EU-Klimapolitik: Wie geht es mit dem Green Deal weiter?
Als die Europäische Kommission im Juni 2022 ihr „Gesetz zur Renaturierung der Natur“ vorlegte, hätte niemand erwartet, dass ausgerechnet dieser Vorschlag einen Wendepunkt in der EU-Klimapolitik darstellen würde. Am Dienstag aber hat der Agrarausschuss im Europaparlament mit großer Mehrheit den Vorschlag zurückgewiesen und damit das Ende der sogenannten Von-der-Leyen-Koalition zum Green Deal eingeleitet.
Angetrieben von der christdemokratischen EVP-Fraktion stellte sich auch ein Großteil der Liberalen gegen das Gesetz. Die beiden rechten Fraktionen ECR und ID sind ohnehin dagegen. Damit war die nötige Mehrheit dahin. Ohne die EVP ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament keine Politik zu machen.
Das Ende des Naturschutzgesetzes ist das noch nicht. Mitte Juni stimmt der federführende Umweltausschuss ab, und der kann sich über das Votum der Kollegen aus den anderen Ausschüssen hinwegsetzen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses, der französische Liberale Pascal Canfin, ist fest entschlossen, in den kommenden Wochen genug Stimmen in den eigenen Reihen und bei den Christdemokraten für eine Mehrheit zu sammeln. Selbst wenn das gelingt, ändert das aber nichts mehr daran, dass der Green Deal im Parlament ein Jahr vor der nächsten Europawahl kein Selbstläufer mehr ist.
20 Prozent der Fläche renaturieren
Mit dem Inhalt des Gesetzes, um das es geht, hat das nur wenig zu tun. Es soll die EU verpflichten, 20 Prozent der Fläche – ob an Land oder im Wasser – zu renaturieren. Die EU soll so ihren Beitrag zu den 2022 vereinbarten globalen Biodiversitätszielen leisten. Als die Kommission ihren Vorschlag vorstellte, gab es auch kaum Kritik. Nun aber warnen EVP-Abgeordnete wie der Vorsitzende des Agrarausschusses, Norbert Lins (CDU), die EU gefährde mit dem Renaturierungsgesetz und ihren Vorschlägen für die Reduzierung des Pestizideinsatzes den Lebensunterhalt der Landwirte und fördere den Hunger auf der Welt. Zudem bremse es den dringend nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist zwar, wie ein Blick in den Vorschlag zeigt, zumindest zu einem großen Teil falsch. Aber darum geht es gar nicht. Die EVP will ein Zeichen setzen, wie mancher Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand auch eingesteht.
Er habe in „weinende Bauerngesichter geblickt“ und „dramatische Situationen erlebt“, als er vor Kurzem in den Niederlanden gewesen sei, begründete Lins vor dem Ausschussvotum den Widerstand gegen das Gesetz. Was den Blick darauf lenkt, warum die EVP sich – maßgeblich auf Betreiben ihres Partei- und Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), wie es heißt – entschieden hat, den Green Deal aufzukündigen. Es sind die Ergebnisse der jüngsten Wahlen in den Niederlanden, in den deutschen Landtagswahlen, in Italien, in Schweden und in Finnland.
Es ist der Erfolg der Bauer-Bürger-Bewegung BBB nach Protesten gegen strikte Stickstoffgrenzwerte bei den niederländischen Provinzwahlen. Es ist die Erkenntnis, dass viele Bürger sich von den Klimaschutzgesetzen der EU und der Staaten überfordert fühlen, dass es eine Kluft zwischen Innenstädten und den ländlichen Regionen gibt. „Von einer Dachterrasse in Berlin-Prenzlauer Berg, Stuttgart-Birkach, Brüssel-Woluwe-Saint-Lambert oder Köln-Ehrenfeld kann man leicht Vorgaben für den ländlichen Raum machen“, haben das Lins und sein Parteikollege Peter Liese in einem gemeinsamen Papier beschrieben. Die Umsetzung vor Ort sei indessen manchmal schwierig bis unmöglich. Wenn Canfin, die Grünen und der federführend in der Kommission zuständige Vizepräsident Frans Timmermans der EVP also unterstellen, das Gesetz aus wahltaktischen Überlegungen abzuschießen, ist das zumindest nicht vollkommen falsch.
