“Extrapolations”: Manchmal passieren sogar schöne Dinge
Die starbesetzte Apple-Serie “Extrapolations” erzählt von der Klimakatastrophe als besonders langwierigen und langweiligen Prozess. Sie macht es also genau richtig.
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Es apokalypselt auf den Bildschirmen. Die Klimakrise ist in
der Film- und Fernsehbranche angekommen, auch wenn kaum jemand bisher von der
eigentlichen Katastrophe erzählt. Der Netflix-Blockbuster Don’t Look Up von Adam McKay etwa zeigte Ende 2021 einen auf die
Erde zurasenden Meteoriten als Metapher für den kommenden Untergang. Ein
cleverer Zug war das, weil sich darüber inszenieren ließ, dass neben
industriellen Verfilzungen und politischer Gleichgültigkeit auch das
menschliche Vorstellungsvermögen eines der zentralen Probleme der Klimakrise darstellt.
Solange deren Auswirkungen noch nicht sichtbar oder gar am eigenen Leib zu
spüren sind, lässt sich das Problem leichter abwiegeln.
Don’t Look Up setzte dem Planeten eine buchstäbliche Deadline, am Ende des
Films stand die völlige Zerstörung der Menschheit. Das ist weiterhin das
Kerngeschäft von Katastrophenerzählungen, aktuell zu sehen auch in der
Sky-Serie The Last of Us oder im ZDF-Projekt Der
Schwarm, die einen plötzlichen Kipppunkt als Ausgangssituation für
(post-)apokalyptische Szenerien nutzen, in denen die Natur die Hybris der
Menschheit bestraft. Der Film und die Serien beweisen damit auf paradoxe Art
die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft: Keines der Projekte imaginiert
künstlerisch, wie die Klimakrise vermutlich ablaufen wird – als langwieriger,
zäher und tödlich langweiliger, weil komplett voraussehbarer Prozess.
Extrapolations hingegen tut genau das. Die mit
Stars wie Meryl Streep, Edward Norton und Diane Lane besetzte Anthologieserie von Scott Z. Burns – als
Produzent der Al-Gore-Doku Eine unbequeme
Wahrheit und Autor des Pandemiethrillers Contagion seit Jahrzehnten im Thema – springt im Verlauf ihrer acht
Folgen immer weiter in die Zukunft und dabei von einem Einzelschicksal zum
nächsten. Der große Knall bleibt aus, der grelle Katastrophismus anderer
Klimakrisenfilme und -serien fehlt. Sieben Stunden lang sieht man stattdessen
dabei zu, wie einer sprichwörtlichen Luftmatratze langsam der Inhalt entweicht.
Statt viel Action und dauerhaftem Ausnahmezustand zeigt Extrapolations einen
noch größeren Horror: totalen Ennui, quälenden Alltag.
Zwar gibt es halsbrecherische Versuche, die Situation mit
drastischen Mitteln zu retten, auch wenn dabei ein paar Millionen Menschen
draufgehen müssen. Und es gibt einen Antagonisten in Form des soziopathischen
Tech-CEO Nick Bilton (Kit Harington mit seiner schlechtesten Performance: der
Game-of-Thrones-Star kann einfach
keinen Unsympathen spielen), der die Infrastrukturen der Welt beherrscht,
Patente auf Wassertechnologie ebenso wie Saatgut und sogar ganze Lebewesen
besitzt und die Politik in der Tasche hat. Eigentlich könnte Bilton die
Klimakrise abwenden, seine Renditen sind ihm jedoch wichtiger. Das Böse ist in Extrapolations
also nicht unmittelbar zerstörerisch, es führt keine Eskalation herbei, es
steht eher im Weg herum.
Die Kämpfe gegen Bilton und das von ihm repräsentierte
System, die mit Extinction-Rebellion-ähnlichen
Demonstrationen im Jahr 2037 beginnen, entladen sich nicht in einem globalen
Aufstand. Sie enden in einem nur noch symbolischen Gerichtsprozess, nachdem viel
Bürokratie, Korruption und politische Ränkespiele das Wirken gegen die
Katastrophe für Jahrzehnte aufgehalten haben. Es gibt in Extrapolations keinen Heroismus, wie er die oben genannten Projekte
oder die deutsche Klimaterrorismus-Serie A
Thin Line auszeichnet. An
die Stelle von Atomsprengköpfen und Shotguns treten juristische Mittel.
