Film „Wunderschöner“: Lachen, Lust und Lehrgang
Die Klitoris ist ein Teil des Geschlechtsorgans von Frauen, den viele Menschen lange nicht so richtig wahrhaben wollten. Das mag auch damit zu tun haben, dass sie eigentlich den Penisneid überflüssig machen müsste, von dem Freud noch sicher ausging. Heute kann man über diese Themen diskutieren, ohne sofort Anstoß zu erregen. Aber geht das auch schon in der Schule? Wäre das nicht Teil einer „Frühsexualisierung“, gegen die sich Verfechter einer traditionellen Familienbilds immer wieder aussprechen?
In Karoline Herfurths Film „Wunderschöner“ wird die Klitoris als Merkmal von Weiblichkeit zu einem Thema in einem Projektunterricht. Eine Schülerin namens Lilly macht sich mit ein paar Klassenkolleginnen daran, das Organ, durch das Frauen starke Lust empfinden können, mit einem Kunstwerk zu feiern. Inspiriert werden sie dabei von der Lehrerin Vicky. Nebenan sitzen die Jungen bei einem neuen Kollegen von Vicky. Er heißt Trevor und ist so ziemlich das Idealbild eines Mannes, den Frauen in einer romantischen Komödie sich für einen ausgelassenen Abend mit einem Stripper einladen würden. Hier aber diskutiert Trevor mit den Schülern über Rollenbilder, und dies nicht im Sinne irgendwelcher „manospheres“, in denen Männer bevorzugt als Macker posieren. Trevor ist ein Softie mit Muskeln. Vicky, deren Freund Franz gerade irgendwo in den Bergen nach sich selbst sucht, findet ihn mindestens interessant.
Vor drei Jahren brachte Karoline Herfurth ihren Film „Wunderschön“ in die Kinos. Der Start musste wegen Covid-19 mehrfach verschoben werden und fiel in die Kinodepression, die nach dem Ende der Lockdowns nicht sofort verflog. Herfurth hatte zu diesem Zeitpunkt schon ihren nächsten Film „Einfach mal was Schönes“ fertig. „Wunderschön“ aber wurde ein großer Erfolg.
Das Wesentliche machten die Frauen
Eine Komödie über die Herausforderungen, vor denen moderne Frauen stehen, die in der Familie und im Beruf alles richtig machen und darüber hinaus auch noch ein eigenes Leben haben wollen. Karoline Herfurth spielte selbst die Hauptrolle der Sonja, Nora Tschirner war die Lehrerin Vicky. Martina Gedeck machte in der Rolle der Frauke nachvollziehbar, wie auch in einer scheinbar guten Ehe das Selbstwertgefühl schwinden kann, wenn der Mann alles nur noch für selbstverständlich nimmt.
„Wunderschön“ war ein Film, in dem Männer wie Friedrich Mücke (als Sonjas Mann Milan) oder Maximilian Brückner (als Franz) zwar tragende Nebenrollen hatten. Aber das Wesentliche machten die Frauen unter sich aus. Als „Herdentiere“, wie Vicky das nun in „Wunderschöner“ auf den Punkt bringt.

Sie lebt gerade temporär mit Sonja zusammen, in einer improvisierten Solidargemeinschaft zweier auf sich gestellter Frauen. Beider Beziehungen stehen auf der Kippe, Sonja hat sich von Milan schon getrennt, das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Franz schickt ab und zu merkwürdige Videos von seiner Wanderschaft an Vicky, von Trevor hat er keine Ahnung. Ausgehend von diesen beiden zentralen Figuren zieht Karoline Herfurth in „Wunderschöner“ das Panorama noch ein wenig weiter auf als im Vorgänger. Sie nimmt das gesamte gesellschaftliche Gewebe einer Groß- und Hauptstadt wie Berlin in den Blick, etwa mit einem Kreis von Frauen, die bewusst netzwerken und ihre Verbindungen kultivieren, um auch in den Spielen um Macht und wichtige Funktionen eine Rolle spielen zu können.
