„Es ist an dieser Zeit, dass sich die Architektur dieser Anpassung widmet“

Auch im liberalen Venedig hat sich der Wind gedreht, seit Giorgia Meloni Italien regiert. Mit Spannung wurden die Ideen des Kurators Carlo Ratti für die diesjährige Architekturbiennale erwartet. Den Klimawandel sieht er als größte Herausforderung. Doch er ist weniger Ideologe als Pragmatiker.

Fünfundzwanzig lange Jahre musste Italien warten, bis die Architekturbiennale von Venedig wieder von einem Italiener geleitet wird. Massimiliano Fuksas war im Jahr 2000 der letzte, dann folgten als Kuratoren unter anderem die Japanerin Kazuo Sejima, der Brite David Chipperfield, der Niederländer Rem Koolhaas, der Chilene Alejandro Aravena oder zuletzt Lesley Lokko mit ghanaischen und schottischen Wurzeln. Die Berufung des Turiners Carlo Ratti zum Chef der wichtigen Architekturausstellung vor gut einem Jahr, wurde schnell als Zeichen gewertet – für die neue Kulturpolitik unter Giorgia Meloni. Die Premierministerin von der rechtspopulistischen Partei Fratelli d’Italia hatte für einige umstrittene Neubesetzungen von Kulturinstitutionen gesorgt.

Die Biennale, die außer der Architekturschau auch alle zwei Jahre eine bedeutende internationale Kunstausstellung auf die Beine stellt, alljährlich die Filmfestspiele am Lido ausrichtet und Festivals für Theater und Tanz organisiert, wird seit April 2024 von Pietrangelo Buttafuoco geführt. Der 61-jährige Sizilianer war einst in leitender Funktion bei einer Jugendorganisation des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano. Er arbeitete als Journalist für rechtsgerichtete Medien. Vor zehn Jahren konvertierte er zum Islam. Der kosmopolitische Carlo Ratti wurde zwar noch von Roberto Cicutto berufen, Buttafuocos liberalerem Vorgänger als Biennale-Präsident, er wird sich aber mit dem neuen Wind, der auch in Venedig weht, arrangieren müssen.

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Der 1971 geborene Ratti studierte Architektur in Turin und in Paris, seit dem Jahr 2000 lehrt er als Professor am Massachusetts Institute of Technology in Boston, wo er das „Senseable City Lab“ gründete, ein Institut, das den Einfluss der Digitalisierung auf das städtische Leben untersucht. Ratti gilt als intellektueller Architekturforscher, der nach intelligenten Systemen sucht, die die natürliche wie die gebaute als auch digitale Welt verbinden. Jetzt hat er im Biennale-Palazzo Ca’ Giustinian am Canal Grande sein Programm vorgestellt. Sie trägt das sperrige Motto „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“. Nach der postkolonial grundierten und künstlerisch auftretenden Ausgabe von Lesley Lokko im Jahr 2023 dürfte der Fokus ab Mai 2025 tatsächlich wieder auf Architektur selbst liegen.

Aber nicht als Selbstzweck. „Architektur beginnt dort, wo die Umgebung eigentlich gegen uns steht“, sagte Ratti und verwies auf die Stadt Venedig, in der die Biennale beheimatet ist, die eines der größten Architekturwunder der Welt, aber auch bedroht ist, weil sie buchstäblich auf Sand gebaut wurde, in einer Lagune, deren Siedlungen mit wachsender Anstrengung vor Hochwassern geschützt werden müssen. Der Klimawandel sei deshalb die zentrale Herausforderung für Architekten, machte Ratti deutlich. „Jahrzehntelang war die Antwort der Architektur auf die Klimakrise vor allem auf die Abschwächung des Klimawandels konzentriert“, so Ratti. „Doch dieser Ansatz reicht nicht mehr aus. Es ist an der Zeit, dass sich die Architektur der Anpassung widmet.“

„In der Welt verweilen“

Ratti stellte sich als Pragmatiker vor, nicht als Träumer, als Planer, der sich an Gegebenheiten orientiert und dafür smarte Lösungen sucht. Adaptionsstrategien könnten aber ruhig visionär sein. „Wir können viel von Bakterien lernen“, sagte er und stellte ein Projekt vor, das Mikroben- mit Bevölkerungswachstum in Beziehung setzt. Und von der Weltraumfahrt könne die Architektur ebenfalls profitieren, wenn man die Erkenntnisse aus dem Design von Raumanzügen beispielsweise auf die Gestaltung von Gebäudefassaden anwendet.

Neue Materialien will Ratti auf seiner Biennale vorstellen. Etwa zeigen, dass der Holzbau nicht im rechten Winkel verharren muss, sondern mittels neuer Konstruktionstechniken auch organischere Strukturen draufhat. Kreislaufwirtschaft und „urban mining“, große Themen der Gegenwart, werden am Beispiel der Ukraine erläutert, wo Schutt von kriegszerstörten Häusern jetzt schon für den Wiederaufbau recycelt wird.

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„Die Entwicklung von Technologie ist ähnlich zu verstehen wie die Evolution in der Natur“, erklärte Ratti und will dabei auf das kollektive Wissen von Ingenieuren und Architekten weltweit vertrauen. Obwohl ihm mit der historischen Seilerei im Arsenale nur eines der beiden traditionellen Ausstellungsgebäude zur Verfügung steht (der zentrale Pavillon in den Giardini wird renoviert), wird seine Biennale größer und internationaler denn je. 750 Teilnehmer werden es insgesamt sein, davon mehr als die Hälfte in „transnationalen Teams“.

Politisch wurde der Kurator nur zweimal. Ganz am Ende seines Vortrags formulierte er sein Credo: „Architekten sollten sich weniger in die Politik einmischen, sie sollten sich lieber die Anpassung zu eigen machen.“ Damit meinte er aber nicht, sich anpassen zu wollen. Denn er sprach konsequent Englisch, nachdem Biennale-Präsident Buttafuoco sein klug-poetisches Grußwort an die internationalen Pressevertreter leider nur auf Italienisch adressiert hatte. Carlo Ratti lobte er darin für dessen ketzerische Frage, „ob ein Gebäude jemals so intelligent sein könne wie ein Baum“ und die Vision, mit Architektur etwas „zu schaffen, das uns befähigt, in der Welt zu verweilen“.

Source: welt.de