Einzigartiger Gesetzgebungsgang
Das wirft Licht darauf, wie einzigartig die Verabschiedung der zentralen Gesetze des Fit-for-55-Klimapakets in Europaparlament und Ministerrat gelaufen ist. Trotz Corona-Krise, Krieg in der Ukraine und hoher Energiepreise, trotz extrem unterschiedlicher Ausgangslagen in den Mitgliedstaaten, trotz großer Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien über den richtigen Weg im Klimaschutz, steht die Reform des Emissionshandels, inklusive der schrittweisen Einbeziehung von Gebäuden und Straßenverkehr. Möglich war diese zu Recht als „historisch“ bezeichnete Einigung auf den Emissionshandel und die damit verbundene Einführung eines CO2-Preises für vier Fünftel aller Emissionen dadurch, dass parallel zahlreiche Einzelgesetze verabschiedet wurden, um etwa die sozialen Folgen abzufedern, die heimische Industrie vor der Konkurrenz aus Drittstaaten zu schützen, die Autohersteller, Reeder und Fluggesellschaften auf konkrete Grenzwerte zu verpflichten oder den Ausbau von Erneuerbaren voranzubringen.
Für den Bürger hat es das fast unmöglich gemacht, der EU-Klimagesetzgebung zu folgen. Mit effizientem Klimaschutz hat es nichts zu tun. Dafür hätte sich die EU auf die Bepreisung des CO2-Ausstoßes über den Emissionshandel konzentrieren müssen, statt auch noch zahlreiche Detailvorgaben für die Wirtschaft hinterherzuschieben. Die Mischung aus Ordnungspolitik (Emissionshandel) und ordnungsrechtlichem Klein-Klein gibt reichlich Stoff für Seminare über den richtigen Weg im Klimaschutz. Politisch aber war der Ansatz der Kommission genau richtig. Das Fit-for-55-Paket gibt es nur, weil es ein Paket aus Gesetzen ist, bei denen für fast jede Gruppe etwas dabei ist.
Kernelemente sind verabschiedet
Nachdem die Kernelemente des Pakets nun aber verabschiedet sind, schwindet die Bereitschaft zu Kompromissen. Da kann Timmermans noch so beschwören, dass auch das Gesetz zur Renaturierung einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, weil etwa renaturierte Sümpfe viel CO2 binden. Die Absetzungsbewegungen von EVP und Teilen der Liberalen vom Green Deal haben sich auch schon zuvor in der Debatte über die Gebäuderichtlinie im Europaparlament gezeigt. Zwar stand am Ende die Zustimmung zu den Sanierungszielen, zahlreiche Abgeordnete meldeten aber Zweifel an, ob die EU nun auch noch regeln muss, wann ein Haus Energieklasse F, E und D erreicht, um ihre Klimaziele zu erreichen. Allerdings regt sich hier nun im Ministerrat der EU-Staaten und auch aus Deutschland zusehends Widerstand.
Tatsächlich wächst im Europäischen Parlament wie den Staaten allmählich die Erkenntnis, dass die EU Gefahr läuft, mit immer mehr, immer neuen Regeln ihre Wirtschaft zu überfordern. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Brüssel zu einer Regulierungspause aufgerufen – auch wenn er das nachher nicht auf die aktuelle, sondern die nächste EU-Kommission bezogen haben wollte. Kurz darauf folgte der belgische Regierungschef Alexander De Croo. „Wir müssen verhindern, dass der Wagen überladen wird“, warnt er. Selbst in der Kommission wachsen die Zweifel, ob sich die EU nicht übernimmt, wenn „wir neben dem Klimaschutz auch noch 100 Prozent beim Schutz von Umwelt- und Menschenrechten erreichen wollen“.
All das wiederum hat viel mit dem „Inflation Reduction Act“ zu tun, mit dem die USA den Ausbau grüner Technologien fördern. Das 369-Milliarden-Dollar-Programm, das Unternehmen insbesondere mit Steuernachlässen lockt, Fabriken für Batterien, Elektroautos oder Windanlagen in den Vereinigten Staaten zu bauen, hat der EU eines vor Augen geführt: So ehrgeizige Ziele sie sich auch mit dem Klimapaket gesetzt hat, so sehr hat sie versäumt, aus dem Green Deal ein Geschäftsmodell zu machen. Die Kommission versucht, mit ihren jüngsten Vorschlägen zur Versorgung mit kritischen Rohstoffen („Critical Raw Materials Act“) und dem Ausbau grüner Technologien („Net-Zero Industry Act“) gegenzusteuern. Im Juni will sie einen Souveränitätsfonds vorschlagen. Das sind die zentralen Themen für die Zukunft der EU-Klimapolitik. Die Debatte um das Renaturierungsgesetz und andere Restbestände des 2019 entworfenen Green Deal bremsen die EU dabei nur aus.