantieren. Diese Finanzhilfen waren während der Pandemie befristet eingeführt worden.
Die Fronten sind verhärtet. Am Montag war der fünfte Versuch im Senat gescheitert, die Finanzierung der Regierungsarbeit temporär sicherzustellen. Zwischen 550.000 und 750.000 Staatsdiener wurden inzwischen in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt.
Ohne Verlängerung der Obamacare-Subventionen verteuern sich für Millionen Amerikaner die Beiträge für die Krankenversicherung vom nächsten Jahr an zum Teil drastisch. Für Ältere, die mit ihren Einkommen bestimmte Grenzen überschreiten, könnten die Beiträge sich mehr als verdoppeln, rechnet die Kaiser Family Foundation, eine Denkfabrik fürs Gesundheitswesen, vor. Die Folge wäre, dass viele sich die Absicherung nicht mehr leisten würden.
Immigranten ohne Aufenthaltserlaubnis haben keinen Zugang zu Obamacare
Demokraten sehen den Moment gekommen, mit ihrem Einsatz für Obamacare – das historische Großprojekt der Partei – endlich politisch zu punkten. Die Republikaner sind zwiegespalten. Sie fürchten die politischen Folgen, wenn sie soziale Wohltaten streichen. Ein größerer Teil der Amerikaner, die mittels Obamacare krankenversichert sind, lebt in republikanisch dominierten Bezirken. Doch verursache das Programm Zusatzkosten von jährlich 30 Milliarden Dollar, hat das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) errechnet. Einige Hardliner wittern die Chance, Obamacare so grundlegend zu reformieren, dass nichts mehr davon übrig bleibt. Sie machen das Programm für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen mitverantwortlich. Kein Land gibt mehr Geld pro Kopf für sein Gesundheitswesen aus als die Vereinigten Staaten.
Der Kampf wird mit harten Bandagen geführt. Republikaner werfen Demokraten vor, für die Verlängerung der Subventionen zu kämpfen, damit illegale Einwanderer Krankenversicherungsschutz behalten. Das ist falsch. Immigranten ohne Aufenthaltserlaubnis haben keinen Zugang zu Obamacare. Die Demokraten werfen den Republikanern vor, lebensrettende Gesundheitsvorsorge für Arme kappen zu wollen, um Steuersenkungen für Milliardäre zu finanzieren. Das ist zumindest irreführend.
Die umstrittenen Obamacare-Subventionen entlasten vor allem Familien mit soliden Einkommen. „Die Demokraten verlangen, dass der Kongress zusätzliche Hunderte Milliarden Dollar an Steuergeldern an private Krankenversicherungen überweist, um Haushalte mit einem Jahreseinkommen von 129.000 bis 600.000 Dollar zu begünstigen“, sagt Michael Cannon von der libertären Denkfabrik Cato.
In der Pandemie beschlossen die Demokraten großzügigere Regeln
Obamacare ist Nährboden für Halbwahrheiten und Falschnachrichten, weil dahinter ein kompliziertes und ungewöhnliches System steckt. Es ist per se keine gesetzliche Krankenversicherung, sondern eine Sammlung von Gesetzesregeln und Subventionen mit dem Ziel, mehr Amerikanern Krankenversicherungsschutz zu geben. Obamacare zielt auf die etwa 15 Prozent der Amerikaner, die in den großen Versicherungsschutzsystemen Medicare (für Alte), Medicaid (für Ärmere) oder Arbeitgeberplänen (für Beschäftigte) durch die Maschen fallen.
Das Gesetzespaket, das eigentlich „Erschwingliches Krankenversorgungs-Gesetz“ („Affordable Care Act“) heißt, schuf die Voraussetzung für die Gründung von Marktplätzen, auf denen Amerikaner private Krankenversicherungen kaufen können. Die Bundesregierung subventioniert den Kauf dieser Krankenversicherungen, wobei der Zuschuss sich in Form einer Steuergutschrift am Einkommen, an Familiengröße und -status sowie an anderen Kriterien ausrichtet. Das war das Grundprinzip.
In Reaktion auf die Pandemie beschloss der von den Demokraten beherrschte Kongress im Jahr 2021 in der Präsidentschaft von Joe Biden großzügigere Regeln. Ursprünglich konnten Personen mit einem Einkommen von weniger als 400 Prozent der bundesstaatlichen Armutsgrenze Obamacare-Zuschüsse bekommen. 2025 sind das 62.600 Dollar für einen Erwachsenen ohne Kinder und 128.600 Dollar für eine vierköpfige Familie. Diese Einkommensgrenzen wurden 2021 aufgehoben, und die Obamacare-Zuschüsse wurden auf Millionen höher verdienender Amerikaner ausgeweitet.
Die Neuregelung half 24 Millionen Amerikanern, die ihre Versicherung auf den Marktplätzen („Exchanges“) gekauft haben, weil die Beiträge für einkommensschwächere Amerikaner deutlich gesenkt wurden. Zugleich wurden die Beiträge für Personen mit Jahreseinkommen von knapp über 60.000 bis 150.000 Dollar auf 8,5 Prozent des Einkommens gedeckelt. Diese Gruppe erlebte im früheren System oft starke Prämienanstiege.
Obamacare verhinderte nicht, dass die Beiträge beständig stiegen. Seit 2014, als der Affordable Care Act zur Gänze in Kraft trat, sind die Prämien um 80 Prozent gestiegen. Darauf wies jetzt Ge Bei, eine Professorin für Rechnungswesen und Gesundheitspolitik an der Johns-Hopkins-Universität, in der Zeitung „Wall Street Journal“ hin. Kritiker wie der Gesundheitsexperte Brian Blase von der konservativen Denkfabrik Paragon sagen, dass die Staatszuschüsse vor allem den Versicherungskonzernen zugutekamen. Deren Börsenwerte sind seit der Einführung von Obamacare deutlich gestiegen. Die Subventionen trugen dazu bei, die Beitragssteigerungen durch die Konzerne zu kaschieren. Für viele Versicherte wurde der Schutz günstiger, oder er blieb stabil. Damit blieben Proteste aus.
Es gibt starke Hinweise, dass Obamacare selbst zu den Kostensteigerungen beiträgt. Das Gesetzespaket trieb durch spezielle Auflagen die Konzentration im Krankenhaussektor und unter Arztpraxen voran. Damit schwand Wettbewerb.
Obamacare verteuerte auch die private Krankenversicherung für Amerikaner in ihren Dreißigern und späten Zwanzigern, weil es die Rabatte deckelt, die Versicherer jungen Leuten gewähren dürfen. „In der Folge steigen viele junge Leute aus dem Markt aus, was die Krankenversicherung für alle teurer macht – auch für Menschen in ihren Sechzigern“, schreibt der Gesundheitsexperte Avik Roy in der Zeitung „Washington Post“. Den zulässigen Rabatt auf 80 Prozent anzuheben, könne dieses Problem weitgehend lösen, meint Roy. Mehr junge Menschen würden sich versichern, die Risikogemeinschaft würde sich verbessern, und damit würden die Prämien für Jüngere wie Ältere sinken.