Ernährung welcher Weltbevölkerung: Mit einfachen Mitteln zu großer Ernte

Die Weltgemeinschaft wird eines ihrer großen Ziele verfehlen. 2030, so nahmen es sich die Vereinten Nationen vor zehn Jahren vor, sollte niemand mehr Hunger leiden. Danach gab es anfangs Fortschritte, die Zahl der Hungernden ging tatsächlich zurück. Dann kamen die Corona-Seuche, der Krieg in der Ukraine, steigende Lebensmittelpreise. Heute sind nicht weniger, sondern rund 90 Millionen mehr Menschen auf der Welt unterernährt als vor fünf Jahren. An einen baldigen Sieg über den Hunger glaubt keiner mehr.

Lisa Sendwe, eine Bäuerin aus Chibombo, einem Dorf in Sambia, hat auch ein großes Ziel. Aber man sollte vielleicht lieber nicht darauf wetten, dass sie es verfehlt.

„Ich wünsche mir, dass in ein paar Jahren ein ganzer Konvoi von Lastwagen hier vorfährt, um das Obst von meiner Farm zu den Supermärkten überall im Land zu bringen“, sagt Sendwe mit einem lebensfrohen Grinsen. Sie hat Bananen-, Papaya- und Guavenbäume gepflanzt, zusätzlich zum Mais, der in Sambia das Grundnahrungsmittel und auf den Feldern des Landes allgegenwärtig ist. Außerdem baut sie Cashewnüsse und Zitronen an, neuerdings sogar Äpfel. Das ist exotisch in diesem Teil von Afrika.

„Viele Einheimische glauben, in Sambia würden Äpfel nicht wachsen“, sagt Sendwe. „Was für ein Irrtum. Bei uns wächst einfach alles.“ Da wüssten gründliche Pflanzenkundler zwar ein paar Ausnahmen. Dass Sambia gute Voraussetzungen für die Nahrungsmittelproduktion mitbringt, steht indes außer Frage.

Das gleiche Feld bringt sechsmal so viel Mais wie früher

Das Land im Süden Afrikas, etwa doppelt so groß wie die Bundesrepublik, verfügt über die mit Abstand größten Süßwasservorkommen in der Region. Das Klima ist trotz der Lage in den Tropen gemäßigt, weil weite Teile des Staatsgebiets wie Lisa Sendwes Mais- und Obstfarm auf mehr als 1000 Höhenmetern liegen. Und die sambischen Böden erst. „Fette rote Tonerde, auf der man zweimal im Jahr ernten kann“, schwärmt der Agrarwirt Helmut Anschütz, der eine knappe Autostunde südlich von Chibombo ein deutsch-sambisches Trainingszentrum für Landwirte leitet. „Manchen Ackerbauern aus Bayern oder Niedersachsen kommen direkt die Tränen, wenn sie das hier sehen und mit den kargen Verhältnissen daheim vergleichen.“

Trotzdem zählt Sambia zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach Zahlen von Weltbank und Welternährungsorganisation hat nur ein Fünftel der Einwohner genug Geld für eine gesunde Ernährung. Jedes dritte Kind ist im Wachstum gestört, weil es zu wenig zu essen bekommt. Die Einwohnerzahl hat sich seit dem Jahr 1950 dank hygienischer und medizinischer Fortschritte fast verzehnfacht. Aber das ist nur einer der Gründe für die beklagenswerte Tatsache, dass ein Land mit so günstigen natürlichen Voraussetzungen seine Bevölkerung kaum ernähren kann.

Hier soll es aber nicht um die Erklärung dieses Widerspruchs gehen. Sondern darum, wie er sich auflösen lässt. Lisa Sendwe, 42 Jahre alt und Mutter zweier Söhne, macht es vor.

