Fabio De Masi zu BSW ohne Parteichefin Wagenknecht: „Ich mache mir schier keine Sorgen“
Sie sind noch nicht sortiert beim BSW – aber noch ist ja ein Monat Zeit bis zum Bundesparteitag in Magdeburg, bei dem der Bundesvorstand neu gewählt wird. Würde Sahra Wagenknecht als Bundesparteivorsitzende weitermachen, gäbe es kaum etwas zu sortieren.
Also diskutiert die Partei, die im Dezember ihren Namen„Bündnis Sahra Wagenknecht“ ablegen und sich umbenennen will, gerade, wie sie sich personell aufstellt. Der BSW-Europaabgeordnete und Finanzpolitiker Fabio De Masi galt schon vor Jahren in der Linkspartei als potenzieller Nachfolger Wagenknechts an der Parteispitze – und wird auch jetzt heiß gehandelt.
der Freitag: Herr De Masi, haben Sie Sahra Wagenknechts Gastbeitrag mit dem Titel „Eine konservative oder im Ursprungssinn ‚rechte‘ Agenda wäre dringend gefragt“, gelesen?
Fabio De Masi: Ja, habe ich. Ich weiß, dass die Überschrift nicht von Sahra Wagenknecht stammt.
Aber das Zitat stammt aus dem Text. Teilen Sie die These?
Der Text beschreibt, dass der Begriff „links“ heute im Wandel ist. Die Aufstiegschancen einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern, ist im ursprünglichen Sinne links – heute verbinden viele Menschen mit dem Begriff „links“ elitäre Diskurse. Konservative, die immer für die Bewahrung von Besitzständen der Oberschicht eingetreten sind, sollten heute ein Interesse daran haben, dass uns durch die kopflosen Russland-Sanktionen und hohe Energiepreise nicht der Mittelstand vor die Hunde geht. Auch Konservative müssen Interesse an einer Friedensdividende haben. Das finde ich richtig und ebenso unproblematisch, wie wenn im BSW über so einen Text gestritten und diskutiert wird.
Wir sind links und vernünftig, nämlich ohne überzogene identitätspolitische Debatten. Die Linke ist dahingehend ein Totalausfall
Der Gewerkschafter Ralf Krämer und andere BSW-Mitglieder haben Wagenknecht im „Freitag“ unter der Überschrift „Das BSW muss links bleiben“ widersprochen.
Das BSW wird häufig als links-konservativ beschrieben. Ich bin persönlich gar nicht besonders konservativ, aber ich glaube, dass weite Teile der Bevölkerung erwarten, dass man Industrie-Jobs nicht einfach unter den Bus wirft, dass man Migration steuert, damit sie nicht überfordert und Integration gelingt, und dass wir unsere Innenstädte nicht verlottern lassen. In diesem Sinne sind wir konservativ. Gleichzeitig sind wir in dem Sinne links, dass wir Politik für die große Mehrheit der Bevölkerung machen, die ihr Überleben über Einkommen aus Arbeit sichern muss, und dass wir die irre Hochrüstung ablehnen. Das ist links – und vernünftig, nämlich ohne überzogene identitätspolitische Debatten. Meine frühere Partei ist dahingehend ein Totalausfall.
Viele Linke, gerade jüngere, wählen aber jetzt Die Linke.
Ja, aber die AfD wird dennoch stärker. In der Bevölkerung gibt es den Eindruck, dass die Meinungskorridore immer enger werden. Wir erleben das in den Talkshows, wenn über den Krieg in der Ukraine gestritten wurde, wir haben es während der Corona-Zeit erlebt. Da haben sich weite Teile der politischen Linken an ein elitäres Bürgertum angelehnt, das stets mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt läuft und aktuell meint, die Söhne der anderen müssten im Schützengraben sterben.
Die Linke winkt im Bundesrat Rüstungsmilliarden durch und beklagt sich dann hinterher, wenn der Sozialstaat unter Druck gerät. So wird der Satz von Friedrich Merz, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar, zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Linke fordert etwa eine Verschärfung der Russland-Sanktionen, die den Krieg nicht verkürzen, uns aber noch abhängiger von Donald Trump machen.
Wir können solche Themen nicht der AfD überlassen, die in Wahrheit eine Partei der Hochrüstung und des Sozialabbaus ist. Das gilt auch für den Kampf um die Debattenkultur im Land und Fehlentwicklungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – den brauchen wir eigentlich als Korrektiv zur privaten Meinungsmacht!
