Finanzpolitik: Streicht Privilegien!

Angenommen, Ihr Haus brennt. Sie stürmen also aus der Wohnung, fünfter Stock, guter Hoffnung, unbeschadet unten anzukommen. Im zweiten Stock, Sie haben es fast geschafft, begegnet Ihnen: Christian Lindner. Sie sind ein wenig überrascht, lassen sich aber, es steht hier immerhin der Finanzminister, auf eine Debatte über die Hausordnung ein: Nicht mehr als zehn Leute im Treppenhaus, es laufen zu viele Nachbarn herum, zurück in den fünften Stock! Sie trollen sich in Ihre Wohnung und hoffen auf die Feuerwehr.

Die Regierung, in der Christian Lindner seit anderthalb Jahren Minister ist, hat nicht nur ein Haus übernommen, dessen Bewohner sich eines klimabedingten Schwelbrandes erwehren müssen. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine brennt ein Teil Europas nun auch im furchtbar wörtlichen Sinne, mit teuren Folgen für Deutschlands Energieversorgung und Industrie.

Christian Lindner ist kein Gestalter, sondern ein Hausmeister der Regierung

Nun könnte so eine Situation eine Chance für einen Finanzminister sein. Er könnte eine Reform der Abgaben vorantreiben, um diese Lasten ökonomisch sinnvoll zu verteilen. Doch der Finanzminister Lindner will nicht ein Gestalter der Zeitenwende sein, sondern ein Hausmeister der Koalition. Er pocht auf die Hausordnung der Regierung, den Koalitionsvertrag, und dort heißt es: keine Steuererhöhungen. Regieren als vormoderne Textexegese mag evangelikale Originalisten begeistern. Doch seit dem Krieg in der Ukraine ist die Welt eine andere.

Bevor es nun heißt: “Wie billig, wieder die FDP zu verhauen!”, sei hier vermerkt: Es ist wirklich kein Schaden, dass sie in dieser Regierung ist. Kein großes Antikrisenvorhaben ist an ihr gescheitert. Und es ist ein Segen, dass Lindner die Ministerinnen und Minister im Haushaltsstreit zum Maßhalten zwingt. Der Staat wird nämlich – anders, als gerne behauptet wird – nicht kaputtgespart. Er gibt mehr Geld aus als je zuvor.

Gleichwohl folgt daraus nicht, dass der Staat einzelne Abgaben und Steuern nicht erhöhen kann und soll – wenn er sie dann anderswo in gleichem Maße senkt. Und wenn er die Einnahmen nicht verschwendet: Der Benzinpreisrabatt und die Gaspreisbremse kamen auch Menschen zugute, die sie gar nicht brauchten. Dadurch wurden zugleich Anreize geschaffen, mehr fossile Energie zu verbrauchen.

Eine Finanzpolitik der Zeitenwende sähe anders aus: klimaschädliche Steuervergünstigungen für Diesel (8 Milliarden Euro), Kerosin (8 Milliarden) und Langstreckenflüge (4 Milliarden) abschaffen. Ebenso andere durch Lobbyisten erstrittene Ausnahmen: reduzierte Mehrwertsteuersätze für Gastronomie und Kultur (6 Milliarden) und steuerfreie Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit. Auch ist nicht einsichtig, warum Einkommen aus Arbeit höher besteuert wird als leistungslose Millionenerbschaften in Form von Unternehmen. Und warum braucht es eine Pendlerpauschale (6 Milliarden), aber keine Teure-Mieten-Pauschale für Menschen in der Stadt?

Der letzte Absatz hat sicher den einen oder anderen Leserpuls beschleunigt. Womit man bei dem Problem angekommen ist, dass sich Menschen an Ungerechtigkeiten erfreuen, solange sie davon profitieren. Dabei wird der ökologische durch den demografischen Druck verstärkt: Weniger Arbeitskräfte müssen eine wachsende Zahl von Rentnern finanzieren. Den Jungen weitere Schulden aufzuladen ist also auch keine gute Idee.

Hier ein Vorschlag, wie dem Hausmeister Lindner die Transformation zum Finanzminister Lindner gelingen könnte: Klimaschädliche Steuervergünstigungen und leistungsfeindliche Ausnahmen abschaffen. Mit den Mehreinnahmen Abgaben auf kleinere und mittlere Einkommen senken, die von der ökologischen Wende und der Krise stark belastet werden. Das bedeutet vor allem weniger Sozialabgaben, die Geringverdiener überproportional treffen. Und niedrigere Steuersätze für die Mittelschicht.

Es ist natürlich beklagenswert, dass der Finanzminister diese Entlastung der Mitte verhindert, weil er Abgaben nicht einmal dann erhöhen mag, wenn dafür andere – wie er es oft gefordert hat – gesenkt würden. Grüne und SPD sollten Lindner entgegenkommen, indem sie ihm niedrigere Unternehmenssteuern anbieten. Das ist ohnehin überfällig, weil Deutschland wegen der gestiegenen Energiekosten für Unternehmen unattraktiver geworden ist. Wenn Firmen dann investieren und ihre Leute gut entlohnen, zahlen diese auch mehr Steuern. Der Staat hilft sich so selbst und seinem Haushalt auch.