Extrapolations erzählt also schon von flammendem Idealismus, mehr noch aber
von dessen Transformation in realpolitische Apathie und nicht selten
abgebrühten Zynismus. So stellt die Serie die Übermacht eines starren Systems
dar, indem sie auf Figuren zoomt, die sich dem System zähneknirschend beugen;
die ewig lange herumlabern, während sich nichts ändert. Ihr Schicksal ist keine
schlagartig eintretende Apokalypse, sondern eine unfassbar langsam ablaufende
Katastrophe, deren Auswirkungen vor allem im Alltäglichen und
Zwischenmenschlichen zu spüren sind. Im Jahr 2047 etwa sitzen ein paar Menschen
in Miami gemeinsam am Tisch und diskutieren darüber, welche Firma sie nun damit
beauftragen sollen, das Wasser aus ihrer Synagoge zu pumpen – oder ob das als
Ausgabe überhaupt noch Sinn ergibt.
Was bleibt, ist die Flucht in digitale Welten
Gut zwei Jahrzehnte später leidet ein Mann unter einer klimabedingten
Erkrankung, die bei ihm Demenz auslöst, was auch deshalb schlecht ist, weil
sein Job darin besteht, für verlassene Menschen oder Hinterbliebene deren
verlorene Partner oder Söhne zu spielen. Noch einmal zwei Jahre später streitet
sich bei einer Silvesterparty ein Ehepaar: Er hat beschlossen, sein Bewusstsein
in die Cloud hochzuladen, um die Klimakatastrophe auszusitzen, sie hat eine Art
Affäre mit einem ebenfalls anwesenden Freund von ihm. Und so weiter und so
fort. Spannend ist das alles nicht. Aber könnte es realistisch betrachtet nicht
genau so kommen?
Die titelgebenden Fortführungen des Istzustands inszeniert Extrapolations als Geschichten von
Menschen in der wohlhabenden Welt – als Spiegelbilder des eigenen
Serienpublikums also, dem es in der neuen Klima-Apartheid verhältnismäßig gut
geht und das sich mit der neuen Situation zu arrangieren versucht. Diese
Menschen, gespielt von weiteren Hollywoodstars wie Forest Whitaker oder Sienna Miller, besitzen zwar keine Privatsphäre mehr
und werden finanziell von einem einzigen Konzern kontrolliert. Noch aber
versuchen sie, das Leben zu genießen, so gut es geht. Trotzdem durchleben sie
große Dramen und hegen noch Hoffnungen. Manchmal passieren ihnen sogar schöne
Dinge, wie das halt so ist im Leben.
Die Figuren in Extrapolations verhungern nicht wie
Abermillionen andere Menschen im Globalen Süden, von denen nur gelegentlich die
Rede ist. Sie können aber kaum noch vor die Tür gehen und verfügen über keine
nennenswerte Kultur mehr – selbst die Musik scheint sich in der Serienwelt seit
dem frühen 21. Jahrhundert nicht weiterentwickelt zu haben. Was bleibt, ist die
Flucht in digitale Welten, sei es durch Simulatoren oder den erwähnten Upload des
eigenen Bewusstseins ins Internet, das es jedoch nicht ohne physisch existente
und damit flutkatastrophenanfällige Serverparks geben kann.
Zwar erlaubt sich Extrapolations allerhand moralische
Einlassungen und versucht noch jede klimaschädigende Erfindung konsequent
weiterzudenken, um so die Ausmaße eines verschleppten Kollapses in
Temperaturanstiegen, Kosten und Menschenopfern sichtbar zu machen – so viel Black beziehungsweise Green Mirror will die Serie schon sein.
Das ist aber nicht der Grund, warum sie so effektvoll ist. Extrapolations ist radikal und wirkmächtig, weil das Projekt stinklangweilig
ist. Weil es ein Gefühl davon vermittelt, wie qualvoll und quälend langsam die
kommenden Jahrzehnte verlaufen werden.
Sich das vorzustellen, hat bisher noch kein Film und keine Serie geschafft, und
vielleicht hat es sich auch niemand getraut. Für alle, die sich die Katastrophe
auszumalen versuchen, ist das ein besonders grausamer Gedanke, der auch schon
in Don’t Look Up anklang. “Möglicherweise soll die Zerstörung
unseres ganzen Planeten überhaupt nicht witzig sein”, sagt eine
Wissenschaftlerin in dem sehr witzigen Film. “Möglicherweise sollte sie vielmehr
beunruhigend und erschreckend sein.” In Extrapolations ist genau
das der Fall.
Die acht Folgen von “Extrapolations” sind ab 17.
März bei Apple TV+ verfügbar.