Wir treffen sie auf einem der Feldtage, die das deutsch-sambische Trainingszentrum regelmäßig veranstaltet. Rund 300 Kleinbauern aus der Gegend sind gekommen, um sich verschiedene Anbaumethoden anzusehen und sich über den sachgemäßen Einsatz von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln unterrichten zu lassen. Nicht alle haben sich dafür so bunt gekleidet wie Sendwe. Eine kostümierte Tanzgruppe tritt zu schrillen Trillerpfeifen auf, zum Mittagessen unter freiem Himmel gibt es Maisbrei und Gemüse.

Als ihr Vater starb, berichtet Sendwe, habe sie mit einem Hektar Mais angefangen. Eine typische Bewirtschaftungsfläche für afrikanische Kleinbauern; deutsche Höfe sind durchschnittlich mehr als 60 Hektar groß, in den Vereinigten Staaten kommen die Farmen im Schnitt sogar auf fast 190 Hektar. Sendwe säte die Maiskörner, die sie selbst geerntet hatte. Sie arbeitete hart mit ihren eigenen Händen und erntete am Ende nicht einmal 1000 Kilo. Ein magerer Ertrag.

Weißer Mais ist das Grundnahrungsmittel in Sambia.
Weißer Mais ist das Grundnahrungsmittel in Sambia.Sebastian Balzter

Heute erntet Sendwe auf derselben Fläche die sechsfache Menge. Damit kann sie viel mehr als nur ihre eigene Familie mit den nötigen Kalorien versorgen. Zwar sind auch ihre Ausgaben gestiegen, aber unterm Strich bleibt ein ansehnlicher Gewinn. Sie rechnet es in der Landeswährung vor: Sie gibt jetzt etwa 8000 Kwacha im Jahr für Düngemittel aus, das sind umgerechnet knapp 300 Euro. Dazu kommen 5500 Kwacha für Löhne und Maschinen, 500 für die Schädlingsbekämpfung und 1000 für das aufbereitete Saatgut, das sie nicht mehr aus ihrer eigenen Ernte nimmt, sondern von Agrarkonzernen zukauft. Macht 15.000 Kwacha höhere Ausgaben, bei rund 25.000 Kwacha mehr Einnahmen. Ein ausgezeichnete Rendite.

Lisa Sendwe hat mit dem zusätzlichen Geld aus dem Maisanbau ihre Obstplantage angelegt, auf fünf Hektar. Jetzt denkt sie darüber nach, einen größeren Teil davon zu bewässern. Schon heute verkauft sie das meiste Obst nach Lusaka, in die zwei Autostunden entfernte Hauptstadt. Nur in die größte nationale Supermarktkette hat sie es noch nicht geschafft, das wurmt sie. Zweifel an der vorgesehenen Expansion scheinen ihr fremd zu sein, Wachstumsskepsis bleibt reicheren Gesellschaften vorbehalten. „Ich will mehr Geld verdienen, damit ich meine Farm vergrößern und meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen kann“, sagt sie.

Ein Staatsakt für die Landwirtschaft

Die Obstlastwagen, die Lisa Sendwe bei geschlossenen Augen schon in langen Reihen zu ihrer Farm in Chibombo abbiegen sieht, werden auf der Straße nach Lusaka nicht schnell vorankommen. Sie heißt Great Northern Road, aber das ist ein etwas großspuriger Name. Oft ist die Straße hoffnungslos verstopft mit den schwer beladenen Kupfertrucks, die das begehrte Metall aus den Minen im Norden des Landes zu den südafrikanischen Häfen bringen. Dort wird es tonnenweise vor allem Richtung China verschifft, wo es zu Kabeln, Platinen und Leitungen aller Art verarbeitet wird.

Von dem vielen Geld, das die asiatischen oder auch amerikanischen Elektronikkonzerne damit scheffeln, haben die meisten Sambier wenig. Der amtierende Staatspräsident hat das erkannt. In seinen Reden spielen die Kupferminen, die Sambia geopolitisch bedeutsam gemacht haben, gewöhnlich keine große Rolle. Stattdessen preist er die Landwirtschaft und ihre Rolle für den künftigen Wohlstand des Landes an. Dass er selbst als Rinderzüchter ein Vermögen gemacht hat, bevor er in die Politik ging, verleiht ihm speziell in diesem Punkt persönliche Glaubwürdigkeit.