Es ist kein Widerspruch, wenn Unternehmer sich für eine Besteuerung riesiger Erbschaften, die Abschaffung von Privilegien superreicher Firmenerben, für eine Vermögensbesteuerung, Tariftreue und einen Mindestlohn von 15 Euro einsetzen und im BSW mitwirken
Bei den „Brot-und-Butter-Themen“ fürchten BSW-Gewerkschafter wie Ralf Krämer wohl eine zu starke Fokussierung auf Unternehmer, wenn es im Entwurf des Leitantrags des Parteivorstands zum Bundesparteitag heißt: „Das BSW ist der Verbündete kreativer Unternehmer und die einzige Partei, bei der erfolgreiche Unternehmer in der Parteiführung maßgeblich beim Aufbau der Partei mitgestalten.“
Die Angst brauchen sie nicht zu haben. Ich werde mich weiter im BSW engagieren und bin in die Politik gegangen, um die Lebenssituation der Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu verbessern. Dazu ist es kein Widerspruch, wenn Unternehmer sich für eine Besteuerung riesiger Erbschaften, die Abschaffung von Privilegien superreicher Firmenerben, für eine Vermögensbesteuerung, Tariftreue und einen Mindestlohn von 15 Euro einsetzen und im BSW mitwirken. Denn wir brauchen auch einen innovativen Mittelstand.
Sie engagieren sich weiter im BSW – kandidieren Sie für den Bundesvorstand und als Parteivorsitzender?
Ich werde mich dazu äußern, wenn es ein entsprechendes Personaltableau gibt. Das ist aktuell noch nicht der Fall.
Sicher ist: Sahra Wagenknecht wird weiter in einer führenden Rolle für das BSW streiten
Kann das BSW mit einem Personaltableau, in dem Sahra Wagenknecht nicht mehr Parteivorsitzende ist, überleben?
Ich mache mir da überhaupt keine Sorgen. Sicher ist: Sahra Wagenknecht wird weiter in einer führenden Rolle für das BSW streiten. Es ist völlig unbestritten, dass wir sie brauchen. Es ist aber auch völlig unbestritten, dass wir Tausende motivierter Mitglieder haben.
Braucht das BSW eine Ostquote für die Parteispitze oder können das problemlos auch zwei Westdeutsche übernehmen?
Ich kenne keine Debatte über eine Ostquote im BSW.
Gleichwohl finden sich schon jetzt viele Westdeutsche an der Parteispitze, während das BSW vor allem in Ostdeutschland Menschen erreicht.
Sahra Wagenknecht ist im Osten geboren. Wir sind eine im Osten verwurzelte und verankerte Partei, etwa durch unsere Mitgliedschaft.
Ich würde auch mit der AfD im Bundestag sofort einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Zeit, zu den Maskendeals von Jens Spahn und zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines einsetzen
Wenn dem BSW 2026 etwa in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt der Einzug in den Landtag gelingt, dann soll es dort auf keinen Fall in eine Regierungskoalition eintreten, korrekt?
Wir wollen auf keinen Fall in Koalitionen, die nur dazu da sind, Mehrheiten gegen die AfD zu organisieren, aber nicht mit der aktuellen Politik brechen, die die Unzufriedenheit im Land erhöht. Und wir werden auch mit der AfD in keine Koalition gehen. Wir werden Anträge in der Sache prüfen. Wir sind eine neue, junge Partei, der schnelle Eintritt in Regierungen hat uns nicht nur geholfen. Deswegen liegt unser Fokus darauf, dass wir in den ostdeutschen Landtagen vertreten sind und dort stabile Fraktionen aufbauen.
Dann muss es eben Minderheitsregierungen geben, und man muss mit uns sprechen, wenn man von Fall zu Fall unsere Unterstützung haben möchte. Die Brandmauer ist gescheitert. So entfällt im Deutschen Bundestag das schärfste Schwert der Opposition, der Untersuchungsausschuss – aufgrund der Mehrheitsverhältnisse. Die AfD ist mein politischer Gegner, aber ich würde auch mit ihr im Bundestag sofort einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Zeit, zu den Maskendeals von Jens Spahn und zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines einsetzen. Eine echte Opposition gibt es daher nur mit dem BSW.