Zugang zu Gegenwartsthemen
Karoline Herfurth, die mit Monika Fässler auch das Drehbuch zu „Wunderschöner“ geschrieben hat, verschafft sich mit dieser Konstellation von Powerfrauen auch Zugang zu Gegenwartsthemen. Nadine (Anneke Kim Sarnau) wird durch einen Skandal bloßgestellt, der ihren Mann, einen Politiker, betrifft. Der wurde bei einem Treffen mit einer Prostituierten gefilmt. Nachdem sie ihren ersten Schock verwunden hat, wendet Nadine sich der jungen Frau aus Rumänien zu und sorgt dafür, dass sie die notwendige Betreuung für einen Ausstieg aus der Zwangsprostitution bekommt. Julie wiederum, die Schwester von Milan, die in „Wunderschön“ an den Schönheitsidealen der Modelbranche fast zugrunde ging, beginnt mit einem Praktikum bei einem Fernsehsender neu und muss erfahren, dass sie nach einem eklatanten Fall von sexueller Belästigung ausgerechnet von der mächtigen Chefredakteurin im Stich gelassen wird. Die stellt sich nämlich auf die Seite des attraktiven Präsentators, der Julie (Emilia Schüle) gleich am ersten Tag sehr routiniert einen heimlichen Kuss aufgezwungen hatte.
Vor allem mit der Nebenhandlung über die Rumänin Nadja geht „Wunderschöner“ bewusst in Richtung Tutorial. Herfurth sendet hier direkt in die Vorzimmer von politischen Entscheidungsträgern, sie möchte Bewusstsein schaffen für eine bessere Gesetzgebung.

Sie nützt die Einflussmöglichkeiten, die sie sich als wichtigste weibliche Stimme im deutschen Mainstreamkino verschafft hat. „Wunderschöner“ ist ein weiterer Schritt auf einem Weg, den in ähnlicher Form etwa auch Natja Brunckhorst geht. Schauspielerinnen wechseln in die Regie, sie interpretieren nicht mehr nur Rollen, sondern setzen selbst die Bedingungen für diese Rollen. Die Parallelen zwischen den Rollen in erfundenen Geschichten und den Rollenbildern in der Gesellschaft sind offensichtlich.
Zehn Jahre lagen zwischen Karoline Herfurths Auftritt in „Das Parfum“ (2006) und „SMS für dich“ (2016), ihrer ersten Regiearbeit, einer sehr gelungenen Romantic Comedy nach Hollywood-Mustern, die aber geschickt ins Deutsche übersetzt wurden. Vor dem großen Vorbild Nora Ephron („Schlaflos in Seattle“) musste Herfurth sich nicht verstecken.
„Wunderschön“ und „Wunderschöner“ verhelfen nun dem Drama neben der Komödie zu größerer Geltung. Man meint ein wenig zu spüren, dass die Anliegen direkter in die Geschichten einfließen. Es wird auch ein wenig deutlicher räsoniert, zudem werden Momente, die ins Sentimentale gehen, nicht mehr unbedingt komisch gebrochen.
Wenn Sonja sich mit einer Onlineverabredung auf einem Rummel trifft, dann schwelgt „Wunderschöner“ in den Farben, lässt den Kandidaten dumm dastehen und verschafft Sonja einen kontemplativen Moment.
In den klassischen Hollywood-Komödien wurden die Geschlechterrollen unterminiert, indem sie zuerst einmal auf Tausch abzielten: Katharine Hepburn war neben Cary Grant die eigentlich „männliche“ Figur. Karoline Herfurth aber arbeitet nun offensichtlich an einer anderen Logik der Genres. Sie hat eine neue Form von „women’s pictures“ im Sinn, die sich von der Gefahr ästhetischer Nähe zur Kolportage, zum Kitsch, auch zum politischen Flugblatt nicht abschrecken lassen. Es gibt Momente in „Wunderschöner“, in denen nur noch der skeptische Blick von Nora Tschirner in der Rolle der Vicky das Gran Schärfe aufbringt, das über erzählende Pädagogik hinausgeht – und die Radikalität von Kunst erahnen lässt.
Source: faz.net