Der Staatschef hat, ähnlich wie Lisa Sendwe und die Vereinten Nationen, ein großes Ziel ausgegeben: Die nationale Maisproduktion soll sich bis 2030 gegenüber dem langjährigen Durchschnitt verfünffachen. Lisa Sendwe ist dieser Sprung schon gelungen. Die Frage ist nur, ob die anderen Bauern im Land das auch schaffen. Dann müsste in Sambia niemand mehr hungern.

Helmut Anschütz leitet das landwirtschaftliche Trainingszentrum AKTC in Sambia.
Helmut Anschütz leitet das landwirtschaftliche Trainingszentrum AKTC in Sambia.Sebastian Balzter

Alles, was dazu einen Beitrag leisten kann, genießt die besondere Gunst des Präsidenten. Das war im Frühjahr am Rand der Provinzstadt Kabwe zu sehen, nicht weit von Lisa Sendwes Farm. Der Bayer-Konzern aus Leverkusen nahm dort eine neue Anlage in Betrieb, in der Maissaatgut gereinigt, getrocknet und sortiert, gegen Pilzbefall geschützt, in handelsübliche Säcke abgefüllt und schließlich bei 8 bis 10 Grad Celsius bis zur Auslieferung gelagert wird.

Kein technisches Hexenwerk, auch keine glitzernde Gigafactory, sondern für europäische Verhältnisse ein Standardvorgang. Etwas mehr als 30 Millionen Euro hat Bayer dafür investiert. Man verspricht sich davon, auch in den Nachbarländern mehr und mehr Kleinbauern als Kunden zu gewinnen und den bisherigen Marktführern in der Region, einem amerikanischen und einem französisch dominierten Wettbewerber, den Rang abzulaufen.

In der Konzernbilanz fällt das vorerst nicht weiter auf. In Kabwe geriet die Einweihungsfeier, zu der Bayer die F.A.S. und andere Medien eingeladen hatte, trotzdem zum Staatsakt. Es gibt weit und breit keine vergleichbar moderne Anlage dieser Größenordnung. Der Präsident kam eigens mit Hubschrauber und Motorradstaffel, um das Unternehmen aus dem fernen Europa und die tüchtigen sambischen Maisbauern anzufeuern.

So viel Zuneigung ist man bei Bayer nicht gewöhnt. In Deutschland und in den USA ist immer nur von Glyphosat die Rede, dem Unkrautvernichter, den viele amerikanische Krebspatienten für ihr Leiden verantwortlich machen. Der Konzern hat für juristische Vergleiche schon Milliarden berappt, obwohl die zuständigen Umweltbehörden das Mittel für unbedenklich halten. Auch das Geschäft mit dem sogenannten Hybridsaatgut, das sich aus züchterischen Gründen schlecht nachbauen lässt, wird hierzulande manchmal kritisiert, weil es die Landwirte von der Industrie abhängig mache.

Auch Glyphosat gehört zu Lisa Sendwes Geschäftsmodell

Lisa Sendwe findet diese Vorbehalte absurd. Früher hätten auf ihrem Feld viel weniger Saatkörner überhaupt gekeimt, sagt sie. Außerdem kämen die Pflanzen jetzt viel besser mit Trockenheit zurecht, die Maiskolben wüchsen größer und gleichförmiger. Alles Ergebnisse der Züchtungsanstrengung, für die es sich nach ihrer Rechnung zu bezahlen lohnt. Und Roundup, das verfemte glyphosathaltige Pflanzengift? „Ich spritze es einmal im Jahr, vor der Maissaat“, sagt Sendwe beiläufig. „Natürlich mit einem Schutzanzug und Plastikhandschuhen.“

Auf der Great Northern Road von den Minen nach Lusaka drängen sich im Dauerstau zwischen den schweren Kupferlastern unzählige altersschwache Kleinbusse. Sie sind die am meisten genutzten Fortbewegungsmittel im Land. Fast jeder ist voll besetzt, viele sind bunt bemalt. Auf den Heckscheiben prangen fromme Sprüche. Ein Klassiker lautet „With God, Everything Is Possible“; beliebt ist auch „Never Lose Hope“.