Über den BSW-Antrag auf Neuauszählung der Bundestagswahl soll bald vom zuständigen parlamentarischen Ausschuss entschieden werden …
Ich bin überzeugt, dass wir im Falle einer Neuauszählung in den Bundestag kommen und Friedrich Merz keine Mehrheit hat. Es gibt statistische Anomalien in den Wahldaten, die auf tausende Stimmen mehr für uns hindeuten. Von den im vorläufigen Wahlergebnis korrigierten Stimmen entfielen 60 Prozent nur auf das BSW.
Das BSW in Thüringen ist kein Prügelknabe
In Thüringen ist das BSW nicht nur im Landtag, sondern auch in der Regierung. Die Haushaltspolitik und die wirtschaftliche Entwicklung, die Ihre Landesfinanzministerin Katja Wolf vorzuweisen hat, finden auch über das BSW hinaus Anerkennung. Warum sind die Thüringer trotzdem für viele im BSW immer noch die Prügelknaben für schlechte Wahlergebnisse und Umfragewerte?
Das BSW in Thüringen ist kein Prügelknabe. Es gab unterschiedliche Auffassungen darüber, was man in einer Koalition mit der CDU umsetzen kann. Frau Wolf hat mich übrigens damals gebeten, meine Expertise in der Finanzpolitik einzubringen. Ich begrüße sehr, dass wir in Thüringen jetzt etwa die kommunalen Investitionen stärken können. Das sind Erfolge. Aber Investitionen brauchen Zeit, und das reicht häufig nicht, um Menschen zu überzeugen, wenn der Frust bereits so tief sitzt wie in Thüringen.
Ich fand es etwa falsch, kurzfristig die Geschäftsordnung des Landtages zu verändern, um die AfD von Posten fernzuhalten, die ihr eigentlich zustehen. Niemand spricht Frau Wolf ab, dass sie ein ehrliches Interesse daran hat, für Thüringen das Beste herauszuholen. Aber jeder, der in der Politik ist, neigt dazu, die eigenen Möglichkeiten erst mal zu überschätzen, wenn man an der Spitze steht. In diesen Fragen haben wir unterschiedliche Auffassungen. Aber die sind bekannt und ausgetauscht. Jetzt ist wichtig, dass wir gemeinsam etwas herausholen und das BSW stärken.
Nein, ich rate dem BSW in Brandenburg nicht einfach, aus der Regierungskoalition mit der SPD herauszugehen
Wenn Sie gemeinsam für das BSW streiten wollen, wäre es dann nicht eine gute Idee, dass ein anderer Thüringer Minister, Steffen Schütz, künftig zum Bundesvorstand gehört? Interesse daran hatte er signalisiert.
Ich verteile nicht die Posten im Parteivorstand, das entscheidet der Parteitag. Ich werde mich auch nicht zu einzelnen Kandidaturen äußern. Ich äußere mich ja nicht mal zur Frage, ob ich kandidiere.
Sie haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angesprochen, fordern dessen Reform und lehnen den neuen Rundfunkstaatsvertrag ab. Über den muss nun der Landtag in Brandenburg entscheiden. Was raten Sie den mitregierenden BSW-Kollegen in Brandenburg? Sollen sie gegen den Rundfunkstaatsvertrag stimmen, die Koalition mit der SPD platzen lassen und eine lästige Regierungsbeteiligung abstreifen?
Nein, ich rate dem BSW nicht einfach, aus der Regierungskoalition herauszugehen. Ich rate aber, sich diesen Reformstaatsvertrag sehr kritisch anzusehen. Die Gebührenzahler haben einen Anspruch darauf, dass die Öffentlich-Rechtlichen Meinungsvielfalt abbilden, die innere Rundfunkfreiheit schützen und sie nicht absurde Intendanten-Gehälter finanzieren, die das Gehalt des Bundeskanzlers übersteigen.
Fabio De Masi, geb. 1980, war für die Linke zwischen 2014 und 2017 Abgeordneter im Europäischen Parlament, zwischen 2017 und 2021 dann im Deutschen Bundestag. 2022 trat er aus der Linken aus und in das Bündnis Sahra Wagenknecht ein. Im Juni 2024 wurde er für das BSW ins Europaparlament gewählt. De Masi arbeitet unter anderem zu Steuerpolitik und Finanzkriminalität, unter anderem engagierte er sich für die Aufklärung des Cum-Ex- und des Wirecard-Skandals. Im Februar 2026 erscheint sein Buch Geld, Macht, Verbrechen. Wie wir die Demokratie vor Finanzkriminellen und dem großen Geld schützen.