Finanzberater kommen erst einmal davon

Den schärfsten Zahn hatte die EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness dem neuen Regelwerk schon vorab gezogen. Anders als zunächst geplant, wolle sie darauf verzichten, in der EU ein striktes Provisionsverbot für die Finanzberatung vorzuschlagen, sagte McGuinness vor einem Monat. Sie habe denen zugehört, nach deren Meinung ein komplettes Verbot „zu disruptiv“ sei. Was sie damit meinte: In manchen EU-Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, wäre das Geschäftsmodell einer Beratung vor allem in den Banken in Gefahr geraten, wo die Vermittler von Finanzprodukten eine Provision erhalten. Entsprechend stark war der Protest der deutschen Verbände und der Bundesregierung gegen die Pläne gewesen.

Der Vorschlag für ein neues Gesetzespaket („Investment Package“), das McGuinness am Mittwoch zusammen mit dem zuständigen Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis in Brüssel vorlegte und das vor allem einem besseren Schutz von Kleinanlegern dienen soll, enthält das Provisionsverbot denn auch nicht. McGuin­ness betonte aber, das Paket bedeute dennoch den „Einstieg“ in ein Verbot. Das Grundproblem – dass Berater, die eine Provision für eine Produktvermittlung bekommen, nicht unabhängig beraten, sondern als Verkäufer in einen Interessenskonflikt kommen – bestehe fort.

Die sich daraus ergebende „Beratungslücke“ müsse geschlossen werden. „Es bleibt dabei: Der Status quo ist nicht akzeptabel.“ Eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie („Impact Assessment“) war zum Schluss gekommen, ein völliges Verbot sei die beste Lösung. Dombrovskis sagte dazu, es gehöre zu jeder Gesetzgebung, dass auch die Betroffenen gehört würden. Diese Anhörung sei in der Gesamtschau zu einem anderen Schluss gekommen als die Studie. Die Kommission habe die unterschiedlichen Argumente abgewogen.

Der Einstieg ins Provisionsverbot

Der „Einstieg“ ins Provisionsverbot besteht aus mehreren Elementen. Zum einen soll es für beratungsfreie Vermittlungen („Execution Only“) tatsächlich keine Provision mehr geben. Zweitens will die Kommission durchsetzen, dass die Kunden genau informiert werden, wie viel Provision ein Berater für die Vermittlung eines Produkts bekommt. Derzeit müssten Kleinanleger rund 40 Prozent mehr zahlen als institutionelle Anleger, sagte McGuinness. „Nach meiner Erfahrung trauen sich viele Kleinanleger nicht, ihren Vermittler nach den exakten Kosten zu fragen. Deshalb brauchen wir hier mehr Transparenz.“

Drittens müssen die Berater den individuellen Bedarf und das Interesse ihrer Kunden genauer als bisher abprüfen und so eine stärker „maßgeschneiderte“ Beratung ermöglichen. Dafür sollen die nationalen Aufsichtsbehörden neue Prüfkriterien entwickeln. Schließlich will sich die EU-Behörde das Regelwerk nach drei Jahren wieder vornehmen. Je nach Ergebnis ihrer Prüfung könnte sie dann doch noch ein komplettes Provisionsverbot vorschlagen, sagte die aus Irland stammende Kommissarin. „Drei Jahre sind nicht viel. Die Branche muss jetzt aktiv werden, um das Verbot zu verhindern. Wir bleiben am Ball.“ Dass sie gegenüber den Finanzberatern misstrauisch bleibt, dokumentierte McGuinness mit einer Zahl. Nach einer neuen Eurobarometerumfrage vertrauten 45 Prozent der EU-Bürger nicht darauf, dass die Beratung, die sie von Finanzvermittlern erhielten, zu ihrem Vorteil sei.

Der Kommissionsvorschlag wird jetzt von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beraten. Es sei von Vornherein nicht die Absicht der Behörde gewesen, mit dem neuen Paket den Kleinanlegerschutz in der EU radikal zu ändern, sagte ein hoher EU-Beamter. Man wolle ihn aber an wichtigen Stellen verbessern. Das generelle Ziel des Vorstoßes, der die Kapitalmarktunion voranbringen soll, besteht darin, Kleinanlegern den Zugang zum Kapitalmarkt zu günstigen Konditionen zu erleichtern und ihr langfristiges Engagement zu fördern. Letzteres ist in der EU viel geringer ausgeprägt als anderswo. Laut Dombrovskis investieren in der EU nur 17 Prozent der Haushalte in klassische Finanzmarktprodukte wie Aktien, Anleihen oder Fonds, in den USA seien es 43 Prozent.

Druck auf die Kosten

Die Kommission will an mehreren Stellschrauben des bestehenden Regelwerks drehen, um potentielle Privatanleger besser zu schützen. Das betrifft etwa das Informationsblatt für Versicherungsprodukte („PRIIPs Dashboard“), in dem mehr Risiken und Kosten aufgeführt werden sollen als bisher vorgeschrieben.

Ganz neu eingeführt werden sollen EU-weite Regeln für den digitalen Vertrieb von Produkten über sogenannte Finfluencer. Solche Regeln bestehen bisher nur in einzelnen Mitgliedstaaten. Es sei allerdings nicht möglich, Finfluencer direkt für eine Fehlberatung haftbar zu machen, sagte Dombrovskis. Das gelte ohnehin, wenn diese in den sozialen Medien allgemeine Empfehlungen aussprächen, ohne davon zu profitieren. Falls Finfluencer von Anbietern Provisionen kassieren, sollen Letztere für falsche Beratungen haftbar gemacht, also verklagt werden können, bis zur Verhängung von Bußgeldern. Ganz einfach dürfte das freilich nicht werden, denn die Durchsetzung einer solchen Bestimmung wird sich wie bisher am jeweiligen nationalen Zivilrecht orientieren; ein europäisches Durchgriffsrecht besteht hier nicht.

Die EU-Behörde will ferner dafür sorgen, dass die Kleinanleger generell preisgünstigere Angebote bekommen. Viele Produkte seien derzeit mit ungerechtfertigt hohen Kosten verbunden, hieß es. Dagegen will die Kommission vorgehen, indem sie höhere Maßstäbe für den Produktvergleich vorschreibt, die mehr Transparenz möglich machen. Abgerundet wird der Vorschlag durch verschärfte Ausbildungsstandards und höhere Anforderungen für die Qualifikation der Berater sowie durch Vorschläge für mehr Finanzbildung der Kleinanleger.

Der Finanz-Verbraucherschutzverband Better Finance erkennt in dem Gesetzespaket Licht und Schatten. Auch wenn die Richtung des Vorschlags stimme, verfehle die Kommission ihre eigenen Ziele teils erheblich, teilte der Verband mit. Vor allem sei nicht zu erwarten, dass die Kleinanleger künftig unvoreingenommene Beratung erhielten. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) kritisiert, dass die Kommission ihren eigenen Zielen nicht gerecht werde – mit freilich komplett entgegengesetzten Argumenten. Daniel Quinten, Vorstandsmitglied des derzeit in der DK geschäftsführenden Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), lobte, dass die Kommission vom kompletten Provisionsverbot Abstand genommen habe. Kritisch sei aber das geplante Provisionsverbot für das „in Deutschland weitverbreitete“ beratungsfreie Geschäft zu sehen.

Source: faz.net