Nichts gegen Gottvertrauen. Aber es genügt nach aller Erfahrung nicht, um den Hunger zu besiegen. Dafür braucht es ehrgeizige, geschäftstüchtige Frauen wie Lisa Sendwe. Und Agrarfachleute wie Helmut Anschütz, der den Kleinbauern auf dem Feldtag erklärt, welche Vorteile Zwischenfrüchte wie Perlhirse, Sonnenblumen oder Schlangenbohnen ihnen bringen und warum sie ihren Acker vor der Maissaat lieber nicht umpflügen sollten. Das würde dem Boden Nährstoffe entziehen und ihn anfällig machen für Erosion. Anschütz zeigt auf einem Musterfeld, wie man neuen Mais stattdessen einsäen kann, während die alten Zwischenfrüchte noch stehen. So könne der Boden viermal so viel Wasser speichern wie bei intensiver, tiefer Bearbeitung, sagt er. „Wer pflügt, verschwendet Geld und Arbeitskraft.“

Die neue Saatgutveredelungsanlage von Bayer in Kabwe: Eine Gigafactory ist sie nicht, einen Staatsakt zur Eröffnung gab es trotzdem.
Die neue Saatgutveredelungsanlage von Bayer in Kabwe: Eine Gigafactory ist sie nicht, einen Staatsakt zur Eröffnung gab es trotzdem.Sebastian Balzter

Die Maisernte für dieses Jahr ist in Sambia inzwischen eingebracht. Mit rund 3,6 Millionen Tonnen beziffert die Statistikbehörde den Ertrag. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, als eine verheerende Dürre herrschte. Und immerhin schon ein gutes Drittel vom präsidialen Ziel für das Jahr 2030. „Diesmal waren wir mit genug Regen gesegnet“, zieht Lisa Sendwe Bilanz.

Luft nach oben ist aber noch, bei allem Segen von oben. Je Hektar ernteten die sambischen Maisbauern im Durchschnitt weniger als zwei Tonnen; in Deutschland ist das Fünffache normal. Das schafft nicht mal Lisa Sendwe.

Mut macht ihre Geschichte gleichwohl. Sie verbreitet ihre Botschaft, dass sich der Ertrag mit einfachen Mitteln binnen weniger Jahre deutlich steigern lässt, bereitwillig auf allen Kanälen. Hatte sie einen Startvorteil gegenüber anderen Maisbauern im Land? Ihre Mutter sei Lehrerin, berichtet Sendwe, entsprechend wichtig sei in ihrer Kindheit und Jugend die Schulbildung genommen worden. Bis zum Tod ihres Vaters hat sie dann sogar selbst als Berufsschullehrerin angehende Landwirte unterrichtet. Die Theorie kannte sie also schon aus dem Effeff, ehe sie den Familienbetrieb übernahm. Außerdem hatte sie ein paar Ersparnisse für die ersten überschaubaren Investitionen. „Ich hasse Kredite“, sagt Lisa Sendwe. So viel Kritik am Kapitalismus muss erlaubt sein. Denjenigen sambischen Bauern, die keine finanziellen Reserven haben und Sendwe dennoch nacheifern wollen, stehen hohe zweistellige Zinssätze für Darlehen im Weg.

Für dieses Finanzierungsproblem hat Lisa Sendwe keine Lösung parat. Eine schöne Aufgabe für den Präsidenten, Weltbankstrategen und andere kluge Köpfe. Sendwe denkt derweil hoffnungsvoll an den Ausbau ihrer Obstplantage. Und an die Zukunft ihrer heranwachsenden Söhne. Die Frage, welchen Beruf sie sich für die beiden wünscht, beantwortet sich fast von selbst. Sie sollen Landwirte werden, sagt sie. Es gibt schließlich noch so viel zu tun auf der Farm.